Der Band rekapituliert die Zusammenhänge zwischen »Femme et Folie sous l’Ancien Régime« in einem klugen Vorwort, analysiert diese in präzisen Fallstudien und nimmt damit für Frankreich in den Blick, was Michel Foucault in den Auflagen seines epochemachenden Werks »Histoire de la folie à l’âge classique« von 1961 bzw. 1972 kaum berührt und erst 1976 am Collège de France angesprochen hatte: den Unterschied zwischen den Geschlechtern in Bezug auf den Umgang mit Wahnsinn. Marianne Closson und Ghislain Tranié setzen in ihrem Vorwort an Marcel Gauchets Foucault-Kritik von 1994 an:

»›Si nous pensions contre lui, nous savions que c’était grâce à lui […] Il a tout simplement créé le sujet‹, l’histoire de la folie étant figée jusque-là dans un ›poussiéreux grand récit unificateur‹, célébrant les ›Lumières et le combat laïque du XIXe siècle‹« (S. 1).

Dass der Wahnsinn vielfältig ist, Frauen und Männer aber auf unterschiedliche Weise und in unterschiedlicher Wahrnehmung »wahnsinnig« sind, prägt den Umgang der europäischen Kulturen mit dem Phänomen seit der Antike, ob im Hinblick auf sozialdisziplinierende Maßnahmen, die philosophische und medizinische Durchdringung des Phänomens oder seine Behandlung in den Künsten.

Der Band nimmt eine internationale online-Tagung der Société internationale pour l’étude des femmes de l’Ancien Régime (SIÉFAR) und der Forschungsgruppen »Textes et cultures«, Université d’Artois, und »Littératures antiques et modernes«, Nantes Université, vom April 2021 auf. Ausgehend von historisch-politischen Einschnitten und den Folgerungen Foucaults, der »décriminalisation de la sorcellerie«, der »pathologisation de la folie« (S. 21) und dem damit einhergehenden »grand renfermement« (S. 23) der Wahnsinnigen im 17. und 18. Jahrhundert votiert das Vorwort »Pour une histoire genrée de la folie à l’époque moderne«. Der Ausschluss der Frauen aus der Politik im Gefolge der Fronde fällt mit der Zuschreibung von Passionen zusammen. Frauen seien demnach außerstande, »de contrôler leurs corps et leurs paroles« (S. 18), »la folie fait l’objet d’une condamnation religieuse et morale parce qu’elle reflète une nature féminine qui serait incapable d’accéder à la raison« (S. 17). Die »Histoire de la folie à l’âge classique« tritt als Geschichte der »folles« in den Blick. Drei Klassen lassen sich unterscheiden:

»Celles qui sont incluses dans la société parce que leur présence est indispensable à la réalisation des rites sociaux fondamentaux; celles qui éprouvent dans leur corps et par leur corps une folie les projetant hors d’elles et posant la question du sujet à un moment clé d’émergence de la personne – et de son genre; celles enfin qui se considèrent folles dans le Christ ou qui, au contraire, sont condamnées comme folles par leur incapacité à résister à l’hérésie ou à la sorcellerie« (S. 12–13).

Daraus folgt die Gliederung des Bandes. Unter dem Untertitel »Folles de Dieu, folles du diable« gibt sich Anfang des 17. Jahrhunderts eine namenlos bleibende Nonne als verrückt aus, um die Demütigste der Schwestern zu werden; die Gemeinschaft nimmt ihre »folie« als Erfahrung des Heiligen an (Eléna Guillemard). Die Konfessionalisierung hebelt diese Lesart aus: verrückt sind jetzt die Frauen, die ihre Gelübde buchstäblich befolgen bzw. die, die – aus Sicht der Reformatoren – den dazu erforderlichen Hochmut aufbringen; verlassen sie ihr Kloster, trifft sie derselbe Vorwurf. Das Kloster bleibt bis ins 19. Jahrhundert ein Ort für »folles«, und damit auch Schauplatz von Auseinandersetzungen über den weiblichen Wahnsinn (Ghislain Tranié).

Jean Wier, protestantischer Mediziner, will 1563 die Hexen als »povres vieilles folles« nicht länger strafen, sondern zum Glauben zurückführen (Astrée Ruciak). Die Übersetzung seines Werks ins Französische 1567 schreibt indes die Instrumentalisierung der Frauen durch den Teufel fest und damit ihre Passivität und »natürliche« Verderbtheit. Mystikerinnen, im 16. Jahrhundert noch anerkannte Glaubenszeuginnen, werden ab der Mitte des 17. Jahrhunderts als Gefahr für Kirche und Staat mundtot gemacht. Jeanne Guyon (1648–1707) wird als Häretikerin abgestempelt, Louise de Bellère du Tronchay, genannt Louise du Néant (1639–1707), als Irre (Bénédicte de Maumigny-Garban). Auch die »convulsionnaires« von St. Médard greifen die öffentliche Ordnung an. Seit sich am Grab des jansenistischen Diakons François de Pâris 1727 in Paris Kranke, Männer wie Frauen, vor Zuschauern aller Schichten, Klerikern und Polizeispitzeln versammeln, um durch Berührungen des Grabes – und der Körper einiger Frauen – Genesung zu erwirken, werden ihre »convulsions«, insbesondere die der Frauen, als Wunder verehrt, von Medizinern dagegen als Wahnsinn gebrandmarkt, über die Schließung des Friedhofes 1732 hinaus (Eva Yampolsky).

Die »Folles de littérature, folles en littérature« – die die zweite Gruppe bilden – greifen die Trennlinien Vernunft versus Passion, Geist versus Körper auf. In Gabriel Bounins »La Sultane« (1561) erlangt die Heldin Rose – zwischen Wahn und Melancholie schwankend – dank ihrer Leidenschaften die Herrschaft für ihren Sohn (Élisabeth Lacombe). Die »Historiettes« von Tallemant des Réaux (1657–1669) zeichnen extravagante, bizarre, verrückte Charaktere – Abweichung von der Norm wird hier zur anthropologischen Norm (Aurélie Bonnefoy-Lucheri). Komödie und Roman kreisen um den »désir des livres« von »folles d’amour et de lettres« und »savantes«. Die Protagonistinnen erotisieren intellektuelle Beziehungen, verweigern aber die Ehe (Claudine Nédelec). Die Werke Madeleine de Scudérys ordnen Männer wie Molière, Boileau und Subligny der »folie romanesque« zu (Nathalie Grande). Antoinette Deshoullières, Anne-Marie du Boccage et Françoise Aumerle de St.-Phalier legen ihre Kritik an der »autorité littéraire patrichale« (S. 184) nicht ihren Dramenheldinnen in den Mund, sondern den »folles« (Theresa Varney Kennedy). »Fanatiques d’opéra« erneuern die Ästhetik des Musiktheaters bis hin zu »La folle de Paris« von 1788 (Judith Le Blanc; Laurence Sieuzac). Germaine de Staëls erste Erzählungen »Les Folles« (1786) übergehen den klassischen Zusammenhang von weiblicher Unvernunft und weiblichem Körper und wenden sich den Hindernissen zu, die Frauen vom Schreiben abbringen (Stéphanie Genand).

Die »Folles en leur corps« liefern zuletzt Einblicke in die »répression du féminin«. Für Sebastian Brants »Narrenschiff« (1494) ist die »folie« der Frauen »naturelle« und deshalb unkorrigierbar, seine Nachfolger wollen hingegen die weiblichen Laster läutern – die Frauen werden zum idealen Gegenstand von Satire (Bernd Renner). Die antiken Mänaden – allen voran Medea und Phädra – sind auf der Renaissancebühne noch präsent, verschwinden aber um 1610. Ihre Nähe zum wilden Verhalten der Hexen bringt sie in Verruf, ebenso ihre ungezähmte »›lubricité‹ furieuse« (S. 260), die Mediziner zunehmend als »folie utérine« oder als »pathologisch« beschreiben (Sascha Grangean). Die Karriere des Begriffs, seit der Antike auf eine »matrice insatisfaite – ou au contraire, trop bien habituée« zurückgeführt (S. 265), ist unaufhaltsam. Der Gynäkologe Dr. Bienville überträgt sie im Anschluss an Tissots »L’Onanisme« (1760) auf »La Nymphomanie ou traité de la fureur utérine« (1771) (Marianne Closson). Die Pressekampagnen gegen Marie-Antoinette greifen das Stichwort gierig auf und schließen aus dem »fureur« der Königin, ihren vermeintlich unstillbaren sexuellen Begierden, auf die Impotenz ihres Gemahls und seine Ohnmacht als Herrscher (Marjorie Charbonneau). Gleichzeitig machen Männer vor Gericht die Opfer ihrer Gewalt weiterhin zu »folles«. Die Kopplung von »femme« und »folie« ist immer abrufbar (Sarah Dumortier). Erweist sich die eingewurzelte Faszination der »femme folle« in diesen widersprüchlichen Befunden aufs Neue, lädt der Band dazu ein, die in Frage stehenden kulturellen Praktiken und Imaginationen weiter zu erforschen.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Helga Meise, Rezension von/compte rendu de: Marianne Closson, Natahlie Grande, Claudine Nédelec, Ghislain Tranié (dir.), Femme et folie sous l’Ancien Régime, Paris (Classiques Garnier) 2022, 361 p. (Masculin/féminin dans l’Europe moderne, 36), ISBN 978-2-406-14170-9, EUR 35,00., in: Francia-Recensio 2023/4, Frühe Neuzeit – Revolution – Empire (1500–1815), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2023.4.101512