Die 2015 von der Philosophischen Fakultät der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf angenommene und für den Druck geringfügig überarbeitete Dissertation bietet die erste monografische Darstellung zu den Boten der Nationen an der mittelalterlichen Universität Paris. Dass eine solche trotz einschlägigen Versuchen, die bis ins 17. Jahrhundert zurückreichen, bisher noch nicht vorliegt, ist leicht durch die mit dem Thema verbundenen Schwierigkeiten erklärbar. Zum einen ist die Quellenlage schwierig (an normativen Texten steht überhaupt nur das »Statutum nationis Gallicanae de nuntiis creandis« von 1472 zur Verfügung; abgesehen davon bieten vor allem die Aufzeichnungen der Nationen, und hier insbesondere jene der englisch-deutschen Nation, der Pariser Universität Informationen zum Thema, die mühsam gesammelt werden müssen; dazu kommt noch die zum Teil schlechte Editionslage bei den ausgewerteten Quellen), andererseits ist die zeitgenössische Terminologie für die Boten alles andere als stringent, sodass die Abgrenzung von Boten der Nationen zu anderweitigen Boten nicht immer einfach und oft auch nicht eindeutig ist. In der Einleitung (S. 11–42) legt die Verfasserin diese terminologische Problematik dar und gibt über das Corpus der ausgewerteten Quellen Auskunft.

Der folgende umfangreiche Hauptteil der Arbeit (S. 43–417) gliedert sich in drei große Abschnitte: Zunächst wird die Geschichte der Boten der Nationen dargelegt, wobei der »Vorgeschichte« (mit der erstmaligen Erwähnung von Boten im akademischen Bereich in der »Authentica ›Habita‹« Barbarossas) viel Platz eingeräumt wird, um anschließend die ersten Belege für Boten der Nationen in Paris zu untersuchen – insbesondere für das 13. und 14. Jahrhundert ist hier eine Scheidung zwischen Boten der Nationen und anderen Boten kaum möglich, erst 1368 wird zum ersten Mal ein Bote ausdrücklich als Bote einer (nämlich der normannischen) Nation bezeichnet. Im Folgenden wird die Institutionalisierung des Amtes im Laufe des 15. Jahrhunderts, für welches die Quellenlage bei Weitem besser ist, erläutert.

Im zweiten Abschnitt wird das »Institut« der Boten der Nationen en détail dargelegt: die mit dem Botenamt verbundenen Rechte und Privilegien, das Zulassungsverfahren und die damit in Zusammenhang stehenden Handlungen, die Amtszeit der Boten sowie ihre Anzahl und Zuordnung (die vor allem in den 1440er‑Jahren aufgrund der mit dem Amt verbundenen Privilegien zu beobachtende zahlenmäßige Zunahme der Boten der Nationen wurde besonders durch Druck von außen schließlich auf einen Boten pro Diözese beschränkt) sowie der Missbrauch des Amtes; abschließend werden die spärlichen Informationen zu Herkunft, Wohnort, Standeszugehörigkeit und Berufen der Boten der Nationen ausgewertet.

Der dritte Abschnitt des Hauptteils ordnet die Boten in die Kommunikationsgeschichte ein und skizziert ihre räumliche Zuständigkeit und ihr Kommunikationsnetz; anhand der (hier allerdings wohl nicht als Boten der Nation fungierenden) Boten der in Paris studierenden Bruno und Basilius Amerbach (um 1500) wird ein konkretes Beispiel detaillierter erläutert, das aufgrund der vorhandenen Familienkorrespondenz einen tieferen Einblick in die einschlägige Botenpraxis ermöglicht, als das sonst möglich ist.

Der Schluss (S. 418–432) fasst die Ergebnisse der Monografie zusammen. Daran anschließend folgt noch ein umfangreicher Anhang, der neben den üblichen Literatur- und Quellenverzeichnissen sowie Registern vor allem eine sehr nützliche Liste der Boten der Nationen der Universität Paris bis 1500, geordnet nach Nationen und mit genauen Quellenbelegen, bietet. Eine Reihe von Karten und Abbildungen veranschaulicht das behandelte Thema auch visuell; ob die von der Verfasserin offenbar sehr geliebten (61!) Tabellen/Diagramme in jedem einzelnen Falle unbedingt notwendig sind, wird jede Benützerin und jeder Benützer des Bandes selber entscheiden können. An der einen oder anderen Stelle (insbesondere bei der Erläuterung der einzigen bildlichen Quellen zu den Boten der Nationen an der Pariser Universität im »Liber procuratorum« der pikardischen Nation) wäre vielleicht, vor allem für eine mit der Universitätsgeschichte weniger vertraute Leserschaft, eine etwas bessere Kontextualisierung bzw. Erläuterung (etwa der allgemeinen Funktion dieser Illustrationen im Rahmen der Handschrift) sinnvoll gewesen.

Dass im Rahmen einer solch umfangreichen Arbeit kleinere Versehen unterlaufen, liegt fast in der Natur der Sache: S. 33 Anm. 154 und S. 34 Anm. 167 muss es »British Library, Add. 17304« statt »British Library, ms. 17304« heißen (im Quellenverzeichnis S. 485 abweichend mit »Nr. 17403« zitiert, wie dort generell bei Handschriften das eher ungewöhnliche »Nr.« konsequent verwendet wird); mehrfach sind kleinere Defizite bei lateinischen Zitaten festzustellen (vgl. S. 420: pars ist ein Femininum, sodass man nicht von »einem…pars« sprechen sollte; S. 54: »Index chartarum pertinentium ad historiam universitatis Parisiensem« (statt »Parisiensis«); hier muss es außerdem »Index chronologicus« lauten, wie im Quellenverzeichnis S. 493 auch richtig angegeben).

Insgesamt stellt die Arbeit einen willkommenen und mit sehr viel Fleiß erstellten Beitrag zur mittelalterlichen Geschichte der Pariser Universität und ihrer Nationen wie auch zur Kommunikationsgeschichte dar, zumal die Erforschung der Pariser Universitätsgeschichte, die naturgemäß von französischsprachigen Publikationen dominiert wird, mit dem Band auch einem deutschsprachigen Publikum ohne Sprachbarriere nähergebracht wird.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Martin Wagendorfer, Rezension von/compte rendu de: Martina Hacke, Die Boten der Nationen der Universität von Paris im Mittelalter. Von den Anfängen bis zum Ende des Mittelalters. Entstehung und Ausgestaltung eines universitären Kommunikationsinstituts, Husum (Matthiesen) 2022, 612 S., zahlr. Abb. (Historische Studien, 513), ISBN 978-3-7868-1513-6, EUR 79,00., in: Francia-Recensio 2023/4, Mittelalter – Moyen Âge (500–1500), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2023.4.101287