Die neun Beiträge des Bandes, der aus einem deutsch-französischen Nachwuchsworkshop 2017 hervorgegangen ist, behandeln weniger die konkrete Arbeitsorganisation innerhalb von Familienwirtschaften als die Bedeutung von Familie für den Zugang zu bestimmten Berufen. Einige sind eher rechtsgeschichtlich, andere sozialhistorisch ausgerichtet. Einleitend geben die beiden Herausgeberinnen Audrey Dauchy und Laila Scheuch in englischer Sprache einen nützlichen Überblick über den Forschungsstand zu der Thematik des Buches (S. 3–27). Dass dabei gelegentlich die Ansichten der älteren Forschung ein wenig verzerrt wiedergegeben werden – etwa S. 5: sie habe lange angenommen, der Familienbesitz sei ausschließlich an den ältesten Sohn vererbt worden – mindert den Wert ihrer Darlegung nicht wesentlich. Anschließend schildert Heide Wunder, wie sie 1981–1987 zu dem Konzept des Arbeits- und Ehepaars kam (S. 29–39 in deutscher Sprache, S. 41–51 französische Übersetzung).
In den folgenden vier Aufsätzen steht die Arbeit von Frauen im Mittelpunkt. François Rivière behandelt die 15 Handwerke im spätmittelalterlichen Rouen, in denen nicht nur Witwen von Meistern zugelassen waren, sondern auch verheiratete oder ledige Frauen Meisterinnen sein und Funktionen in der Selbstverwaltung ausüben konnten (S. 55–77); diese bezeichnet er als »professions féminisées«. Damit gehörte Rouen neben Köln, Barcelona und Paris zu den wenigen großen Städten, die den Frauen im Handwerk relativ breite Möglichkeiten boten – und das obwohl das normannische Recht (coutumes) den Frauen keinerlei wirtschaftliche Unabhängigkeit einräumte. Trotzdem schützten die lokalen Gerichte die Rechte der Meisterinnen in den betreffenden Gewerben. In manchen Handwerken konnte die Meisterin sogar mit einem Mann verheiratet sein, der einer anderen Zunft angehörte. Schwierigkeiten gab es allerdings, wenn dies ein benachbartes Gewerbe war – etwa Spinnerin und Färber – und die Gefahr bestand, dass die wirtschaftlichen Aktivitäten beider nicht getrennt blieben, sondern durch vertikale Integration ein Wettbewerbsvorteil gegenüber anderen entstand (S. 66–68). Katharina Tugend befasst sich mit Margherita Datini, der Ehefrau des überaus erfolgreichen Kaufmanns Francesco Datini im Prato des späten 14. und frühen 15. Jahrhunderts (S. 79–99). Mit einigen Belegen aus dem – ungewöhnlich breit überlieferten – Briefwechsel des Paares illustriert sie ihre These, dass die Frau als stellvertretender Haushaltsvorstand, Nachrichtenübermittlerin und Beraterin erheblich zu dem Erfolg des großen Handelsunternehmens beitrug. Überraschenderweise führt sie dabei manche Zitate in englischer statt in deutscher Übersetzung an. Maud Giraud behandelt die Normen für die Stellung und insbesondere die Arbeit von Frauen im französischen Recht von 1789 bis 1815 (S. 101–114). Nachdem in den ersten Jahren der Revolution die Gesetzgeber den Frauen ein Stück Unabhängigkeit zugesprochen hatten, ordnete der »Code civil« von 1804 die verheiratete Frau wieder uneingeschränkt dem Ehemann unter, der für ihren Schutz, ihre rechtliche Vertretung und ihren Unterhalt zuständig war. Nur für Witwen und volljährige Ledige, nicht aber für Ehefrauen, war Berufstätigkeit vorgesehen. Im Gegensatz dazu kannte der »Code de commerce« von 1807 durchaus die selbständige Kauffrau (femme marchande publique), wie schon die »Ordonnance sur le commerce« von 1673. Dies war die einzige Berufsarbeit von Frauen, die rechtlich geregelt und gesichert war. Allerdings blieb die Vereinbarkeit mit den grundsätzlichen Bestimmungen des »Code civil« gewahrt, indem der Kaufhandel der Frau an die – zumindest stillschweigende – Zustimmung des Ehemanns geknüpft war. Sandra Biering weist durch eine sorgfältige Untersuchung von Urkunden der Zeit um 1400 die umfangreiche Geschäftstätigkeit einer jüdischen Witwe in der Reichsstadt Dortmund und deren Umgebung nach (S. 115–137). Wichtig dafür waren ihre familialen und verwandtschaftlichen Bande, die behutsam eruiert, aber im »Stammbaum« auf S. 128 leider unübersichtlich dargestellt sind. Vor allem war die Jüdin im Geldverleih tätig; zudem spielte sie in der jüdischen Gemeinde von Dortmund eine zentrale Rolle.
Die letzten drei Aufsätze sind dem Thema »Soziale Reproduktion und Zugang zur Arbeit« zugeordnet, wobei unter »sozialer Reproduktion« vor allem Berufsvererbung verstanden wird. Lucas Rappo hat für eine Weinbaugemeinde im Kanton Waadt am Genfer See eine Familienrekonstitution für das 18. Jahrhundert erstellt und mit einer Zensusliste von 1798 sowie weiteren namentlichen Quellen verknüpft. Auf dieser umfassenden Grundlage fragt er nach den Zusammenhängen von Heiratsverbindungen, Familien und Berufszugehörigkeit einerseits für die 13 Notare, andererseits für die etwa 100 Winzer des Kirchspiels (S. 141–166). Er kann zeigen, dass die Notare auch viele Ämter in der Gemeinde innehatten und dank Heirat und Blutsverwandtschaft eine eng verflochtene lokale Elite darstellten. Der Beruf wurde oft innerhalb der Familie weitergegeben. Bei den Eheschließungen konnte ein einträgliches Amt offenbar bisweilen ein Heiratsgut in Form von Landbesitz ersetzen. Die Berufsgruppe der Weinbauern war heterogener, zumal nicht wenige ihr Land nur gepachtet hatten. Doch einige Winzerfamilien waren durch Verwandtschaft und Heirat eng verbunden und erhielten Zugang zu lokalen Ämtern. Netzwerkdiagramme illustrieren die Verflechtungen. Zina Hajila untersucht die rechtlichen Vorschriften (Ordonnanzen und Edikte), die in der französischen Monarchie vom 15. bis 17. Jahrhundert den Zugang zu dem niedrigen Amt des huissier (Gerichtsdiener) regelten (S. 167–183). 1672 wurde das Amt formell für erblich erklärt, doch schon zuvor war die Familie wichtig für den Erwerb des Amtes. Freilich wurden allmählich auch gewisse formale Qualifikationen gefordert, etwa das Lesen- und Schreiben-Können. Angesichts seiner 2015 verteidigten Dissertation schreibt Jules Admant über das métier de bohémien (deutsch damals wohl »Zigeunergewerbe«) und die Sinti-Familien im deutsch-französischen Grenzgebiet von Lothringen des 18. Jahrhunderts (S. 185–205). Nicht zuletzt geht es um die Frage, aufgrund welcher Merkmale die örtlichen Gerichte die aufgegriffenen Personen als bohémiens identifizierten. Schlechte Kleidung und dunkle Hautfarbe galten als erste Zeichen; ohne festen Wohnsitz und Beruf in Gruppen von mehreren verwandten Familien umherzuziehen waren zentrale Kriterien. Um den von den Obrigkeiten angedrohten drakonischen Strafen zu entgehen, sagten manche Beschuldigte, dass sie zwar das métier de bohémien ausübten, jedoch nicht zur nation bohémienne gehörten. Wenn sie diesem »Gewerbe« von Kindheit an im Anschluss an ihre Eltern nachgingen, war dies allerdings für die Gerichte ein deutliches Zeichen der Identität als bohémiens. Nicht wenige lebten keineswegs allein von Bettel und kleinem Diebstahl, sondern arbeiteten, sowie sich die Gelegenheit ergab, als Schuster, Kleinhändler, Musiker, Tagelöhner, die Frauen als Wahrsagerinnen. Der eine oder andere von den vielen Landesherren des Grenzgebiets nahm auch gern Sinti als Soldaten in seinen Dienst.
Insgesamt kann gesagt werden, dass die Mehrzahl der Beiträge interessante und konkrete Ergebnisse zu den Rahmenbedingungen von Frauenarbeit und zur Bedeutung der Familie für den Zugang zu bestimmten Berufen liefern.
Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:
Jürgen Schlumbohm, Rezension von/compte rendu de: Audrey Dauchy, Laila Scheuch (Hg.), Arbeit und Familie in Nordwesteuropa im Spätmittelalter und in der Frühen Neuzeit/Travail et famille en Europe du Nord-Ouest au bas Moyen Âge et à l’époque moderne, Frankfurt a. M. (Vittorio Klostermann) 2023, 214 S. (Studien zur europäischen Rechtsgeschichte, 338), ISBN 978-3-465-04602-8, EUR 69,00., in: Francia-Recensio 2023/4, Frühe Neuzeit – Revolution – Empire (1500–1815), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2023.4.101513