Der Gegenstand, dem sich der hier zu besprechende Sammelband widmet, hat bis in die Gegenwart nichts von seiner Aktualität verloren. Umstrittene, mit ihrer Gemeinde in Konflikt stehende, sich größerer Gegenwehr ausgesetzt sehende Bischöfe finden sich weltweit. Steffen Patzold verweist in seiner Zusammenfassung des Bandes auf die aktuelle Situation in Deutschland, wo etwa der ehemalige Limburger Bischof Franz-Peter Tebartz van Elst insbesondere ob der ausufernden Kosten für den Umbau des Bischofshauses in seiner Bischofsstadt einhellige Kritik auf sich zog und schließlich auf sein Amt verzichtete. Ungleich schwerwiegender gestalten sich die zahllosen Missbrauchsvorwürfe gegen Kleriker, die Bischöfe in der jüngeren Vergangenheit in der Bundesrepublik bewusst ignoriert, deren Aufarbeitung durch die Strafverfolgung sie bewusst verschleppt oder behindert haben oder denen sie sich sogar selbst ausgesetzt sehen.

An Bischöfen geübte Kritik und der Widerstand gegenüber episkopaler Machtausübung findet sich natürlich nicht erst in der Gegenwart. Epochenübergreifend präsentiert sich auch der vorliegende Band, der aus einer im Oktober 2015 an der Universität Luxemburg veranstalteten Tagung im Rahmen des Projektes »LODOCAT« hervorgegangen ist. Er widmet sich dem Phänomen des umstrittenen Bischofs zwischen dem 11. und 17. Jahrhundert. Zeitlich eingerahmt werden die Beiträge von der Gregorianischen Reform des 11. sowie der protestantischen und katholischen Reform des 16. und 17. Jahrhunderts, da die damals eingetretenen Transformationsprozesse nach Auffassung der Herausgeber auch den Hintergrund für deutlich geäußerte Kritik an Bischöfen und bischöflichem Amt erlauben. Der zeitliche Rahmen ermögliche es, den Wandel des Bischofsbildes und den damit verbundenen Möglichkeiten der Kritik auf drei Ebenen der Identitätsbildung nachzuvollziehen: auf der Ebene der Person des Bischofs, der bischöflichen Funktion und des Raumes des Bistums bzw. des Fürstentums. Dennoch können die Beiträge, wie Hérold Pettiau und Anne Wagner in ihrer Einleitung konstatieren, einzig explorativen Charakter haben, wodurch sich der Band in seinen einzelnen Aufsätzen als erhellender Beitrag zum bereits vielfach bearbeiteten Episkopat und dessen Umfeld zwischen dem hohen Mittelalter und dem Beginn der Neuzeit erweist, in seiner gesamten Anlage hingegen daraus bedingt eine übergeordnete Struktur etwas vermissen lässt.

Insgesamt hat der Band neben Einleitung und Zusammenfassung zehn Beiträge in französischer und englischer Sprache zum Inhalt. Die Beiträge selbst sind noch einmal in vier übergeordnete Sektionen untergliedert. Der Band schließt mit den üblichen Verzeichnissen und kurzen Zusammenfassungen der einzelnen Texte. Die erste Sektion (drei Beiträge, S. 21–75) handelt über den Episkopat in Lothringen im 11. und 12. Jahrhundert in seiner Position zwischen dem deutschen König und dem Papst. Im Fokus stehen (Erz)Bischöfe aus den Bistümern Reims, Cambrai und Tours. So verweist John S. Ott auf die dem Erzbischof Manasses von Reims in der späteren Überlieferung zukommende Rolle als Negativbeispiel und Simonisten und macht deutlich, wie der »böse« oder »schlechte« Bischof sowohl zu Lebzeiten durch entsprechende Gerüchte und Berichte erzeugt werden kann als auch posthum in Form entsprechend ausgerichteter und manipulierter Überlieferung. Die nachträglich verfasste Historiografie mag aber auch, wie im Fall der von Nicolas Ruffini-Ronzani untersuchten »Gesta Galcheri«, der Lebensbeschreibung Bischof Walchers von Cambrai, zu der Verteidigung und Apologie des Protagonisten bestimmt gewesen sein.

Die zweite Sektion (zwei Beiträge, S. 79–122) betrachtet den Aufstieg kirchlicher Territorialfürstentümer gegenüber den bestehenden weltlichen Mächten zwischen dem 11. und 13. Jahrhundert. Michel Margue etwa fragt nach den Ursachen des negativen Bildes des Metzer Bischofs Renaud de Bar (1302‑1316), doch geht es ihm zurecht nicht darum, die gegen Renaud erhobenen Vorwürfe zu prüfen, vielmehr interessieren ihn die Auswirkungen bzw. Grenzen, die diese Darstellungen auf die Machtbeziehungen zwischen dem Bischof und der Stadt sowie dem Klerus, aber auch auf solche zwischen dem Grafenhaus von Bar und den höheren Mächten auf einer überregionalen Ebene gehabt haben. Margue kann sehr überzeugend aufzeigen, wie die Etablierung Renauds als eines gemeinsamen Feindbildes von weitgehend allen Teilen der Stadt und der Diözese vorangetrieben wurde.

Sektion drei (zwei Beiträge, S. 125–162) widmet sich unterschiedlichen Modellen des Episkopats im allgemeinen Kontext des »Abendländischen Schismas« im 14. und 15. Jahrhundert. Im Zusammenhang dieser Zeit der Krisen fragt Christine Barralis nach den an (Erz)Bischöfe im 15. Jahrhundert gerichteten Erwartungen anhand der »Gesta Treverorum«, die die Geschichte der Trierer Erzbischöfe behandeln. Deutlich kann sie zeigen, dass das positive Image der Erzbischöfe in spiritueller Hinsicht weniger auf ihre pastorale Tätigkeit gegenüber den Gläubigen und die Sorge um ihre Betreuung zurückzuführen ist, als vielmehr auf ihre persönliche Frömmigkeit und die Reform der Regularkirchen. Ihre vordergründig ausgeübte Rolle als Fürstbischöfe wird den Erzbischöfen hingegen nicht zum Vorwurf gemacht, einzig die schlechte Ausübung dieses Amtes, etwa infolge der Verschwendung von Geldern oder Machtmissbrauchs.

Die abschließende Sektion (drei Beiträge, S. 165–222) steht im Zeichen der Reformation und Gegenreformation im 16. und 17. Jahrhundert. Frédéric Meyer zeigt exemplarisch, wie Bischöfe im langen 17. Jahrhundert die ihnen entgegengebrachte Unzufriedenheit aufgenommen und in ihr Modell von Heiligkeit einbezogen haben. Die gegen Bischöfe gerichtete Kritik, etwa infolge von persönlichem Lebensstil, ausgeprägter Bauwut oder ihrer dogmatischen und reformerischen Strenge wurde innerhalb der zu dieser Zeit zahlreich entstandenen Biografien von Bischöfen als imitatio Christi umgedeutet, als notwendiges Leid in Parallelität zu den von Christus erlittenen Angriffen und Schmähungen.

Insgesamt bietet der Band in seinen einzelnen Beiträgen gut lesbare Studien, die vielfältige Ergebnisse zur Person des umstrittenen Bischofs in ganz unterschiedlichen zeitlichen und räumlichen Bedingungen vorweisen. Die vorgenommene Unterteilung in vier Sektionen gibt dem Band zwar eine gewisse übergeordnete Struktur, doch führt die Zuordnung auch zu der bereits von Steffen Patzold in seiner Zusammenfassung angesprochenen Gefahr, an Bischöfen geäußerte Kritik nur in Zusammenhang von größeren Transformationsprozessen zu vermuten. Vielmehr können auch lokale Auseinandersetzungen, politische Verwerfungen im Kleinen oder schlicht familiäre oder persönliche Konflikte zur Kritisierung eines Bischofs herausfordern. Umso intensiver ermuntern die hier vorgelegten Beiträge zur vertiefenden Auseinandersetzung mit der Thematik.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Matthias Weber, Rezension von/compte rendu de: Hérold Pettiau, Anne Wagner (dir.), L’Évêque contesté. Les résistances à l’autorité épiscopale des Pays-Bas à l’Italie du Nord, Paris (Classiques Garnier) 2023, 249 p. (Histoire religieuse, 5), ISBN 978-2-406-13356-8, EUR 25,00., in: Francia-Recensio 2023/4, Mittelalter – Moyen Âge (500–1500), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2023.4.101303