Hagiografische Studien sind seit geraumer Zeit geradezu in Mode gekommen, aber trotzdem gibt es Arbeiten, die aus der Masse der Veröffentlichungen herausragen. Dazu gehört das hier besprochene Buch, das eine überarbeitete Version der Doktorarbeit darstellt, die der Autor 2016 abgeschlossen hat und die unter der Leitung von Hélène Débax, Mediävistin an der Universität Toulouse, und Monique Goullet, Mittellateinerin am CNRS, verfasst wurde.
Ziel der Studie ist es, zu untersuchen, wie in Bezug auf die ersten Bischöfe des Languedoc ein kollektives Gedächtnis entstanden ist. Mit einem interdisziplinären Ansatz – der Autor ist Historiker und Philologe – geht es einerseits um ein besseres Verständnis der Geschichte des Languedoc, und andererseits um die Analyse der etappenweise verlaufenden Entwicklung und Verwendung eines hagiologischen Diskurses im Laufe eines Zeitraums, der praktisch das ganze Mittelalter umfasst (von den spätantiken/frühmittelalterlichen Anfängen bis zum 14. Jahrhundert).
Für einige hagiografische Dossiers des Languedoc, die hier als Grundlage dienen, hat sich die Forschung seit geraumer Zeit interessiert – jene des Saturninus von Toulouse und des Paulus von Narbonne insbesondere –, andere Texte und Textsammlungen sind weniger bekannt, z. B. jene des Amantius von Rodez und des Aphrodisius von Béziers oder die Wundersammlung des Privatus von Mende.
Es ist dabei besonders lobenswert, dass F. Peloux die Handschriften selbst dieser Texte als Quellen betrachtet, und nicht die oft problematischen Editionen der Neuzeit. Hier spielt das Legendarium aus Moissac (BNF, Ms. Lat. 5304 und 17002) eine besondere Rolle, das aus der Zeit der Jahrtausendwende stammt und mit 150 zum Teil sonst kaum oder nicht überlieferten Texten zu den größten Textsammlungen dieser Zeit gehört. Über dieses hatte der Autor bereits vorher einen Tagungsband veröffentlicht. Datierungsfragen, Untersuchungen zur Intertextualität – die réécriture hagiographique ist ein Ansatz, der sich in den letzten zwei Jahrzehnten als sehr fruchtbar erwiesen hat – und interdisziplinär durchgeführte kontextualisierende Analysen haben eine solche Vielzahl an Ergebnissen gebracht, dass es unmöglich ist, sie hier alle zu präsentieren.
Es soll daher nur angemerkt werden, dass einmal mehr klar wird, dass die Unstimmigkeiten im Werk Gregors von Tour deutlich machen, wie sehr schon zu jener Zeit die Vergangenheit zum Teil mithilfe älterer anonymer Quellen rekonstruiert wurde. Die Ausbildung dessen, was man als die Grundlage des kollektiven Gedächtnisses der Christianisierung des Languedoc bezeichnen kann, wird wohl im 6. Jahrhundert stattgefunden haben. Im 7. Jahrhundert dagegen schweigen die hagiografischen Quellen dieser Region erstaunlicherweise, ganz anders als z. B. in den nördlichen Gegenden.
Während in der Zeit vom 5. zum 9. Jahrhundert vor allem lokalgeschichtliche Ereignisse von den Hagiografen in die allgemeine Geschichte des Christentums integriert wurden, ändert sich die Perspektive seit der Karolingerzeit. Nun versuchen die Autoren im beginnenden Feudalzeitalter, die christliche Geschichte im lokalen Raum zu verankern. So entstanden neue Texte, in denen die fränkischen Herrscher, aber besonders auch das Thema der apostolischen Ursprünge der Bischofssitze an Bedeutung gewannen. Deutlich wird auch die Existenz innerstädtischer Konkurrenzsituationen, besonders, wenn Reliquien von Bistumsgründern nicht in der Kathedrale, sondern in benachbarten Klöstern aufbewahrt wurden. Ab dem Spätmittelalter lässt sich dann beobachten, wie der hagiografische Diskurs juristisch instrumentalisiert wird. So erweist sich das 14. Jahrhundert als erstaunlich reich an hagiografischer Produktion, was sicher mit der beginnenden Konstruktion des Staates, aber wohl auch mit der Präsenz der Päpste in Avignon zusammenhängt: Lokale Spannungen haben es nötig gemacht, geschichtlich Klarheit zu schaffen, und die dauerhafte Anwesenheit der Nachfolger des heiligen Petrus machte eine hagiografische Legitimation dafür nötig, dass Rom sich nun in Südfrankreich befand.
Da die existierenden Ausgaben der meisten Viten und Wundersammlungen nicht den modernen Anforderungen an Editionen entsprechen, ist es lobenswert, dass F. Peloux im Anschluss an seine Analyse noch fünf lateinische Texte publiziert hat, die Handschriften berücksichtigen, die die bisherigen Herausgeber vernachlässigt haben. Es handelt sich um die Vita und die Mirakelsammlung des Amantius von Rodez (BHL 351–352), die Vita des Dalmatius von Rodez (BHL 2084), die Vita des Hilarius von Gévaudan (BHL 3910–3911), die Vita des Paulus von Narbonne (BHL 6589), sowie die Passion des Privatus von Mende (BHL 6932).
So bleibt uns nur zu hoffen, dass das Buch viele Benutzer und Leser findet. Für die, die nicht über das Languedoc arbeiten, ist es zumindest in methodischer Sicht bereichernd und stimulierend.
Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:
Klaus Krönert, Rezension von/compte rendu de: Fernand Peloux, Les premiers évêques du Languedoc. Une mémoire hagiographique médiévale, Genève (Librairie Droz) 2022, 616 p. (Hautes Études médiévales et modernes, 115), ISBN 978-2-600-05752-3, EUR 51,70., in: Francia-Recensio 2023/4, Mittelalter – Moyen Âge (500–1500), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2023.4.101302