Dieser Band ist aus einer Tagung hervorgegangen, die an der Maison de France in Berlin im Dezember 2017 veranstaltet wurde. Er thematisiert die grundsätzliche Frage der Epocheneinteilung für eine global ausgerichtete Historiografie. Jeder, der sich einmal mit transregionalen Beziehungen auseinandergesetzt hat, insbesondere solchen, die weit voneinander getrennte Kulturen oder Räume betreffen, wird sich mit einem Periodisierungsproblem konfrontiert sehen. Welcher Zeitordnung folgt man? Verlässt man sich auf vermeintlich universale Zeitverläufe oder lieber auf begrenzte lokale Chronologien? Wie geht man mit dem eurozentrischen Erbe einer Aufbürdung von »Chronologiken« (chronologics), wie es im Band heißt, auf andere Zeitvorstellungen um? Inwieweit erschwert oder verunmöglicht das koloniale Erbe der »Eurochronologien« (eurochronologies) eine gemeinsame Periodisierung im globalen Kontext?

Einer einfachen Absage an Epocheneinteilungen verweigert sich der Band. Es kursiert zwar in diesem Zusammenhang der Vorwurf eines »Theft of Time« (Jack Goody) durch den imperialen Westen, aber dabei wollen es die Herausgeberin und die Herausgeber des Bandes nicht belassen. Es geht ihnen, so schreiben sie in der gemeinsamen Einleitung, um einen komparativen Ansatz, der historische Periodisierungsschemata miteinander auf ihre Übertragbarkeit oder Nicht-Übertragbarkeit auf andere – man könnte auch sagen: ihre Synchronisierbarkeit – untersucht (S. 3). »Chronotypen«, wie diese Schemata von der Autorin und den Autoren des Bandes genannt werden, wurden skaliert, d. h. als universale, nationale oder kommunale Modelle für historische Zeit verwendet (S. 4). Ohne einer bestimmten Richtung für einen zukünftigen Umgang den Vorzug zu geben, beschränken sich die Herausgeberin und die Herausgeber auf die Hoffnung, dazu beizutragen, etwas mehr Bewusstsein für die jeweiligen Nachteile der Verwendung von »Chronologiken« zu wecken (S. 10).

Eine erste Sektion widmet sich, wohl eher normativ gedachten, »Chronotypologien«; die zweite, als »Chronologics« betitelt, stellt historische Exempel dar. Der erste Titel wirkt irreführend, da es das Ziel nur weniger Beitragenden ist, eine Typologie zu entwickeln, sie wenden sich in der Mehrheit gar dagegen; fast alle Beiträge des Bandes rekonstruieren historische Fallbeispiele. Zwar stellt Jörn Rüsen gleich zu Beginn sein Konzept der »Zeitverlaufsvorstellung« dar, mit der er die »Geschichte als zeitliches Ganzes« fassen will (S. 15). Doch wird seine, bereits in früheren Publikationen dargelegte Typologie, die zwischen traditionalen, exemplarischen, genetischen und kritischen Idealtypen unterscheidet, gleich im folgenden Beitrag von David Moshfegh zurückgewiesen. Es ist gerade Rüsens optimistische Vision einer »humanistischen«, »neuen universalen Idee von Zeit«, die auf Widerspruch stößt. Rüsen wendet sich gegen einen, seiner Meinung nach vorherrschenden apokalyptischen Präsentismus, wonach Bedeutung lediglich als Konstrukt erscheint (S. 27). Das sieht der Islamwissenschaftler Moshfegh anders. Er hält, mit Nietzsche gesprochen, Rüsens typologisches Rezept gegen den Post-Historismus für die eigentliche Krankheit (S. 36). Nicht Typologien helfen aus dem Dilemma der Fragmentierung der Zeiterfahrung, sondern eine »ordentliche historische Analyse der Historisierung und Periodisierung« (S. 31). Moshfegh zeigt das überzeugend am Beispiel der Genese der Islamwissenschaften. So legt er Carl Heinrich Beckers anti-essentialistischen Islam-Begriff dar, der schon um die Wende von 1900 die Kritik von Edward Saids Buch »Orientalism« vorwegnimmt und diese an intellektueller Schärfe seiner Meinung nach noch übertrifft (S. 39). Die Einheit des Islam sei nach Becker eine Erfindung des islamischen Mittelalters, die lange in die Neuzeit fortgewirkt habe. Moshfegh weist in seinem langen Beitrag (42 Seiten) darauf hin, dass ein anderer, auf Ignaz Goldzieher zurückgehender Chronotopos als Alternative fungierte, der den Islam als telos einer Moderne anstelle eines säkularen Europas setzte (S. 70).

Auch Alessandro Stanziani wendet sich gegen Rüsens Typologie. Das Interesse von Geschichte, so behauptet er, sei es nicht, nach Homogenität über Raum und Zeit Ausschau zu halten (S. 74). Er folgt den historischen Spuren der Revolution als Periodisierungsfigur, die er bis auf die Kolonialreichsbildung des 17. Jahrhunderts zurückführt. Geschichte diente damals, so Stanziani, der Einordnung des Exotischen in einen universalen Rahmen (S. 87). Erst die Französische Revolution machte aus dieser Zeitvorstellung eine eurozentrische und deterministische Kategorie (S. 88). Aus solchen Worten spricht wie bei vielen anderen Beitragenden der Grundverdacht Saids gegen die meisten Periodisierungen. Mit Ausnahme von Moshfegh übernimmt die Mehrzahl der Autorinnen und Autoren diese Anschauung, dass Epochenaufteilungen ein Werkzeug kolonialer Herrschaft und Unterdrückung seien. Milinda Banerjee zeigt das anhand aufwändig rekonstruierter Zeitvorstellungen von Angehörigen niederer Kasten in Indien (S. 89–105); Susynne McElrone wiederum am Beispiel der Palästinenser, denen nicht nur das historische Erzählen verweigert werde, sondern auch eine eigene Zeitvorstellung mit Anfang, Mitte und Ende (S. 128).

Einen interessanten Einwand gegen die vorherrschende Skepsis gegen Periodisierungen liefert der Beitrag von Justus Nipperdey. Seine Analyse der US-amerikanischen Diskussion um die Epoche der Frühen Neuzeit (»Early Modernity«) erlaubt die Schlussfolgerung, dass Begriffe wie »Modernität« eine derart vage Bedeutung hätten, dass etwa die Verwendung von »early modern« meist gar nichts damit zu tun habe (S. 116). Außerdem weist Nipperdey darauf hin, dass Periodenbegriffe nicht nur ausgesprochen stabil seien und lange in Gebrauch blieben, sondern auch eine bemerkenswerte Kapazität für Neuprägungen nach dem jeweiligen Zeitgeist besäßen (S. 118).

Die zweite Sektion eröffnet ein umfangreicher Essay Michael Geyers über den heute weitgehend unbekannten amerikanischen Historiker Marshall G. S. Hodgson. Geyer rekonstruiert aus dessen Nachlass eine Sicht auf die Weltgeschichte, die die postkoloniale Kritik am Orientalismus und Okzidentalismus vorwegnimmt (S. 148). Hodgson entwirft ein Konzept einer epischen Weltgeschichte, eines »Weltmythos« (world myth), in der alle Zivilisationen zu gleichen Teilen, gleichwohl mit einer afro-eurasischen Oikumene, mit eigener Chronologie dargestellt werden sollen (S. 162). Auch darin spielt der Islam eine Schlüsselfunktion, der für Hodgson das Mittelalter prägte, während die westliche Transmutation des 19. Jahrhunderts eine Art »Great Divergence« avant la lettre bildete (S. 179). Der frühe Tod Hodgsons hinterließ den Plan allerdings nur als Fragment, stellte aber wichtige Voraussetzungen für die Arbeiten von Kollegen, wie etwa William McNeill, dar. Die weiteren Beiträge bieten Varianten der Said’schen Kritik an eurozentrischen Überlagerungen alternativer Chronotopoi: Heather Ferguson stellt islamische Zeitvorstellungen weniger als Vereinheitlichungen, sondern als dauernde Unterbrechungen von Kontinuitäten dar (S. 178). Die Komparatistin Özen Nergis Dolcerocca sieht im Modernismus-Begriff das Potenzial, »genetische« und »kritische« Narrativen zwischen westlicher und nicht-westlicher Literaturgeschichte zu entwickeln (S. 198). Damit ist sie eine der wenigen Autorinnen des Bandes, die das Rüsen’sche Typologieangebot aufgreifen. Die Beiträge von Anubhuti Maurya, Bernard D. Cooperman und Özlem Çaykent behandeln weitere historische Beispiele von Chronotypen in der indischen, jüdischen und türkisch-armenischen Historiografie.

Ein Schlusswort von Sanjay Subrahmanyam ruft noch einige Gedanken zur kritischen Periodisierungsforschung auf. Mit Recht weist er auf die Bedeutung der Skalierung hin, die er am Beispiel unterschiedlicher indischer Zeitverlaufsmodelle darlegt (und sogar in Tabellen übersichtlich visualisiert). Seinem tröstlichen Fazit, dass die Technik der Periodisierung als fragiles Werkzeug sowohl mit Skepsis als auch Flexibilität zu handhaben ist, kann man vollkommen zustimmen. Der Band bietet insgesamt, wenn auch mit einem Hang zu gewissen unredigierten Überlängen, zahlreiche interessante Einblicke in kulturelle Zeitlandschaften aus der Perspektive unterschiedlicher Fachgebiete.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Benjamin Steiner, Rezension von/compte rendu de: Barbara Mittler, Thomas Maissen, Pierre Monnet, Chronologics. Periodisation in a Global Context, Heidelberg (Heidelberg University Publishing) 2022, 286 p., ISBN 978-3-96822-137-3, EUR 52,90., in: Francia-Recensio 2023/4, Frühe Neuzeit – Revolution – Empire (1500–1815), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2023.4.101526