»Chronologiemaschine«, so nennt Astrit Schmidt-Burkhardt, einem Artikel Diderots in der »Encyclopédie« folgend, ein 16,5 Meter langes Papierband aus 35 aneinander geklebten Kupferdrucken im Folioformat, das an beiden Enden auf Rollen befestigt ist, aufbewahrt und zugleich aufgespannt in einem Gehäuse aus Pappmaché. Klappt man es auf, wird eine bedruckte Papierfläche von gut 40x40 cm sichtbar. Handkurbeln an den beiden Rollen ermöglichen es, das Papierband nach links oder rechts auf- bzw. abzurollen, sodass sich der jeweils sichtbare Ausschnitt durch die Jahrhunderte bewegt. Bedruckt ist das Papierband mit einer Chronologie, die aus einem Zeitstrahl in Messlattenoptik sowie Personennamen und Ereignissen der Universalgeschichte im traditionellen Sinne besteht, die hier 6450 Jahre von der Erschaffung der Welt bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts umfasst. Betätigt man die Kurbeln, kann man als Benutzer gleichsam die Zeit vergehen lassen oder sie zurückdrehen, in selbstgewählter Geschwindigkeit, und dabei »beobachten« (lesend und durch die Decodierung von 66 und mehr Symbolen, die für die Tätigkeit und auch moralische Qualität der aufgeführten Personen stehen), was sich in der Vergangenheit zugetragen bzw. wer wann gelebt und ggf. wo geherrscht hat.

Entworfen von Jacques Barbeu-Dubourg (1709–1779), einem Arzt, Botaniker, Pharmazieprofessor an der Sorbonne und Publizisten, ist von diesem Apparat heute nur ein einziges Exemplar bekannt, das die Princeton University Library aufbewahrt. Auch in gebundener Form, also ohne die Bewegungsapparatur, scheinen sich nur wenige Exemplare erhalten zu haben, obwohl Barbeu-Dubourgs »Carte chronographique« zwischen 1752 und 1757 mehrere Auflagen erlebte, wie Schmidt-Burkhardt an Detailveränderungen nachweist (S. 25–32). Für die Variante in der üblichen Buchform führt sie drei Standorte an (S. 155). Eine weitere, als Leporello gefalzte Variante, befindet sich in der Darmstädter Universitäts- und Landesbibliothek; sie verbindet das Durchlaufende der an ihren Schmalseiten aneinander geklebten Doppelseiten mit dem »Blättermodus« der Codexform (im Unterschied zum »Rollmodus« der »Chronologiemaschine«).

Hohes Lob verdient der Verlag für die hervorragende Schärfe des fotografischen Abdrucks des Darmstädter Exemplars (S. 157–230). Auf den 150 großformatigen Seiten davor geht Schmidt-Burkhardt auf den wissens- und mediengeschichtlichen Kontext ein, in dem sie Barbeu-Dubourgs »Chronologiemaschine« als einen »revolutionär konzipierten Lernapparat« (S. 144) ausweisen möchte, der »nichts weniger als einen veritablen Medienumbruch« (S. 145) markiere und sogar als »erste[s] Anzeichen« der Revolution von 1789 verstanden werde könne (S. 7). Behandelt werden die reiche Tradition chronologischer Übersichtstafeln seit Eusebius und andere Quellen der »Chronologiemaschine«, die prominente Rolle visueller Medien beim Lehren und Memorieren geschichtlicher Daten und generell in der aufklärerischen Wissensvermittlung, das Verhältnis der Enzyklopädisten zu Barbeu-Dubourg und seiner Erfindung, spätere Geschichtsübersichten ähnlicher Struktur (sei es materiell ähnlich, d. h. als Roll-Geschichtskarten, oder ähnlich in der horizontalen Lagerung der Zeitachse) und schließlich Fortsetzungen solcher visueller Geschichtsdidaktik bis in die Revolutionszeit hinein. Man erfährt hier viel, was allenfalls Spezialisten bekannt sein dürfte, und über die Quellen der »Carte chronographique« sowie die Schicksale ihrer verschiedenen Fassungen auch vieles, das Schmidt-Burkhardt allererst herausgefunden hat. Die zahlreichen Abbildungen in bester Qualität machen das Buch überdies zu einem Augenschmaus und tragen ebenso zum Erkenntnisgewinn bei, obschon viele großformatige Geschichtstabellen nicht so groß reproduziert werden (konnten), dass man die Textanteile lesen könnte.

Die unbändige Begeisterung Schmidt-Burkhardts für ihren »geradezu genialen« Gegenstand (S. 7) hat den Rezensenten hingegen weniger überzeugt als befremdet. Wenn es z. B. heißt, die »Chronologiemaschine« habe die Französische Revolution mit vorbereitet, weil ihre Benutzer an ihr eine »Bewegung nach vorne« einübten, die »als eine gültige Regel verinnerlicht« worden sei, sodass »zwangsläufig – das heißt über kurz oder lang – der absolutistische Bourbonenstaat davon nicht verschont bleiben [konnte]« (S. 149), dann wird uns vorgeschlagen, das Vorwärts-»Scrollen« einer chronologischen Tabelle als Internalisierung einer progressistischen, in der Konsequenz auf eine politische Revolution zielenden Geschichtsauffassung zu verstehen. Es mag dahingestellt bleiben, ob eine als körperlich-mechanischer Vollzug eingeübte Bewegung tatsächlich das Potential hat, Vorstellungen von Geschichte und Gesellschaft zu dynamisieren. Problematisch ist jedenfalls der Kategoriensprung in Schmidt-Burkhardts Argument, nämlich vom praktischen Umgang mit einer chronologischen Darstellung hin zu einem bestimmten Verständnis des Dargestellten. Die chronologische Abfolge, die man in Barbeu-Dubourgs Maschine hin und her bewegen kann, wird dadurch nicht zu einer Darstellung von »bewegter« Geschichte mit immanenter (Fortschritts-)Dynamik (dies nach Koselleck, auf den sich die Autorin beruft).

Kategoriensprünge unterlaufen der Autorin immer wieder, denn sie kümmert sich nicht um so grundlegende Unterschiede wie die zwischen vergehender Zeit, Chronologie (der zeitlichen Ordnung, in die Ereignisse eingefügt werden können), Chronistik (der Aufzeichnung von Ereignissen streng nach deren zeitlicher Abfolge) und Geschichte, sei es im Sinne der Darstellung von Geschichte (lat. historia), sei es im Sinne des dargestellten Geschehens (lat. res gestae). Nur weil Schmidt-Burkhardt diese Unterschiede nicht macht, kann sie einen Apparat, der beim Drehen zweier Kurbeln gleichsam das Vergehen der Zeit vor Augen führt, als Anstoß zur Entwicklung eines »nachhaltige[n] Bewusstsein[s] für die Wandelbarkeit der Geschichte« interpretieren (S. 150). Dem entgegenzuhalten ist, dass die Geschehenszusammenhänge, die »die Geschichte« ausmachen (gegenständlich und darstellerisch), weder in den Reihen von Herrschernamen im oberen Teil der »Carte chronographique« noch in den vielen weiteren Namen oder Ereignissen im unteren Teil zum Ausdruck kommen, wird doch kein sachlicher oder interaktionaler Zusammenhang zwischen den Einzeldaten dargestellt, sondern bloß ihre chronologische Stellung zueinander. Denn genau dies war die Funktion chronologischer Tabellen; sie waren bloße Hilfsmittel der Geschichtserkenntnis. Auf den Aufweis von Zusammenhängen ist Barbeu-Dubourgs Werk sogar weniger ausgerichtet als andere Geschichtsdiagramme des 18. Jahrhunderts und zumal die – von Schmidt-Burkhardts als nächstes Vorbild der »Carte« ausgewiesene (S. 62–64) – »Mappe-monde historique« von Jean-Louis Barbeau de la Bruyère, die mit grafischen Mitteln (Farben und Linien) die Veränderung von Machtverhältnissen anzeigt.

Ein unpräziser Begriffsgebrauch beeinträchtig auch die medienhistorischen oder -theoretischen Aussagen. Die »Chronologiemaschine« als »protofilmisch« zu charakterisieren (S. 75, 145) leuchtet dann ein, wenn man vergleichsweise an einen in die (analoge) Kamera eingelegten Film denkt. Überstrapaziert wird diese apparative Ähnlichkeit jedoch, wenn Schmidt-Burkhardt bei Barbeu-Dubourg die Erzeugung von »Bewegtbilder[n]« vorweggenommen sieht (S. 145). Denn die »Chronologiemaschine« zeigt keine Bilder, in denen sich etwas bewegt, sondern bietet eine z. T. bildliche Darstellung, die man bewegen kann. Ebenfalls fragwürdig sind die Bemerkungen zu den medienspezifischen Möglichkeiten der Geschichtsdarstellung in Bildern bzw. Texten. Wenn die Autorin Texte als »monolinear« charakterisiert, um ihnen Unterkomplexität gegenüber einer Geschichte zuzuschreiben, in der sich synchrone und diachrone Dimensionen verbinden (S. 11), so trifft dies zwar das schiere Lesen von Texten Zeile für Zeile, Seite für Seite, aber unterschlägt die durch Vor- und Rückverweise, emplotment, Motivwiederholungen und andere Isotopien erzeugte Mehrdimensionalität, die das Gelesene im Rezeptionsverlauf gewinnt. Bilder wiederum bieten nur bei oberflächlicher Betrachtung eine »Lösung«, wenn ein »instantan[es]« Auffassen von mehrdimensionalen Zusammenhängen gefordert ist (ebd.). Denn anders, als es das »Auf einen Blick«-Ideal (d’un coup d’œil) des 18. Jahrhunderts suggeriert (S. 67), erfordert ihre Betrachtung durchaus Zeit – und dies nicht allein, wenn es viel Schrift zu lesen gibt wie in der »Carte chronographique«. Der medienbedingte Unterschied besteht weniger zwischen instantaner vs. prozessualer Rezeption als im Grad der Rezeptionssteuerung durch das Betrachtete: Bilder geben kaum vor, welche Blickbewegung der Betrachter vollziehen sollte. Ausgerechnet bei Barbeu-Dubourgs »Chronologiemaschine« gilt allerdings auch dies bloß bedingt, denn durch die Rollenform lässt sich eine, horribile dictu, lineare Rezeption nur durch erhöhten Kurbelaufwand vermeiden. Was Schmidt-Burkhardt als »demonstrativ[e Lösung] vom Buchformat« feiert (S. 72), erheischt eine buchähnlichere Rezeption als die seinerzeit üblichen chronologischen Tabellen.

Einen weiteren Fall unklarer Begrifflichkeit bildet die im Buchtitel ausgerufene »historiographische Moderne«. An einer Stelle ist damit »der visuelle Lerntyp der optisch orientierten Wissensgesellschaft [gemeint]« (S. 53). Das passt auf unsere Gegenwart, kaum jedoch auf eine Historiografie-Großepoche »Moderne«, die u. a. das schrift- und buchzentrierte 19. Jahrhundert einschlösse. An anderen Stellen ist »Moderne« vage mit der von Schmidt-Burkhardt wie selbstverständlich als fortschrittlich verstandenen Aufklärung verbunden. Die konkreteste Charakterisierung als »Signum der Moderne« wiederum gilt dem einheitlichen Maßstab, den die »Carte chronologique« zum ersten Mal verwendet (2,5 mm pro Jahr, S. 34). Die Konsequenz, dass die gegenwartsferneren Blätter weitaus weniger gefüllt sind als die näheren, weil aus älteren Zeiten wenig »Bemerkenswertes« überliefert ist, lobt die Autorin als Verzicht auf »spezifische Relevanzzuschreibung und damit verzerrende Gewichtung« (S. 34). Dass eine derartig schematische Historiografie spezifisch modern sei, ist eine gewagte These.

So gravierend die begrifflichen Unschärfen des Buches sowie die daraus resultierenden diagnostischen Verzerrungen sind: als Erinnerung an ein lange vergessenes, originelles Hilfsmittel der Beschäftigung mit Geschichte, als aufwendige Ermittlung der erhaltenen Exemplare, als Rekonstruktion des wissens- und mediengeschichtlichen Kontextes sowie als fotografische Reproduktion ist es dennoch zu schätzen. Barbeu-Dubourgs »Carte chronologique« und die daraus gefertigte »Chronologiemaschine« waren kein Kuriosum – darin ist der Autorin Recht zu geben –, sondern ein vielsagender Ausdruck der Erkenntnisbemühungen, der didaktischen Anstrengungen sowie des Visualitätsverlangens ihrer Epoche.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Daniel Fulda, Rezension von/compte rendu de: Astrit Schmidt-Burkhardt, Die Chronologiemaschine. Barbeu-Dubourgs Aufbruch in die historiografische Moderne, Berlin (Lukas Verlag) 2022, 256 S., 258 farb. Abb., ISBN 978-3-86732-388-8, EUR 48,00., in: Francia-Recensio 2023/4, Frühe Neuzeit – Revolution – Empire (1500–1815), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2023.4.101531