Der Atlantik ist der Raum, um den sich die Geschichtsschreibung des frühneuzeitlichen und modernen Sklavereikomplexes seit dem frühen 20. Jahrhundert dreht. Dabei hat sich allerdings eine eigenartige Verschiebung eingeschlichen: die »Middle Passage« über den Atlantik fand zum größten Teil zwischen der Küste Westafrikas und den karibischen Inseln, manchmal auch der lateinamerikanischen Westküste statt; doch als Hauptorte und -handelnde werden Europa und die USA, Europäer und Amerikaner ins Zentrum der Analysen gesetzt; auch in Arbeiten mit globalhistorischem Anspruch. Der Historiker und Lateinamerikaspezialist Michael Zeuske hält dieser – letztlich auch in der Tätergeschichte eurozentrische Vorstellungen fortschreibenden – Fokussierung eine andere Konzeption des atlantischen Raumes entgegen. Zeuske verschiebt den geografischen Fokus auf Afrika – als den »eigentliche(n) Ausgangspunkt« des Buches – und (Latein-)amerika. Afrikaner, sowie europäische und iberoafrikanische Kreolen der Weltregion, die heute als »globaler Süden« bezeichnet wird, sind diejenigen, die diese Geschichte vorantreiben; Europäer kommen bei Zeuske dagegen eher als Reagierende vor. Noch dazu nimmt er die Eigenwahrnehmung der Akteure ernst, die sich selbst weder als »Europäer« noch als »Afrikaner« sahen; außerdem betont er jeweils regionale Unterschiede.

Dies resultiert in einer produktiv irritierenden, historische wie geografische Grenzen auflösenden Analyse. Weder kann Sklaverei als globalhistorisches Problem als vergangen betrachtet werden, noch kann die Geschichte der Sklaverei als eine geschrieben werden, in der Europäer die Handelnden und Afrikaner die großenteils passiven Opfer sind. Die Herausbildung des transatlantischen Sklavereikomplexes, zeigt Zeuske, kann nur als Resultat einer Interaktion mehrerer gesellschaftlicher Entwicklungen verstanden werden. In einer »groben Periodisierung« unterscheidet er dabei einen ersten, »iberischen« von einem zweiten, britisch-französisch dominierten, und schließlich einem dritten »Hidden Atlantic«, in dem ein illegaler Sklavenhandel nach der Abolition in Europa und den USA weiterlief. Diese räumliche Einteilung korrespondiert ungefähr mit einer Periodisierung der atlantischen Sklavereien von den ersten »indigenen Sklavereien«, über die Einführung der atlantischen Sklaverei bis zur Periode der »Second Slaveries«, die ihre Hochphase nach der Abolition des Sklavenhandels hatten. Die Grenzen sind fließend. So lief auch während der britisch-französischen Hegemonie ein »afrikanisch-iberisch-brasilianischer Südatlantik« weiter. Die Sklaverei, die die Eroberer in Lateinamerika praktizierten, entwickelte sich teils aus, teils in Verdrängung von lokalen (vorkolonialen) Formen der Sklaverei. Ebenso verkompliziert Zeuske die beteiligten Akteure: Afrikaner – und, bereits früh, Afrikanerinnen – betätigten sich als Sklavenhändler. Die frühen (meist portugiesischen, teils italienischen) Abnehmer waren an den Küsten fast vollständig abhängig von lokalen Akteuren, existierenden Strukturen und Routen des Sklavenhandels. Auch die Beteiligung von »Atlantikkreolen«, d. h. lateinamerikanischen oder zwischen Afrika und den Amerikas lebenden und operierenden Akteuren, betont Zeuske. Afrikanische Eliten dominierten den frühen Sklavenhandel zwischen der Küste und den atlantischen Inseln (Sao Tomé und Principe sowie die Kanaren), bis die Entvölkerung Amerikas es den iberischen Akteuren ermöglichte, den Mittelpunkt des Sklavenhandels auf den Atlantik in eine »wirklich globale und frühe Süd-Süd-Connection« (S. 119) zu ziehen. Auch danach blieb die Kontrolle prekär und immer durch eine Vielzahl anderer Akteure (afrikanischer, kreolischer und nordeuropäischer Sklavenhändler, Korsaren, Piraten usw.) gefährdet.

Das heißt nicht, dass hier Argumente über die Verantwortung Europas für den transatlantischen Sklavereikomplex relativiert werden. Stattdessen versucht Zeuske eine breite, systematische, Wirtschafts- und Sozialgeschichte eines sich immer wieder verschiebenden, in der Tendenz aber von Ost nach West (mit Süd-Süd-Fokus) ausgerichteten transatlantischen Sklavereikomplexes. Europa, so Zeuske, war immer Sklaverei- und Sklavenhandelsgebiet; die längste Zeit seiner Geschichte war der Kontinent peripher, am Rande von Imperien gelegen, die aus ihm Versklavte bezogen. Mit dem transatlantischen Sklavenhandel – eng verflochten mit der Geschichte der Herausbildung des globalen Kapitalismus – bewegte sich der Kontinent aus dieser peripheren Position heraus. Zeuske vermeidet die Sprache der Weltsystemtheorie und dezentriert Europa sozusagen auch in der Analyse dieser neuen Position; Europa profitierte von der Sklaverei, aber auch in Afrika und den Amerikas lassen sich Individuen, gesellschaftliche Gruppen und auch Staaten ausmachen, die durch ihre Beteiligung an diesem Komplex aufsteigen. Sklaven wurden mit der Zeit zu Kapital; nicht nur schufen sie durch die Ausbeutung ihrer Arbeitskraft Mehrwert; sie waren auch als Ware (vor allem durch Reproduktion) eine Kapitalanlage – beispielsweise als Erbe oder Witwenrente (S. 159). In der second slavery wurden sie zur Basis einer Industrialisierung der Landwirtschaft und Monokulturen in Plantagensystemen.

Auch betont Zeuske die Rolle der europäischen Staaten in der Finanzierung, Absicherung und Organisation des Sklavenhandels. Die europäischen Monarchien setzten Monopole durch (auch mit polizeilichen Mitteln), investierten selbst und sicherten Investitionen im finanziell riskanten Handel, finanzierten Kapitäne und betrieben selbst Flotten (inklusive Korsaren und Freibeutern). Konflikte um die Kontrolle des Sklavenhandels schaukelten sich oft bis hin zu militärischen Konflikten auf. Zeuske stellt hier jeweilige »national-imperiale« Geschichtsschreibungen seiner transnationalen, globalen Perspektive auf den Raum »Afrika – Atlantik – Amerika« (AAA) entgegen. In diesem Sinne widerspricht Zeuske der These eines »Black Atlantic«, indem er mehrere atlantische Räume öffnet, die sich teils gleichzeitig, teils in historischer Abfolge entwickelten – inklusive nichteuropäischer, so eines »Yoruba-Atlantik«, der Yoruba-Städte in Lateinamerika entstehen ließ. Afrikas Rolle ging dabei »weit über die Viktimisierung als ›Opfer der Globalisierungen‹ hinaus« (S. 111).

Zeuskes Buch ist ein beeindruckender Parforceritt durch eine extensive Literatur zur Geschichte des transatlantischen Sklavereikomplexes – der Vielfalt an Versklavungspraktiken, Institutionen, Sklavenhandels- und Sklavereiformen in verschiedenen, durch jeweils eigene Macht- und Rechtskonstellationen sowie soziale Verschiebungen geprägten Perioden über eine Zeit von mehr als 500 Jahren. Er verkompliziert klassische, auf nordeuropäische (und nordamerikanische) Akteure fokussierte Narrative und zeigt die Vielfalt und die fließenden Grenzen der Sklavereipraktiken auf; dabei stellt er sie in den Kontext einer globalen Herausbildung des Kapitalismus, bei der das »Globale« ernst genommen wird. Nicht ganz deutlich werden dabei die Ränder der Sklaverei, die Abgrenzungen zu anderen Formen der Zwangsarbeit, wie sie beispielsweise auch in Europa existierten. »Indentured Servitude« wird erwähnt, aber es ist nicht ganz klar, ob sie eine weitere Form der Sklaverei ist. Hier wäre eine Auseinandersetzung mit der Arbeitsgeschichte nützlich, beispielsweise mit Alessandro Stanzianis Geschichte der Zwangsarbeit, die aus dieser Perspektive ebenfalls die historische Bedeutung der Abolition relativiert, aber Sklaverei als eine (spezifische) Unterform eines breiter gefassten Phänomens betrachtet, die die zentrale Stellung der »freien« Lohnarbeit für die Geschichte des Kapitalismus nicht nur in marxistischen Ansätzen hinterfragt. Stanziani weitet den Blick in Richtung des Ostens, Zeuske nimmt klar eine Perspektive aus dem globalen Süden ein. Die Ansätze können sich in der Frage der unfreien Arbeit durchaus ergänzen.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Robert Heinze, Rezension von/compte rendu de: Michael Zeuske, Afrika – Atlantik – Amerika. Sklaverei und Sklavenhandel in Afrika, auf dem Atlantik und in den Amerikas sowie in Europa, Berlin, Boston (De Gruyter Oldenbourg) 2022, 339 S., 30 Abb. (Dependency and Slavery Studies, 2), ISBN 978-3-11078-714-6, EUR 79,95., in: Francia-Recensio 2023/4, Frühe Neuzeit – Revolution – Empire (1500–1815), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2023.4.101534