Die Folgen von Industrialisierung und Schwerindustrie auf die örtliche Umwelt und die dort lebende Bevölkerung gehören zu den ältesten Themen der Umweltgeschichte. Der langen Liste von aus dieser Beschäftigung hervorgegangenen Publikationen fügt Jonas Kaesler mit seiner Dissertation zu Umweltverschmutzung und -debatten im Saarland in den ersten Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg einen weiteren Beitrag hinzu. Der Untersuchungsgegenstand ist gut gewählt. Denn das Saarland war einerseits ein kleinteilig strukturiertes Industrierevier, in dem Schwerindustrie und Landwirtschaft auf engem Raum koexistieren mussten, andererseits eine zwischen Frankreich und Deutschland umstrittene Region mit wechselnden politischen und wirtschaftlichen Grenzen, in der sich Zuständigkeiten und Machtverhältnisse häufig änderten. Dies erlaubt es Kaesler, in seiner Fallstudie die politischen, ökonomischen und territorialen Dimensionen mit den Fragen der Umweltbelastung zu verschränken.

Nach der Einleitung, in der Kaesler seinen Untersuchungsgegenstand, sein Vorgehen, den Forschungsstand und seine Quellengrundlage vorstellt, widmet er sich im zweiten Kapitel ausführlich der Geschichte der Industrialisierung und des Bergbaus im Saargebiet unter wechselnden politischen Vorzeichen vor 1945 sowie ersten Belegen für Umweltverschmutzung und -protest. Auf dieser Basis stellt er im dritten Abschnitt den zentralen ökonomischen Akteur seiner Abhandlung vor, das französische staatliche Bergbauunternehmen Houllières du Bassin de Lorraine (HBL), seine Aktivitäten auf beiden Seiten der Grenze nach 1945 und sein Umweltverständnis. Darauf folgen die beiden zentralen Kapitel des Buches, in denen Kaesler sich mit zwei konkreten Beispielen für Umweltverschmutzung und den sich daraus ergebenden Protesten der lokalen Bevölkerungen auseinandersetzt, wobei in beiden Fällen die verursachenden Industrieanlagen auf der französischen Seite der Grenze situiert waren. Dabei handelte es sich um das Kohlekraftwerk Grosbliederstroff und die von ihm ausgehende Luftverschmutzung sowie die vom Bergbau ausgelösten Grubensenkungen und die Verschmutzung des Flüsschens Rossel. In beiden Fällen hatten Anlieger mit beträchtlichen wirtschaftlichen Schäden zu kämpfen. Diese betrafen besonders die Landwirtschaft und Fischerei, aber auch den Tourismus und die Gastronomie. Während sich die Proteste auf französischer Seite in Grenzen hielten und nur die Gewerkschaft der Obstbauern in der Umgebung von Grosbliederstroff hartnäckig Entschädigung forderte, organisierten sich auf der deutschen Seite in den Ortschaften Kleinblittersdorf und Großrosseln die betroffenen Anlieger in einer »Not-« bzw. »Interessensgemeinschaft«, um gemeinsam gegen die übermächtige HBL rechtlich vorzugehen. Um mehr Durchschlagskraft zu erlangen, versuchten beide Gemeinschaften die Landes- und Bundespolitik sowie mediale Aufmerksamkeit für ihre Anliegen zu mobilisieren. Letztendlich waren die konkreten Erfolge der Anlieger trotz langfristigen Engagements und guter Verbindungen zur lokalen und Landespolitik wegen der schwierigen rechtlichen Lage und der Hinhaltetaktik der HBL begrenzt. Diese hatten bereits mit der Kohlekrise zu kämpfen und waren nicht willens durch technische Innovationen die Umweltverschmutzung zu reduzieren oder Entschädigungszahlungen im großen Stil zu leisten. Letztendlich mussten die Anwohner lernen mit den Umweltfolgen der Industrieanlagen zu leben.

Kaeslers Studie überzeugt besonders durch ihre große Aufmerksamkeit fürs Detail. Auf der Grundlage eines breiten und intensiven Quellenstudiums in deutschen und französischen Archiven gelingt es ihm, die lokalen Gegebenheiten, die aus ihnen entstandenen Konfliktlagen und die beteiligten Akteure genau zu beschreiben, ihre Interessen nachzuvollziehen und so ein komplexes Gesamtbild zu zeichnen. Dieses schließt die politische und wirtschaftliche Situation jenseits des Saarlands und der lothringischen Grenzregion mit ein. Kaesler versucht am Beispiel des Saarlands die nationalen, transnationalen und europäischen Implikationen der auf den ersten Blick so kleinen lokalen, aber grenzüberschreitenden Konflikte sichtbar zu machen. Darüber hinaus bettet er seine Ergebnisse in den weiteren deutschen wie französischen Forschungskontext ein, zieht Verbindungen zu anderen Regionen und schafft es auch auf dieser Ebene, die lokalen Befunde in größere Zusammenhänge einzuordnen.

Dies gelingt Kaesler allerdings nicht immer gleich gut. In seinem Fazit charakterisiert er die betroffenen Anlieger als Vorreiter, die mit der Problematisierung der Umwelt- und Gesundheitsschäden durch die Kohleindustrie Öffentlichkeit und Politik für deren negative Auswirkungen sensibilisiert hätten. Diese Einordnung überzeugt nicht komplett, denn aus Kaeslers Buch geht immer wieder hervor, dass die engagierten Anwohner, wie in den Jahrzehnten vor der Entstehung des Umweltbegriffs und der Umweltbewegung nicht anders zu erwarten, in erster Linie ökonomische Interessen verfolgten und gegenüber Politik und HBL beinahe ausschließlich wirtschaftlich argumentierten. Kaesler sucht in diesen Aussagen wie in den Antworten der HBL und der Politik die Umwelt und findet sie nur indirekt. Die offensichtliche ökonomische Dimension, die in der so detailliert geschilderten Lebenswelt seiner Akteure eine große Rolle spielte, bleibt hingegen blass und aus den detailliert geschilderten Aktivitäten der Gemeinschaften drängt sich eine ergänzende Interpretation auf: In einer Zeit des allgemeinen wirtschaftlichen Aufschwungs sahen sich viele Anwohner in ihrer wirtschaftlichen Existenz bedroht. Die territoriale Lage am Rand der Bundesrepublik schien durch Kräfte jenseits ihres Einflusses in einer parallelen ökonomischen Marginalisierung zu enden. Sie hatten Angst davor, nach ihrer verspäteten Ankunft in der Bundesrepublik abgehängt zu werden. Die Proteste gegen die Umweltverschmutzung wären demnach ein Versuch gewesen, eine volle Teilhabe am Wirtschaftsboom der 1950er- und 1960er-Jahre zu erreichen.

Auch die Aufmerksamkeit für Details hat eine Kehrseite, denn bisweilen verliert sich der Autor im Dickicht der Quellen und Akteure. So kleinteilig wie die ökonomischen Strukturen des Saarlands, so kleinteilig wird in manchen Passagen seine Argumentation. Hier hätte an manchen Stellen ein größeres Augenmerk auf das große Ganze dem Buch gutgetan. Der Leser, der mit den lokalen Gegebenheiten nicht bis ins kleinste Detail vertraut ist, verliert bisweilen den Überblick, und die Sprünge in Zeit und Raum sowie die zahlreichen Exkurse verstärken das Gefühl der Desorientierung. Ähnlich ergeht es einem bei der lokalen Topografie, deren Kenntnis der Autor voraussetzt. Eine oder mehrere Landkarten wären für das Verständnis der Zusammenhänge hilfreich gewesen. Ärgerlich sind die zahlreichen Fehler beim Satz des Manuskripts, die den Lesefluss stören.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Michael Zeheter, Rezension von/compte rendu de: Jonas Kaesler, »Ein vordringlich europäisches Problem«. Umweltverschmutzung und saarländische Umweltdebatte im deutsch-französischen Grenzgebiet. 1945 bis in die 1960er Jahre, Saarbrücken (Kommission für Saarländische Landesgeschichte) 2022, 452 S., s/w Abb. (Veröffentlichungen der Kommission für Saarländische Landesgeschichte, 55), ISBN 978-3-939150-16-9, EUR 39,00., in: Francia-Recensio 2023/4, 19.–21. Jahrhundert – Histoire contemporaine, DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2023.4.101587