Der Gerichtsprozess als Aufführung

  • Anna Königshofer (Autor/in)

Identifier (Artikel)

Abstract

Die künstlerische Arbeit Please, Continue (Hamlet) von Yan Duyvendak und Roger Bernat lässt denselben Fall, angelehnt an das Shakespeare’sche Drama Hamlet, von unterschiedlichen Gerichten wiederholt verhandeln. Am Ende der Prozesse werden die Geschworenen per Zufall aus dem Publikum ausgewählt, um über Hamlet Recht zu sprechen. Das Ergebnis: Mehr als 125 Aufführungen führten zu fast genauso vielen Schuld- wie Freisprüchen. Zeitgleich inszeniert Milo Rau mit Jurist_innen, Journalist_innen und persönlich Involvierten Die Zürcher Prozesse, in denen die rechtspopulistische Schweizer Wochenzeitung „Die Weltwoche“ und ihre journalistischen Darstellungsstrategien in Bezug auf die muslimische Gemeinschaft in der Schweiz angeklagt werden. Während die Anklage sich auf die gesellschaftlichen Verantwortung der Medien konzentriert, plädiert die Verteidigung für das Prinzip der Meinungsfreiheit. Am Ende siegt letztere: Die Geschworenen sprachen die Wochenzeitung in allen Anklagepunkten frei.  Lässt sich das gerichtliche Urteil also auf eine dem Prozess vorgängige Wahrheit zurückführen, oder beruht es nicht viel mehr auf den einmaligen, unwiederholbaren Darstellungsleistungen von Anklage, Verteidigung und Betroffenen? Da sie gleichzeitig Theater und Gericht sind, werden die Aufführungen mit dem Begriff der Performances als hybride Institutionalisierung analysiert. Durch die Verknüpfung von theater- bzw. performancetheoretischen Positionen mit rechtsphilosophischen Ansätzen kann das herausgearbeitet werden, was ich den performative Charakter rechtlicher Verfahren nenne möchte.

 

Statistiken

loading

Literaturhinweise

Arendt, Hannah (1960): Vita activa oder Vom tätigen Leben. Stuttgart: Kohlhammer, S. 30.

Austin, John L. (1962): How to do things with words. Oxford: Oxford University Press

Bernstorff, Elise von (2014): Das theatrale und das bürokratische Dispositiv des Gerichts. In: Burri, Regula Valerie (Hg) u.a.: Versammlung und Teilhabe. Bielefeld: transcript, 281-298

Bertel, Christial / Venier, Andreas (2015): Strafprozessrecht. 8. Auflage, Wien: Manz

Butler, Judith (2002): Performative Akte und Geschlechterkonstitution. Phänomenologie und feministi- sche Theorie. In: Wirth, Uwe (Hg.): Performanz zwischen Sprachphilosophie und Kulturwissenschaf- ten. Frankfurt a. Main: Suhrkamp, 301-323

Der Bundestrat. Schweizer Eidgenossenschaft (2015): Das Schweizer Strafgesetzbuch. in: URL: https://www.admin.ch/gov/de/start.html Stand 20.05.2016

Eikels, Kai van (2013): Kunst des Kollektiven. Performance zwischen Theater, Politik und Sozio-Ökonomie. München: Wilhelm Fink

Fischer-Lichte, Erika (2001): Ästhetische Erfahrung. Das Semiotische und das Performative. Tübingen: Francke

Fischer-Lichte, Erika (2004): Ästhetik des Performativen. Frankfurt am Main: Suhrkamp

Fischer-Lichte, Erika (2012): Performativität. Eine Einführung. Bielefeld: transcript

Fischer-Lichte, Erika / Roselt, Jens (2001): Attraktion des Augenblicks – Aufführung, Performance, performativ und Performativität als theaterwissenschaftliche Begriffe. In: Fischer-Lichte, Erika / Wulf, Christoph (Hg.): Theorien des Performativen. Paragrana, internationale Zeitschrift für Historische Anthropologie. Band 10, Heft 1. Berlin: Akademie Verlag, 237-255

Hornblower, Simon / Spawforth, Antony (Ed.) (1996): The oxford classical dictionary. Oxford / New York: Oxford University Press, S. 42.

Königshofer, Anna (2016): Performance als hybride Institutionalisierung: Der Gerichtsprozess als Aufführung oder der performative Charakter rechtlicher Verfahren. Dipl.-Arb., Saarbrücken: AkademikerVerlag

Krischer, André (2010): Das Problem des Entscheidens in systemischer und historischer Perspektive. In Stollberg-Rilinger, Barbara (Hg.): Herstellung und Darstellung von Entscheidungen: Verfahren, Verwalten und Verhandeln in der Vormoderne. Berlin: Duncker & Humbolt, 35-63

Lehmann, Hans-Thies (1999): Postdramatisches Theater. Frankfurt am Main: Verlag der Autoren

Luhmann, Niklas (1983): Legitimation durch Verfahren. Frankfurt a. M.: Suhrkamp

Ploder, Andrea (2011): The Power of Performance : methodologische Neuorientierungen in den Sozial- wissenschaften. In: Lechleitner, Gerda / Liebl, Christian (Ed.): Jahrbuch des Phonogrammarchivs der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Göttingen : Cuvillier Verlag, 139-168

Prechtl, Peter / Burkard, Franz-Peter (2008): Metzler Philosophie Lexikon: Begriffe und Definitionen. Stuttgart: Metzler

Rau, Milo (2014): Die Zürcher Prozesse / Die Moskauer Prozesse. Berlin: Verbrecherverlag

Shakespeare, William (2007 [1969]): Hamlet. Stuttgart: Reclam

Wagner, Astrid (2006): Das Geschworenengericht: Eine rechtsvergleichende Analyse. Diss., Universität Wien

Sprache
de
Schlagworte
Gerichtsprozess, Performance, künstlerische Forschung, Aufführung