Die Relevanz der Geschichte der Finanzpolitik ist in den letzten Jahren stärker in das Bewusstsein der historischen Forschung gerückt. So hat etwa Desiderius Meier mit seiner Biografie über Brünings Finanzminister Hermann Dietrich neue Schlaglichter auf die Rolle der Finanzpolitik in der Endphase der Weimarer Republik geworfen. Ralf Banken hat in seiner Studie über »Hitlers Steuerstaat« noch einmal im Detail gezeigt, in welch kurzer Zeit es den Nationalsozialisten während der 1930er-Jahre gelang, die deutschen Staatsfinanzen komplett zu ruinieren. Er konnte darüber hinaus aber auch zeigen, wie wenig der von einzelnen Protagonisten nach dem Zweiten Weltkrieg gepflegte Mythos einer unpolitischen Fachexpertise den Tatsachen entsprach, gerade auch bei dem langjährigen Finanzminister Schwerin von Krosigk. Vielmehr wurde das Reichsfinanzministerium zunehmend Teil der nationalsozialistischen Gewaltpolitik und schuf den Rahmen für eine Ausgabenpolitik, die eine Voraussetzung der beschleunigten Aufrüstung und Kriegsvorbereitung darstellte.

Die Habilitationsschrift Stefanie Middendorfs ist wie die Arbeit Bankens aus einem Projekt zur Geschichte des Reichsfinanzministeriums entstanden. Middendorf geht es indes weniger um eine spezifische Geschichte der Finanzpolitik, als um eine Institutionengeschichte des Reichsfinanzministeriums in den Jahren 1919 bis 1945 – gesehen unter dem Aspekt der »Staatlichkeit«. Das Buch beschreibt, welche normativen Vorstellungen von Finanzpolitik und welche Regelsysteme im Ministerium über die Jahre der Weimarer Republik und des Nationalsozialismus entstanden. Es rekonstruiert, wie sich das Verhältnis zur Staatspolitik veränderte und wie das Finanzministerium zur Umsetzung politischer Maßnahmen beitrug. Schließlich ergründet es, welche Formen der Entscheidungsfindung und -routinen in diesem Zusammenhang entwickelt wurden.

Das Reichsfinanzministerium ging 1919 aus dem Reichsschatzamt hervor und fand sich gleich zu Beginn mit einer Vielzahl an Herausforderungen konfrontiert. Es mussten Mitarbeiter rekrutiert, Strukturen aufgebaut, Haushaltspläne erstellt und Staatsausgaben bewilligt und kontrolliert werden. Dabei bewegte sich das Reichsfinanzministerium immer am Rande des Ausnahmezustands, zumal die Inflation das Ministerium beständig unter Stress setzte. Hinzu kamen die Auslandsgläubiger, die Druck ausübten, die Ausgaben zu begrenzen und damit einen dynamischen Faktor der Inflation in den Griff zu bekommen. Gerade aus dieser Vielzahl an Herausforderungen resultierte aber auch eine spezifische Machtbasis des Ministeriums, die sich schließlich in der Reichshaushaltsordnung und dem darin festgeschriebenen Vetorecht niederschlug.

Nach den zahlreichen politischen Krisen und der Stabilisierung der Währung 1923/1924 entwickelte sich im Reichsfinanzministerium so etwas wie ein »Normalbetrieb«, der nicht länger den permanenten Ausnahmezustand zu bewältigen suchte. Anhand biografischer Fallstudien zeigt die Autorin exemplarisch, welches Staatsverständnis hohe Beamte, insbesondere der Staatssekretär Johannes Popitz, entwickelten. Finanzpolitik sollte dabei einerseits eine staats- und wirtschaftsgestaltende Funktion übernehmen, zugleich aber ihre Autonomie bewahren und Ausgabewünsche der Ministerien beschränken. Zugleich unterwarf es sich selbst dem eigenen Rationalitätsanspruch: Seit den frühen 1920er-Jahren war ein Reichssparkommissar für Einsparungen und Rationalisierung in der staatlichen Verwaltung verantwortlich. Genauso durchlief das Ministerium im Zuge der Mitarbeiterrekrutierung eine fortgesetzte Professionalisierung.

Insofern lag es für die hohen Beamten des Reichsfinanzministeriums stets nahe, sich selbst als Wächter über die Rationalität staatlicher Ausgabepolitik zu verstehen. Das passte durchaus zusammen mit einem sich in den 1920er‑Jahren durchsetzenden Verständnis von Wirtschaftspolitik, der es darum ging, die Funktionalität des Wirtschaftsgefüges zu garantieren. Finanzpolitik hatte aus dieser Sicht ihre Autonomie zu bewahren und sich nicht von gesellschaftlichen Interessengruppen vereinnahmen zu lassen. Wenn ein Minister wie Peter Reinhold den Konsens der Sparermahnung durchbrach und sich antibürokratisch inszenierte, wurde das im Ministerium als illoyal wahrgenommen.

Die Weltwirtschaftskrise und der damit einhergehende Spardruck stellten die Finanzpolitik dann vor große Herausforderungen. Das Ministerium war entscheidend an der Exekution drastischer Ausgabenkürzungen beteiligt, die zu einer sukzessive eskalierenden Staatskrise beitrugen. Insofern agierte die Finanzpolitik wie schon bis zur Währungsstabilisierung zunehmend im Ausnahmezustand. Aus dieser Perspektive stellte die nationalsozialistische Finanzpolitik weniger einen Bruch, als eine fortgesetzte Entgrenzung und Radikalisierung dar. Sicher kam es zu starken organisatorischen Veränderungen und einer Gleichschaltung des Ministeriums. Hinsichtlich des finanzpolitischen Ansatzes bestand aber die Kontinuität darin, sich macht- und wirtschaftspolitischen Anforderungen zunehmend flexibel anzupassen.

Dem Reichsfinanzministerium gelang es, durch die Andienung an die Ziele nationalsozialistischer Gewaltpolitik den eigenen Einflussbereich zu bewahren. Hier stellt sich dann aber die Frage, ob es nicht zugleich seine Autonomie und damit seine Machtbasis preisgab. Auch wenn die Autorin hier skeptisch ist, so wäre das durchaus typisch: An zahlreichen Institutionen (ein prominentes Beispiel wären hier die Handelskammern) lässt sich zeigen, wie mit Ausweitung der Verantwortungsbereiche zugleich ein Autonomieverlust einherging: es gab mithin viel zu tun und wenig zu entscheiden.

Die große Stärke von Middendorfs Buch besteht in der genauen, quellensensiblen Rekonstruktion der Leitbilder, Machtgefüge und Entscheidungsroutinen innerhalb des Reichsfinanzministeriums. Dieses wird so als ein genuin politischer Körper sichtbar, der eben nicht einfach bloß auf anonyme Sachzwänge reagierte. Auf diese Weise gelingt es ihr auch, einen neuen Blick auf den Charakter des nationalsozialistischen Staates zu werfen. Gerade im Rahmen dieser Debatten ist die Studie breit rezipiert worden und hat viel Anklang gefunden.

Als eine wichtige Frage für die weiterführende Forschung erscheint, wie sich die Institutionengeschichte des Reichsfinanzministeriums mit konkreten finanzpolitischen Entscheidungen verbinden lässt. Das Neue der hier subtil durchgeführten Rekonstruktion der Innensicht des Reichsfinanzministeriums liegt nicht zuletzt darin, sie als mitunter undramatisch prozessual zu porträtieren. Das steht in einer gewissen Spannung zu der Frage, in welchem Maße die Finanzpolitik in der Zwischenkriegszeit ein außenpolitisch hochbrisantes Thema etwa im Rahmen von Reparationen und Währungsstabilisierung war. Es wäre beispielsweise interessant zu fragen, inwiefern die Professionalisierung des Ministeriums in solchen Konflikten vertrauensbildend wirkte. Genauso wäre die Entgrenzung der Finanzpolitik seit der Weltwirtschaftskrise in ihren Rückwirkungen auf die internationalen finanzpolitischen Eskalationen seit der Bankenkrise 1931 zu untersuchen. Für die Untersuchung solcher Fragen bietet Middendorfs Studie jedenfalls einen exzellenten Ausgangspunkt.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Roman Köster, Rezension von/compte rendu de: Stefanie Middendorf, Macht der Ausnahme. Reichsfinanzministerium und Staatlichkeit (1919‑1945), Berlin, Boston (De Gruyter Oldenbourg) 2022, 585 S., 17 Abb. (Das Reichsfinanzministerium im Nationalsozialismus, 5), ISBN 978-3-11-0712186, EUR 69,95., in: Francia-Recensio 2023/4, 19.–21. Jahrhundert – Histoire contemporaine, DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2023.4.101589