Spätestens seit den Untersuchungen von M. Colish (1994) und Ph. Rosemann (2004) hat sich der Blick auf die Sentenzen des Petrus Lombardus gewandelt. Über seinen Beitrag zur scholastischen Methode hinaus wurde nun auch seine inhaltliche, theologische und systematische Leistung gewürdigt. Die vorliegende bei Rainer Berndt angefertigte Dissertation versucht auf dieser Linie die Bedeutung der Eucharistielehre des Petrus Lombardus im Rahmen der Gesamtsystematik der Sentenzen zu erheben.

In der Einleitung werden die Sentenzen in ihrem theologiegeschichtlichen Kontext verortet, Leben und Werk des Petrus Lombardus skizziert sowie Einflüsse zeitgenössischer Denker auf die Sentenzen angedeutet, um dann Anliegen und Aufbau der Arbeit zu umreißen: Es soll gezeigt werden, dass die Sentenzen – über ihre logisch-systematische Gliederung hinaus in heilsgeschichtlicher Sicht –, ausgehend von der Sendung des Sohnes und des Geistes, den geistlichen Weg des Menschen zu Gott durch das Heilswerk Christi beschreiben, auf dem der Eucharistie eine zentrale Rolle bei der Vergegenwärtigung des göttlichen Heilswirkens zukommt (S. 35).

Um dies zu zeigen, unternimmt der Verfasser im ersten Teil eine Strukturanalyse, in der er die Gliederung der Sentenzen mit anderen, in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts entstehenden Sentenzensummen und deren Einordnung des Eucharistietraktats vergleicht. Dabei wird nicht nur eine vielfältige Suchbewegung in dieser Zeit deutlich, sondern auch das zunehmende Bemühen, in das heilsgeschichtliche Grundschema eine logisch-systematische Ordnung einzutragen. In den Sentenzen des Petrus Lombardus lässt sich dabei, neben der logisch-systematischen Grundgliederung, das heilsgeschichtliche Schema und damit nicht nur eine absteigende Linie von Gott zu den Geschöpfen, sondern auch eine aufsteigende Linie, nämlich – vermittelt durch den, der der Weg ist (S. 90f.) – der Rückkehr des Menschen zu Gott erkennen, bei der auch die Sakramente eine wichtige Rolle spielen (S. 94; 101).

Im zweiten Teil untersucht der Verfasser die philosophische Grundlage in den Sentenzen im Blick auf die für die Eucharistielehre relevante Ontologie, und die Sicht des Petrus Lombardus wird wieder durch Vergleich mit Positionen von Zeitgenossen herausgearbeitet: dem »Antirealismus« (S. 110) Abaelards, der sich gegen eine Reifikation des Allgemeinen wendet, dem eher platonischen Formalismus bei Hugo von St. Viktor und dem ontologischen Formalismus bei Gilbert von Poitiers. Vor diesem Hintergrund bestimmt der Verfasser die von Petrus Lombardus verwendeten Begriffe substantia, forma und essentia, vor allem ihre Bedeutung im Rahmen der Eucharistielehre, und ordnet ihn in der Frage der Universalien als Vertreter eines ontologischen Realismus ein (S. 134). Im Blick auf die Anthropologie deutet sich eine Einteilung der Seele in Substanz und Formen an, zu deren letzteren dann auch die Freiheit des Menschen gehört, auch wenn die Bestimmung des liberum arbitrium selbst unstimmig bleibt (S. 140).

Insgesamt lassen sich, so der Verfasser, zwar keine charakteristischen Merkmale philosophischen Denkens bei Petrus Lombardus herausstellen, für das Eucharistieverständnis scheint aber wichtig, dass nicht die Denkmuster des Aristotelismus angelegt werden können. Die Neuheit beim Lombarden sieht der Verfasser in der Verbindung des Substanzbegriffs mit der relational-ontologischen Struktur von res und signa (hier wäre eine genauere Erläuterung hilfreich gewesen) sowie darin, dass die Ontologie offen ist für eine Anthropologie, die Raum lässt für die Freiheit des Menschen (S. 144f.).

Nach diesen Vorklärungen folgt im dritten Teil eine Analyse der Eucharistielehre des Petrus Lombardus im Gesamtentwurf der Sentenzen. Zur Darstellung des Gesamtentwurfs (I) erörtert der Verfasser die Sendung des Sohnes (Habitus-Theorie und Nihilianismus-Vorwurf) und des Geistes (Geist identisch mit der Liebe zu Gott und zum Nächsten) sowie die Gnaden- und Tugendlehre (Zusammenspiel von Gnade und Freiheit). Er zeigt, wie es Petrus Lombardus jeweils um die Wahrung der Unwandelbarkeit, aber auch der Unmittelbarkeit Gottes im Menschen als Weg der Erlösung geht.

Auf dieser Grundlage wird – ausgehend von der Entwicklung der Eucharistielehre des beginnenden 12. Jahrhunderts (II), in der sich neben einer zweigliedrigen Struktur von signum und sacrum secretum, das seinerseits wieder in die vera caro und die spiritualis caro aufgeteilt ist, vor allem die dreigliedrige Struktur von sacramentum tantum (Brot und Wein), sacramentum et res (wahrer Leib Christi) und res tantum (Kirche) herausbildet – die eigene Eucharistielehre des Petrus Lombardus dargestellt (III) und anhand ihrer wesentlichen Elemente verständlich gemacht (IV). Diese Elemente, die auch die folgende Analyse strukturieren, ergeben sich aus dem Prolog des Eucharistietraktats: (A) »Vollendung im Guten«, die in der Gemeinschaft der Kirche besteht; (B) »geistliche Nahrung und Erquickung« als Gnadenwirkung der caro Christi im Empfangenden; (C) die Gegenwart Christi, die für Petrus Lombardus ihre Bedeutung erst aus dem »Empfangen« – verstanden als doppeltes Essen in Entsprechung zur doppelten caro – gewinnt; in diesem Zusammenhang werden die Art der Präsenz (wahr, intakt, unsichtbar, in der Substanz) und das Geschehen der Wandlung als Substanzwandlung (gegen Annihilationstheorie und die Annahme einer Konsubstantiation) behandelt sowie – in einem Exkurs – die Erklärung des Petrus Lombardus in den Kontext der Entwicklung der Transsubstantiationslehre gestellt; (D) »Quelle und Ursprung aller Gnaden«, was die Eucharistie durch das Kreuzesopfer Christi ist; Petrus Lombardus versteht die Eucharistie als Opfer nicht nur in einem psychologisch-figurativen (Abaelard), sondern in einem sakramental-realistischen Sinne, wonach die Eucharistie das wahre Opfer Christi ist, aber in einer neuen Art der Gegenwart (S. 285); die virtus sacramenti wird dabei nicht mehr in der res, also in der unitas ecclesiae, gesehen, sondern in der Sündenvergebung und Vermittlung der Tugend; der Verfasser verortet schließlich (E) diese Wirkungen in den beiden trinitarischen Sendungen.

In einem Schlusskapitel führt der Verfasser die Ergebnisse seiner Untersuchung zusammen und ordnet sie in den theologischen Gesamtentwurf der Sentenzen ein, die ihm nun nicht mehr als sprödes Lehrbuch erscheinen, sondern als Ausdruck der Suche nach der lebendigen Begegnung mit Gott (S. 310). Der Anhang mit verschiedenen Schemata, einem Verzeichnis der Quellen und Sekundärliteratur sowie mehreren Indices schließen das Buch ab.

Insgesamt stellt die Arbeit einen weiteren verdienstvollen Beitrag zur Erschließung der lange Zeit unterschätzten eigenen Theologie des Petrus Lombardus dar. Als unverzichtbare Instrumente bewähren sich dabei die vom Verfasser verwendeten Methoden der Strukturanalyse, in der sich – neben ausdrücklichen Positionierungen des Petrus Lombardus – die Aufgliederung des Stoffs und die Einordnung der Zitate als erschließend erweisen, sowie des historischen Vergleichs mit den Ansätzen und Aufgliederungen der Traktate und Summen anderer Autoren dieser Zeit. Die Arbeit zeichnet sich durch subtile Textinterpretation und präzise Darstellung der zeitgenössischen Positionen aus und ist formal fast fehlerfrei. Der Verfasser gewichtet die Eucharistielehre im Rahmen der Sentenzen auffallend stark, kann aber dadurch wichtige Einsichten über die Theologie des Lombarden gewinnen. Die Bedeutung für die gegenwärtige Eucharistielehre (vgl. die Andeutung auf S. 16) hätte den Leser sicher noch interessiert.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Stephan Ernst, Rezension von/compte rendu de: Tobias Völkl, Via Duce – Die Eucharistie in der Theologie des Petrus Lombardus, Münster (Aschendorff) 2023, 372 S. (Corpus Victorinum, 10), ISBN 978-3-402-10453-8, EUR 76,00., in: Francia-Recensio 2023/4, Mittelalter – Moyen Âge (500–1500), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2023.4.101306