Die Vertreibung von Juden aus Königreichen, Territorien und Städten in Lateineuropa während des 13. bis 16. Jahrhunderts wird in der Forschung seit Langem diskutiert. Dabei wurde auch die Verbindung mit dem Vorwurf des »Wuchers« häufig thematisiert. Dorins Monografie widmet sich diesem Nexus von Wuchervorwurf und Vertreibung und schlägt dabei in zweifacher Hinsicht neue Wege ein: Zum einen berücksichtigt sie zum ersten Mal systematisch und auf breiter Grundlage das analoge Phänomen der Vertreibung oder Ausweisung »auswärtiger Wucherer«, womit seit dem 13. Jh. die oft als »Lombarden« oder »Kawertschen« (Cahorsini, Cauwercini) bezeichneten Geldverleiher aus Oberitalien gemeint waren. Erstmals wird dafür auch die breite Basis des von W. Reichert 2003 vorgelegten Kartenwerks zur Verbreitung von »Lombarden in der Germania-Romania« genutzt. Zum anderen verfolgt sie die Entstehungs- und Wirkungsgeschichte des Dekrets »Usurarum voraginem« des Zweiten Konzils von Lyon (1274), das die Vermietung von Häusern an »landfremde und sonstige nicht einheimische Wucherer« (alienigenas et alios non oriundos de terris ipsorum) verbot und deren Vertreibung forderte. Dieses Dekret wurde später in den »Liber Extra« aufgenommen (VI 5.5.1) und damit geltendes Kirchenrecht, seine Umsetzung war aber, wie Dorin deutlich macht, eher die Ausnahme als die Regel.

Kapitel 1 befasst sich mit der Idee des »Wuchers« im hohen Mittelalter. Es arbeitet u. a. die Bedeutung des Magisters Petrus Cantor und seines Kreises an den Pariser Schulen um 1200 heraus, die das Bild vom »Wucher« als einer in jeder Hinsicht zersetzenden Kraft prägten (S. 36–41). Ihre rigoristische Position sollte nachhaltig wirksam werden. Sodann beschreibt es die ersten Versuche, den Umgang mit jüdischen und »lombardischen« Geldverleihern nach analogen Grundsätzen zu normieren, wofür die Gutachten der Pariser Theologen für die Gräfin von Flandern (nicht die Herzogin von Brabant) von ca. 1270 und die Stellungnahmen Gottfrieds von Fontaines zentral sind (S. 47–50, vgl. S. 117–119, 171f.).

Kapitel 2 und 3 untersuchen unter analogen Fragestellungen die ersten Vertreibungsereignisse und -mandate in England und im Königreich Frankreich. Für beide Monarchien zeigt Dorin das Spannungsverhältnis zwischen Schutzanspruch und fiskalischer Ausbeutung auf der einen und religiösen Motivationen auf der anderen Seite auf. In beiden Ländern kam es in den 1230er-Jahren zu lokalen Vertreibungsereignissen oder -versuchen. In England konvergierten kirchliche Bestrebungen, der Rückgriff auf Vorbilder sowie das Einlenken der Krone gegenüber den Forderungen der opponierenden Barone um die Mitte des 13. Jh. in der Vorstellung, dass Ausländer, die sich im »Wucher«-Geschäft betätigten, aus dem Land zu weisen seien (S. 79). In Frankreich war die Regierungszeit Ludwigs IX. des Heiligen entscheidend (S. 88–104). Anders als Heinrich III. von England nutzte Ludwig seine antijüdischen Maßnahmen nicht, um die französische Judenschaft fiskalisch auszupressen. Seine Perspektive war vielmehr ideologisch geprägt; hinsichtlich des »Wuchers« der Juden war er davon überzeugt, dass er als Schutzherr dafür Mitverantwortung trug. Dies zeigt sich deutlich in der Parallelität seiner Maßnahmen gegen Juden und Lombarden bzw. Caorcini im Vorfeld seines zweiten Kreuzzugs (S. 96–100).

Vor diesem Hintergrund beschreibt Kapitel 4 die Entstehung und frühe Rezeption des Dekrets »Usurarum voraginem«. Dorin unterstreicht, dass das Dekret in vielerlei Hinsicht ungewöhnlich war. Erstmals wurde hier auf ein weltliches ius proprium statt auf die üblichen Quellen der Kanonistik zurückgegriffen (S. 113), und die Eingrenzung auf »landfremde« Wucherer sperrte sich der Systematik des kirchlichen Rechts (S. 114–116). Wie Kapitel 5 zeigt, war die Rezeption des Dekrets auf Synoden, in Rechtskompilationen und schließlich im pastoraltheologischen Schrifttum von großer Variabilität. Unterschiedliche Textfassungen, kaum Übernahme in die örtlichen Synodalstatuten und eine große Auslegungsbreite führten dazu, dass »Usurarum voraginem« sich selbst in gelehrten Kontexten keineswegs etablieren konnte.

Kapitel 6 kommt auf England und Frankreich zurück und zeichnet den Einfluss des neuen Konzilsdekrets auf die Vertreibungsverfügungen gegen Juden und Lombarden von 1274 bis 1307 nach: Auf der Insel verlagerte sich das Gewicht unter Edward I. hin zu einer stärker ideologisch begründeten und kirchenrechtlich legitimierten Vertreibungspolitik. Eine umgekehrte Tendenz zeigt sich in Frankreich: Die Impulse durch das Lyoner Konzil und die englisch-angiovinische Praxis griff Philipp IV. auf, nutzte sie aber zur kaum kaschierten Ausplünderung der betroffenen Gruppen.

Kapitel 7 geht den Gründen für das weitgehende Ausbleiben ähnlich begründeter Ausweisungen in anderen Teilen Europas, besonders im Reich und in Italien, während des 13. und 14. Jh. nach. Eine Fallstudie zu den Ereignissen in der Abteistadt Nivelles zeigt, dass die Gründe dafür vielfältig waren: Die weltlichen Herrschaftsträger missachteten die Forderungen des Dekrets, und die Bischöfe gingen einer konsequenten Umsetzung aus dem Weg. Dort, wo seine Umsetzung dennoch gefordert oder letztlich geleistet wurde, ist dies lokalen Konflikten geschuldet; ideologische Gegensätze waren nachrangig (vgl. S. 178f., 187). Selbst die Päpste scheinen »Usurarum voraginem« – von einigen Mahnschreiben (etwa Bonifaz’ VIII., S. 192) abgesehen – seit spätestens Mitte des 14. Jh. als »toten Buchstaben« betrachtet zu haben (S. 195).

Gleichwohl bot, wie Kapitel 8 herausarbeitet, die Verankerung im »Liber Sextus« stets die Gelegenheit zur (Re)Aktivierung der Forderung, »Wucherer« zu vertreiben. Entsprechende Diskussionen werden in den frühen 1320er-Jahren und dann wieder im 15. Jh. lauter. Dabei geraten jüdische Geldverleiher vermehrt in den Blick. Ein Gutachten des Giovanni da Legnano aus den 1370er-Jahren und der »Songe du Vergier« eines französischen Legnano-Schülers sprechen sich mit unterschiedlicher Begründung jetzt für die Anwendbarkeit der Vertreibungsstrafe auf jüdische »Wucherer« aus. Doch bleibt die Frage einer solchen Übertragbarkeit des ursprünglich auf christliche »Landfremde« gemünzten Dekrets auch im 15. Jh. noch umstritten, wie eindrücklich die unterschiedlichen Äußerungen der Päpste Bonifaz IX., Martin V. und Eugen IV. zeigen.

Mit seiner Monografie ist Dorin ein großer Wurf gelungen. Mit Freude am Detail und ohne die großen Fragestellungen aus dem Blick zu verlieren, verknüpft er das, was zunächst als rechtsgeschichtliche Merkwürdigkeit erscheinen mag, mit zentralen Fragen der europäischen Geschichte.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Christoph Cluse, Rezension von/compte rendu de: Rowan Dorin, No return. Jews, Christian Usurers, and the Spread of Mass Expulsion in Medieval Europe, Princeton (Princeton University Press) 2023, 392 p., 5 maps (Histories of Economic Life), ISBN 978-0-691-24092-3, EUR 48,19., in: Francia-Recensio 2024/1, Mittelalter – Moyen Âge (500–1500), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2024.1.103053