Für moderne Konsumbürger war das Zeitalter der Kohle schon ziemlich bequem. Für jene, die das Grubengold ans Tageslicht holten, sah das anders aus: Es gab viel Arbeit und eine Menge Gefahren. Helge Wendts Monografie zeigt, dass es darüber hinaus auch kognitive Herausforderungen gab, an denen sich etliche Generationen von Gelehrten und Praktikern zunächst in Europa und später auch im Rest der Welt abmühten. Im weiten chronologischen und geografischen Ausblick analysiert er das Suchen und allmähliche Finden eines Wissensfundus, der sich mit der physischen Produktion auf mehreren Ebenen verband. Diskutiert wurden lästige Eigenschaften wie etwa der gewöhnungsbedürftige Rauch und die Indizien, die womöglich auf unterirdische Lagerstätten hindeuteten, aber auch die grundsätzliche Frage, was Kohle eigentlich war (und ob man dabei auf theologischem Wege weiterkam), und stets ging es dabei neben dem Gegenstand auch um das große Ganze. Wendt analysiert die Kohlezeit als »eine Zeit der Durchdringung der Natur mit epistemischen, technologischen und politisch-wirtschaftlichen Mitteln« (S. 360).

Ähnlich wie der Kohlemarkt der Frühen Neuzeit war auch das Netz des Wissens ein locker verbundenes Patchwork, das auf den Befunden und Mutmaßungen in geografisch isolierten Förderregionen aufbaute. Chronologien und Wissensbestände klafften deshalb durchaus erheblich auseinander, und das ist ebenso eine Herausforderung für den Chronisten wie die durchaus komplexe Zirkulation von Ideen und Experten. So ähnelt diese Darstellung schon ein wenig dem Labyrinth eines Bergwerks, in dem sich ganz unterschiedliche Gelehrte über die Jahrhunderte mühsam vorwärts hämmerten und sich dabei oft eher schlecht als recht verständigten. Das liegt allerdings wohl auch an einem Autor, der sich doch recht oft in den Verästelungen des riesigen Themas verläuft und ausgiebig einzelne Autoren und Werke erläutert, ohne dass der Brückenschlag zu übergreifenden Argumenten gelingt. Spürbar fehlt der kenntnisreichen Darstellung eine Leitthese, die dem Werk mehr intellektuelle Stringenz hätte vermitteln können. Das Protoanthropozän, auf das sich der Verfasser bezieht, reicht hier offenbar nicht aus.

Nach einer länglichen Einleitung, die sich um die Kontextualisierung des Projekts in verschiedenen thematischen und disziplinären Zusammenhängen bemüht, wird das Wissensfeld der Steinkohle in drei voluminösen Kapiteln vermessen. Dass Wissensgeschichte vor allem als intellektuelles Unterfangen der longue durée Profil gewinnt, zeigt das Kapitel über »Wissenschaft und Praxis der historischen Kohleforschung«, in dem die »lange Eintrittsphase in die Kohlezeit« (S. 62) seit dem 16. Jahrhundert analysiert wird. Kohle wurde an zahlreichen Orten gefördert, und keineswegs zwangsläufig entwickelten sich daraus Zentren der Industrialisierung. Facettenreich wird die intellektuelle Arbeit an den multiplen Rätseln der Kohle skizziert, die von den Bergwerken ihren Ausgang nahm, und diese war »durchwoben von Bedenken, Einwänden und mahnenden Worten« (S. 50). Bemerkenswert ist, dass der Diskurs der Gelehrten der realen Nutzung zeitweise vorauseilte. Für Wendt ist die Zeit bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts »die Epoche der Kohlezeit, in der das Wissen über die Ressource Steinkohle und den Bergbau enorm zunahm« (S. 84).

Während das erste empirische Kapitel noch zwischen den verschiedenen Orten der fossilen und der Wissensproduktion springt, wählt Wendt für den Rest seiner Studie eine geografisch-personalistische Struktur. Diskutiert werden verschiedene Autoren, die über sächsisch-brandenburgische Steinkohlevorkommen schrieben (unvermeidlich beginnend mit Georg Agricola), Schottland unter besonderer Berücksichtigung von David Skene, Frankreichs Jean François Morand und die dispersen und nicht sonderlich tiefschürfenden Beobachtungen zur Kohle bei Alexander von Humboldt. Im letzten Kapitel, erfreulicherweise das umfangreichste, begibt sich Wendt auf eine veritable globale Tour de Force und diskutiert Konflikte und Befunde in Kanada, Mexiko, Kuba, Indien, Australien, im südlichen Afrika sowie auf Borneo und den Philippinen, außerdem gibt es noch einen Zwischenstopp in Schlesien, das hier als quasikoloniale Eroberung Preußens diskutiert wird. Das anschließende Fazit liefert noch ein paar Bemerkungen zu Französisch-Indochina.

Nachdrücklich verdeutlicht der Band damit, wie Kohleproduktion und Kohlewissen schon im 19. Jahrhundert ein globales Unterfangen waren. Das tastende Vorgehen setzt sich hier im weltweiten Rahmen fort, freilich gerahmt durch die brutalen Machtspiele der kolonialen Konkurrenz, sodass man fast schon nostalgisch zurückschauen möchte auf die Zeiten, in denen Gelehrte noch räsonierten, ob »Steinkohlen an sich brennbar waren« (S. 80). Jenseits des europäischen Kontinents standen immer weniger die wissenschaftlichen Grundlagen im Mittelpunkt und immer mehr die Frage, was wo und wie zu fördern (und zu erobern) war. Die quellennahe Diskussion der kolonialen Welt der Kohle bietet eine wertvolle Grundlage für weitere Studien. Der Autor ringt jedoch erkennbar mit der Vielfalt der Welt und den jeweils regionsspezifischen Herausforderungen, und dass er sich mit Vorliebe in allerlei stoffliche und kognitive Details vertieft, wirkt auch nicht gerade schärfend für das Argument. Exemplarisch zitiert sei die bilanzierende Bemerkung zu Indochina: »Die Geschichte des Steinkohlebergbaus in Nordvietnam zeigt zusammenfassend, wie in der Kohlezeit Wissen und Macht, Praxis und Problem, Energiewende und Wirtschaft in räumlichen Zusammenhängen großer und kleiner Skalen zusammenwirkten« (S. 359).

So lernt man aus diesem Buch eine Menge über das kohlespezifische Wissen in vielen Köpfen und Büchern an vielen verschiedenen Orten, aber daraus entsteht kein neuer Blick auf das fossile Zeitalter. Als Ursache historischer Prozesse entfaltet Wissen hier vor allem auf der Ebene einzelner Regionen ein Profil, und auch da äußert sich der Autor recht behutsam, so etwa in der Formulierung, »dass Kohlefunde in den [indischen] Khasi Hills durchaus ein Argument dafür gewesen waren, die britische Expansion voranzutreiben« (S. 14). Dennoch liefert der Band einen Eindruck davon, wie vielgestaltig, lang und zögerlich der Weg ins fossile Zeitalter war. Wie in vielen energiehistorischen Arbeiten fehlt auch hier nicht der Verweis auf gegenwärtige Herausforderungen, aber letztlich präsentiert der Band Einblicke in eine andere Welt. Das Protoanthropozän, das hier im Zentrum steht, war schon ziemlich proto.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Frank Uekötter, Rezension von/compte rendu de: Helge Wendt, Kohlezeit. Eine Global- und Wissensgeschichte (1500–1900), Frankfurt a. M. (Campus Verlag) 2022, 479 S., ISBN 978-3-593-51538-0, EUR 45,00., in: Francia-Recensio 2023/4, Frühe Neuzeit – Revolution – Empire (1500–1815), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2023.4.101533