Der Sammelband publiziert die Beiträge einer Tagung, die 2020 in Stuttgart im Rahmen einer Ausstellung zu Margarete von Savoyen stattgefunden hat. Nachdem dazu ein Begleitbuch mit Katalog erschienen ist, der die 1420 als Tochter des Herzogs Amadeus VIII. und seiner Gemahlin Maria von Burgund geborene Margarete und ihr wechselvolles Leben in den Blick nahm, stehen die als »Tochter des Papstes« bekannte Fürstin und ihre familiären Kontexte auch im Zentrum dieses Bandes. Darüber hinaus jedoch werden in einem vergleichenden Zugriff die »Lebenswelten« weiterer »adeliger Frauen« im Südwesten des Reiches vorgestellt. Es wird nach Heiratsstrategien und Handlungsspielräumen sowie der jeweiligen Bedeutung verwandtschaftlicher Netzwerke und geschlechterspezifischer Rollen gefragt.
Der Band ist in drei Abschnitte gegliedert, die »Haus und Herrschaft Savoyen« (S. 18–74), »Margarete von Savoyen: Königin, Kurfürstin, Gräfin« (S. 75–129) und »Fürstinnen: Handlungsspielräume und kulturelle Profile« (S. 130–270) thematisieren, eingerahmt durch eine »Einführung« der Herausgeber und der Herausgeberin (S. 7–17) und die »Schlussworte« von Jörg Peltzer (S. 217–276). Thematischer Ausgangspunkt ist Savoyen als ein in der Forschung weitgehend vernachlässigter Raum, der jedoch nicht zuletzt durch die dynastischen Verbindungen eng mit dem Südwesten des Reichs verwoben war und als bedeutend wahrgenommen wurde, so Klaus Oschema. Wichtige politische Einschnitte waren die Rangerhöhung der Grafschaft zum Herzogtum 1416 sowie die Wahl Amadeus’ VIII. zum (Gegen-)Papst durch die Konzilsväter in Basel 1439 (Elisa Mongiano). Die Eheschließungen der regierenden Grafen und Herzöge spiegeln deren politischen Ehrgeiz wider. Seit dem ausgehenden 13. Jahrhundert verstand man es, ranghöher zu heiraten, und seit den 1430er-Jahren auch erfolgreich um Königstöchter zu werben (Thalia Brero mit einer Liste der Heiratsverbindungen bis 1684).
Der zweite Hauptabschnitt beschäftigt sich mit den drei Ehen Margaretes, die 1434 nur für einige Monate mit Ludwig III. von Anjou verheiratet war, als jung verwitwete »Königin ohne Krone« schnell wieder im Heiratskarussell landete, schließlich 1445 den Kurfürsten Ludwig IV. von der Pfalz ehelichte und damit erneut eine Ehe eingehen musste, so Eva Pibiri, die politisch und finanziell enttäuschend verlief. Den langwierigen Streit um die Besitz- und Versorgungsansprüche diskutiert Erwin Frauenknecht als Streit zwischen Pfalz und Württemberg während Margaretes dritter Ehe mit Ulrich V. von Württemberg, den Margarete 1453 geheiratet hatte. Als Württemberger Gräfin lebte sie mehr als 25 Jahre bis zu ihrem Tod am Stuttgarter Hof zwischen »fürstlichem Prunk und finanziellen Nöten«, aber wohl, so Anja Thaller, in einem vertrauensvollen Verhältnis zu ihrem Gatten, wodurch es ihr möglich gewesen sei, sich »an Aufgaben in Herrschaft und Politik, Repräsentation und Memoria (zu) beteiligen« (S. 115).
Im dritten Teil werden »Handlungsspielräume und kulturelle Profile« weiterer weltlicher und geistlicher Fürstinnen ausgelotet und die »Internationalität« der Württemberger Fürstinnen hervorgehoben (Peter Rückert). Wie schwierig es jedoch ist, kulturelles Engagement adeliger Frauen heute zu erfassen, diskutiert Martina Backes am Beispiel der Bücher Margaretes, die sie nicht ihrer Tochter vermachte, sondern ihrem Sohn, dem Kurfürsten Philipp, der sie ohne Besitz- und Herkunftsvermerke in seine Heidelberger Bibliothek integrierte. Die literarischen Interessen Margaretes kontrastiert Christa Bertelsmeier-Kierst mit den kulturellen Interessen weiterer Fürstinnen und sieht einen deutlichen Zusammenhang zwischen literarisch-künstlerischem Engagement und Regierungsverantwortung im Rahmen einer Regentschaft, so bei Margaretes Schwägerin Mechthild von der Pfalz, die »als Literatur- und Kunstmäzenin ein starkes eigenständiges Profil entwickelt« (S. 177) habe.
Die Frage nach Geschlecht und »agency« wirft Christina Antenhofer auf und untersucht diese am Beispiel habsburgischer Fürstinnen des 15. Jahrhunderts. Sie entwickelt ein Analyseraster relevanter Faktoren (Herkunft, Alter, Ressourcen, familiäre Strukturen, Lebensphasen, Netzwerke, Überlieferung, Handlungsmöglichkeiten in Politik, Kultur und Religion) und zeigt einmal mehr, dass erst »die Zusammenschau von Handlungen, Netzwerken und strukturellen Faktoren […] differenziertere Einblicke in das Leben und Wirken von Fürstinnen wie auch Frauen aus anderen sozialen Schichten« (S. 204) eröffnen kann.
Die Bedeutung der Herkunftsfamilien thematisiert Sigrid Hirbodian für geistliche Frauen, die meist in sehr jungen Jahren für den geistlichen Stand bestimmt wurden, aber ihren Familien, die eine klare Erwartungshaltung an sie hatten, oftmals eng verbunden blieben und in deren Interesse handelten, wenn sie das Amt der Äbtissin erlangten. Hinsichtlich der Rollenerwartung der Herkunftsfamilien, so Hirbodian, unterschieden sich die geistlichen Frauen nicht von den verheirateten, die gleichermaßen daran gemessen wurden, wie sie die ihnen zukommenden Aufgaben erfüllten und welchen Grad an Respekt und Anerkennung sie sich dabei erwarben.
Mit Katharina von Württemberg nimmt Racha Kirakosian das spannende Einzelschicksal der Stieftochter Margaretes von Savoyen in den Blick, die erst spät, mit 20 Jahren, in das prämonstratensische Doppelkloster Adelberg eintrat, 1476 mit dem gesamten Konvent ins Dominikanerinnenkloster Lauffen umziehen musste und schließlich aus finanziellen Gründen oder wegen der ungewohnten Klausurregeln dem Klosterleben entfloh. Die »Kanonisse auf der Flucht« lasse sich insgesamt als »eine selbstbestimmte Frau« (S. 224) beschreiben, die sich dauerhaft der Anordnung Papst Innocenz’ VIII. auf Rückkehr widersetzte und im Würzburger Bischof einen Unterstützer fand. Materiellen Spuren der württembergischen Hofkultur gehen Ingrid-Sibylle Hoffmann und Julia Bischoff nach und finden diese in der Festkultur, in der Bautätigkeit und der bildlichen Selbstdarstellung.
Wie ein roter Faden zieht sich die Frage durch den Band, ob die behandelten Fürstinnen »starke Frauen« waren, eine Frage, die Jörg Peltzer am Ende noch einmal aufgreift und die im »Titel aufgemachte Dialektik zwischen ›starker Frau‹ und ›schwachem Geschlecht‹ als bewusste Provokation« versteht, die »zum Auflösen paternalistischer Denkfiguren bei der Erforschung von Frauen in historischer Perspektive beitragen« (S. 276) soll. Der vorliegende Band leistet dazu einen wichtigen Baustein und eröffnet neue, faszinierende Einblicke in weibliche adelige Lebenswelten im Südwesten des Reichs und in die Möglichkeiten und Grenzen des Handelns spätmittelalterlicher Fürstinnen.
Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:
Amalie Fößel, Rezension von/compte rendu de: Klaus Oschema, Peter Rückert, Anja Thaller (Hg.), Starke Frauen? Adelige Damen im Südwesten des spätmittelalterlichen Reiches, Stuttgart (Kohlhammer) 2022, 292 S. (Sonderveröffentlichungen des Landesarchivs Baden-Württemberg), ISBN 978-3-17-042251-3, EUR 28,00., in: Francia-Recensio 2023/4, Mittelalter – Moyen Âge (500–1500), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2023.4.101301