Rund 20 Millionen Deutsche, etwa ein Drittel der Bevölkerung, füllten nach dem Zweiten Weltkrieg im Rahmen des alliierten Entnazifizierungsprogramms einen Fragebogen aus, der ihnen von den Besatzungsmächten vorgelegt wurde und der von ihnen Auskunft über ihre Aktivitäten unter der Herrschaft der Nationalsozialisten verlangte. Angesichts der bloßen Anzahl von Menschen, die mit ihm konfrontiert wurden, kann es nicht überraschen, dass der Fragebogen Eingang ins kollektive Gedächtnis der deutschen Bevölkerung fand. Nur wenige Jahre später orientierte sich etwa der gleichnamige autobiografische Roman Ernst von Salomons (»Der Fragebogen«, 1951) in seinem Aufbau an ebenjenem Formular und wurde so zu einem Beststeller. Die Erfahrung der eigenen Entnazifizierung bestand in jedem Fall für die meisten Deutschen darin, den besagten Fragenkatalog sorgsam durchgearbeitet, zutreffende, beschönigende oder auch ganz wahrheitswidrige Antworten auf die einzelnen Fragen formuliert und diese – vielfach zusammen mit Belegen wie selbst verfassten Lebensläufen oder entlastenden Zeugnissen – bei den zuständigen Stellen eingereicht zu haben. Demgegenüber lag der Anteil derjenigen, die sich in einer Anhörung vor einer Spruchkammer verantworten mussten und auf diesem Weg entnazifiziert wurden, bei lediglich rund fünf Prozent und war damit sehr viel geringer.

Von dieser grundsätzlichen Beobachtung geht die Studie von Mikkel Dack aus, die aus der an der University of Calgary vorgelegten Dissertation des Verfassers entstanden ist und den Blick ganz auf den Fragebogen als zentrales Instrument der von den Alliierten betriebenen Entnazifizierung der deutschen Bevölkerung nach dem Zweiten Weltkrieg richtet. Das Buch ist in sechs Abschnitte untergliedert, die grob der Chronologie der Ereignisse folgen, aber auch übergeordnete Gesichtspunkte behandeln. So geht Dack zunächst auf die Pläne der Alliierten, insbesondere von Amerikanern und Briten, zu einer nachhaltigen Entnazifizierung Deutschlands ein, wie sie noch während des Krieges entworfen wurden. In einem zweiten Schritt wendet er sich der Ausarbeitung des Fragebogens zu, wie dieser bei der Entnazifizierung schließlich zur Anwendung kam.

Der dritte Teil behandelt die konkrete Umsetzung der alliierten Entnazifizierungspolitik und zeigt, wie der entworfene Fragenkatalog von den Besatzungsbehörden an die Deutschen ausgegeben und wie die Antworten ausgewertet wurden. Darauf aufbauend werden in einem weiteren Abschnitt Entnazifizierungserfahrungen der Bevölkerung – Dack spricht hier nicht unzutreffend von »the little man’s Nuremberg« – umrissen und am Beispiel des Kreises Hersfeld in Hessen veranschaulicht. Zuletzt wendet sich der Verfasser den gesellschaftlichen Folgen der Entnazifizierung zu, beispielsweise der Entstehung von Entlastungsnarrativen und dem späteren Negieren der eigenen Schuld durch zahlreiche Deutsche.

Die Hauptquelle, auf die sich die Studie stützt, ist eine Sammlung von ausgefüllten Originalfragebögen aus dem Zeitraum zwischen 1945 und 1951, über die heute die US National Archives verfügen. Hinzu kommt behördliches Schriftgut der westalliierten Besatzungsmächte, Regierungsakten, aber auch zeitgenössische Tagebücher und Presseartikel, die der Verfasser in diversen Archiven – darunter dem Bundesarchiv in Koblenz, den britischen National Archives in Kew und den französischen Archives diplomatiques in La Courneuve – eingesehen hat. Die Quellenauswahl bringt es mit sich, dass die Studie stark auf die angelsächsische Entnazifizierungspolitik fokussiert ist, auch wenn durchaus der Anspruch formuliert wird, das Geschehen in allen vier Besatzungszonen zu berücksichtigen. Dack ist hier insoweit zu folgen, dass er argumentiert, es habe sich bei dem Fragebogen um ein von amerikanischer und britischer Seite entwickeltes Instrument gehandelt, das von Franzosen und Sowjets lediglich übernommen und in abgewandelter Form auch in deren Besatzungszonen angewendet wurde. Als fragwürdig erscheint demgegenüber der von Dack formulierte Anspruch, als erster Autor eine umfassende Alltagsgeschichte der Entnazifizierung oder gar »a more comprehensive history of denazification than has previously been written« (S. 4) vorzulegen. Derartig vollmundigen Ankündigungen steht die bloße Tatsache entgegen, dass gerade in den vergangenen Jahren die Erforschung der alliierten Entnazifizierungspolitik neue Impulse erfuhr und dabei, wie etwa in der 2020 erschienen Studie von Hanne Leßau, auch die Erfahrungen der deutschen Bevölkerung im Mittelpunkt des Forschungsinteresses standen1.

Mit ihrer Fokussierung auf den Fragebogen weist die Studie nichtsdestotrotz eine durchaus innovative Grundkonzeption auf und sie bietet eine Reihe von neuen Erkenntnissen, die in bisherigen Arbeiten fehlten, vor allem zur Entstehung des Fragenkatalogs, den damit verbunden Absichten der Alliierten, aber auch den mit dem Einsatz des Fragebogens verbundenen praktischen Aspekten, wie der Ausgabe an die zu Entnazifizierenden und der anschließenden Auswertung. Allerdings wartet man bei der Lektüre vergebens auf eine klare Aussage des eigentlich meinungsstarken Verfassers, wenn es darum geht, den Fragebogen historisch zu bewerten. War dieser nun ein geeignetes Mittel, die Deutschen zu entnazifizieren, und hat er seinen Zweck erfüllt? Angesichts der negativen Bewertung, die die Entnazifizierung in der Forschung vielfach erfahren hat, liegt diese Frage auf der Hand, konnte doch die Rückkehr einer Vielzahl von vormals überzeugten Nationalsozialisten und anderweitig Belasteten in ihre früheren Berufe und Tätigkeitsbereiche nicht verhindert werden. Dack aber will sich nicht festlegen und verweist lediglich summarisch darauf, dass der Erfolg der alliierten Entnazifizierungspolitik insgesamt schwer messbar sei, da doch Unklarheit darüber bestünde, welche Maßstäbe hierfür anzusetzen seien und welcher Zeitraum einer derartigen Bewertung zugrunde zu legen sei. Dass es nicht zuletzt beträchtliche Unterschiede zwischen den vier Besatzungszonen gegeben habe, erschwere eine Gesamtbewertung ebenfalls. All dies mag zwar durchaus zutreffen, ein klareres Urteil zur Hauptfrage des Buches, das über die unbefriedigende Feststellung hinausgeht, es sei »impossible to say for certain if the Fragebogen failed or succeeded« (S. 260), wäre bei einer derartigen Durchdringung der Materie, wie der Verfasser sie vornimmt, dennoch wünschenswert, wenn nicht sogar notwendig gewesen.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Matthias Gemählich, Rezension von/compte rendu de: Mikkel Dack, Everyday Denazification in Postwar Germany. The Fragebogen and Political Screening During the Allied Occupation, Cambridge (Cambridge University Press) 2023, 311 p., ISBN 978-1-009-21633-3, GBP 85,00., in: Francia-Recensio 2023/4, 19.–21. Jahrhundert – Histoire contemporaine, DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2023.4.101578