Die Neuausgabe eines Buches zu rezensieren, dessen Autor bereits vor dem Erscheinen der ersten Übersetzung verstarb, ist ein besonderes Unterfangen: 1993 erschien die Übersetzung der 1980 von Eric Gray Forbes (1933–1984) verfassten englischsprachigen Biografie zu Tobias Mayer. In diesem Jahr wurde dieses Werk zum 300. Jubiläum des Geburtsjahres Mayers fast unverändert erneut aufgelegt. Wie rezensiert man eine solche Arbeit, deren Forschungsfrage(n) in den 1970er-Jahren entstand(en)?

Das Vorwort zur Neuauflage von Erhard Anthes macht klar, dass einige Änderungen vorgenommen wurden, z. B. »Anmerkungen […], die auf neuere Ergebnisse der Mayer-Forschung hinweisen« (S. 17), wurden eingefügt, das Literaturverzeichnis um Literatur ergänzt, die nach 1980 erschien sowie ein Namens- und Begriffsindex erstellt. Wenn man beide Auflagen nebeneinanderlegt, fällt einem als erstes das ansprechendere Layout der Neuauflage auf. Format, Umschlagsgestaltung, Papier- und Druckqualität sowie die farbigen Abbildungen zeugen von einer professionellen Aufmachung. Die vorgenommenen Eingriffe sind Frucht einer angenehmen Zurückhaltung, die nur an entscheidenden Stellen auf neue Forschungen aufmerksam machen.

Das Vorwort und die Anmerkungen zur deutschen Übersetzung sowie die Kurzbiografie Forbes’ und dessen Vorwort wurden aus der Erstauflage übernommen. Forbes legte in diesem Vorwort dar, dass er Mayers Arbeiten und Leben kontextualisieren und daher keinen »chronologischen Ablauf seines Lebens« (S. 12), sondern eine thematische Anordnung wählen werde. In der Einführung machte er klar, dass er seine Einschätzung, Mayer zu den Heroen der Astronomiegeschichte zu zählen, im Folgenden erklären wird.

Das erste Kapitel beschreibt dank zahlreicher Quellenzitate ausführlich Mayers Kindheit und Jugend. Es wird deutlich, welche Begebenheiten und Zufälle für die Entwicklung und Ausbildung des im Esslinger Waisenhaus lebenden Mayers prägend waren, unter welchen Umständen er zur Mathematik fand und wie Mayers erstes Werk, ein Mathematiklehrbuch, mathematikhistorisch einzuordnen ist. Im nächsten Kapitel wird Mayers nächste Veröffentlichung, ein »Mathematischer Atlas«, inhaltlich erläutert, der Entstehungszusammenhang beschrieben und im Kontext der mathematischen Literatur der Zeit besprochen sowie sein Wechsel von Augsburg nach Nürnberg zu Homanns kartografischem Verlag nachvollzogen. In diesem Kapitel geht es weniger um die Person als vielmehr um das Schaffen Mayers, da hauptsächlich die Arbeiten an Mond- und Erdkarten und deren Bedeutung minutiös erklärt werden. Die mathematischen Ausführungen und astronomischen Fachbegriffe fordern von den Lesern und Leserinnen einerseits Vorkenntnisse, andererseits eine hohe Konzentration. Das dritte Kapitel ist die spannende Geschichte der in Nürnberg gegründeten Cosmographischen Societät, deren Mitglieder teils aus dem Umfeld des Homannschen Verlags kamen, die sich in drei Klassen (mathematisch, historisch und korrespondierend) teilte und sich zum Ziel setzte, neue kartografische Methoden zu etablieren, geografische, astronomische und historische Daten zu sammeln, Atlanten und wissenschaftliche Instrumente zu entwerfen sowie beratende und koordinierende Aufgaben zu übernehmen. Hauptsächliches Ziel dieser Gesellschaft, die 1755 nach Göttingen umzog, war aber die Herstellung und Finanzierung von Erd- und Himmelsgloben. Warum diese nie fertiggestellt wurden, beschreibt Forbes eindrücklich.

Mayers Ruf an die Göttinger Universität erging aufgrund seiner kartografischen Kenntnisse und seiner astronomischen Forschungen und sollte einerseits helfen, die Cosmographische Societät nach Göttingen zu holen und andererseits die im Bau befindliche Sternwarte in Göttingen zur vollen Blüte zu bringen. Die Geschichte der Societät sowie diejenige der Universität und Sternwarte werden im nächsten Kapitel ebenso dargelegt wie Mayers Bleibeverhandlungen. Im fünften Kapitel wird der Inhalt der Lehrveranstaltungen Mayers in Artillerie, Mathematik, Astronomie und Mechanik detailliert vorgestellt. Dabei werden vor allem die zugrundeliegenden Werke anderer europäischer Wissenschaftler verdeutlicht, woran abzulesen ist, welche Literatur und Forscher Mayer rezipierte. Fragen, ob und von wem die Lehrveranstaltungen besucht wurden, bleiben ebenso offen, wie andere Aspekte des professoralen Lebens. Im nachfolgenden Kapitel stehen Mayers Arbeiten zu den Mondtafeln im Mittelpunkt. Dafür wertete Forbes Mayers Korrespondenz mit Euler aus und erklärt die Grundlagen der Tafeln und die damit zusammenhängenden Publikationen. Welche bedeutende Rolle Mayers Mondtafeln bei dem Problem der geografischen Längenbestimmung auf hoher See hatten, wird im siebten Kapitel ausgeführt, in dem seine Arbeiten im Rahmen des »Longitude Act« eingeordnet werden. In diesem Zusammenhang werden auch die von Mayer entwickelten Instrumente vorgestellt. Seinen Umgang mit diesen und seine darauf basierenden Arbeiten werden im achten Kapitel präsentiert, das mit »Praktischer Astronom« überschrieben ist. An dieser Stelle wird den Lesern und Leserinnen sehr bewusst, dass hier ein bereits jahrzehntealtes Buch vorliegt. Während sich aktuelle Forschungen mit Praktiken der Wissensproduktion auseinandersetzen, konzentriert sich Forbes bei seiner Untersuchung nämlich ausschließlich auf die wissenschaftlichen Abhandlungen und Korrespondenzen Mayers zur Positionsastronomie. Der Entscheidungsprozess zur Preisvergabe des »Longitude Act« für die beste Methode zur Bestimmung der geografischen Länge auf See wird im vorletzten Kapitel beschrieben und im letzten Kapitel werden Mayers nur teils veröffentlichte Arbeiten zum Magnetismus, das von Lichtenberg herausgegebene Werk »Opera inedita« mit postum erschienenen Schriften Mayers (z. B. zu Farbmischungen) charakterisiert und Mayers Wirken knapp eingeordnet. Das Buch wird von einem Anhang abgerundet, der qualitativ hochwertige, farbige Abbildungen, einen Stammbaum, ein Verzeichnis der veröffentlichten Werke Mayers, ein Literaturverzeichnis sowie ein für diese Ausgabe erstelltes Personen- und Sachregister enthält.

Forbes’ thematische Anordnung seiner biografischen Studie zu Mayer erhielte heute sicher eine analytische Untermauerung aus der Soziologie (Konzept der Rolle) oder Wissenschaftsphilosophie (Denkkollektiv) o. ä. Doch auch ohne eine solche Konzeption trägt seine Herangehensweise und zeigt auf, wie modern der nicht-chronologische Zugriff noch immer ist. Diese anspruchsvolle Biografie ist eine »interne« wissenschaftshistorische Untersuchung von Mayers Theorien und Erkenntnissen. Sie konzentriert sich auf die rein wissenschaftsimmanenten Aspekte von Erkenntnis und Erkenntniszusammenhang und setzt mathematisches und astronomisches Grundwissen voraus. Kulturgeschichtliche Analysen fehlen. Diese Neuauflage der Mayer-Biografie ist trotz ihres Alters aber aufgrund der Kenntnisfülle zur Wissenschaftsgeschichte des ausgehenden 17. Jahrhunderts und der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts allen Frühneuzeit-Forschenden sehr zu empfehlen.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Susan Splinter, Rezension von/compte rendu de: Eric Gray Forbes, Tobias Mayer (1723–1762). Pionier der Naturwissenschaften der deutschen Aufklärungszeit, Göttingen (V&R) 2023, 306 S., 21 z. T. farb. Tafeln und 34 s/w Abb., ISBN 978-3-525-31145-5, EUR 35,00., in: Francia-Recensio 2023/4, Frühe Neuzeit – Revolution – Empire (1500–1815), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2023.4.101516