Die Arktis im Wandel. Strategien der Sichtbarmachung der Gletscherschmelze bei Tyrone Martinsson und Julian Charrière
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Abstract
Im Zuge der Polarexpeditionen des 19. Jahrhunderts noch als ‚ewige Eiswüste‘ imaginiert, hat sich die kulturelle Konzeption der Arktis durch die globale Erwärmung in der jüngeren Vergangenheit stark verändert. Insbesondere Gletscher avancierten zu visuellen Ikonen im medialen Diskurs um den Klimawandel. Der Beitrag befasst sich mit zeitgenössischen Darstellungen einer sich wandelnden Arktis am Beispiel der Gletscherschmelze. Untersucht werden zwei Positionen an der Schnittstelle von Kunst und Wissenschaft: ein 2011 begonnenes Projekt des schwedischen Fotografen und Fotohistorikers Tyrone Martinsson (1967–2025) zu Gletschern auf der norwegischen Inselgruppe Svalbard sowie die Skulpturenserie Not All Who Wander Are Lost (2019) des schweizerisch-französischen Künstlers Julian Charrière (*1987). Anhand von Archivbildern rekonstruierte Martinsson eine rund zweihundert Jahre umfassende Bildgeschichte zu Gletschern des arktischen Archipels Svalbard. Gemeinsam mit einem Glaziologen lokalisierte er vor Ort die dargestellten Motive, um diese aus exakt derselben Perspektive zu reproduzieren. In der Gegenüberstellung von historischen Aufnahmen und aktuellen Refotografien wird ein Rückgang des Eises deutlich. Bilddokumente aus dem Kontext von Exploration, Landnahme und kartografischer Erschließung werden als visuelle Referenz für das Schwinden der Gletscher umgedeutet. Diesem über den visuellen Vergleich operierenden Ansatz steht die Werkserie von Charrière gegenüber, die über die Wahl des Materials argumentiert. Mit dem Findling eignet sich Charrière eine Gesteinsformation an, die erst durch den Rückzug der eiszeitlichen Gletscher verfügbar wurde. Für die Bearbeitung der großen Gesteinsbrocken greift er mit der Kernlochbohrung auf eine Methode aus dem Kontext von Wissenschaft und Rohstoffabbau zurück. Sowohl den Arbeiten von Charrière als auch von Martinsson ist gemein, dass sie langfristige Veränderungen der arktischen Landschaft reflektieren und so einen Wandel in der kulturellen Auffassung dieser Region widerspiegeln, die von einer Gefahrenzone und dem Ort ewigen Eises zu einem durch menschliche Eingriffe gefährdeten Ökosystem geworden ist.
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