Die Arbeit »verfolgt eine kulturelle Gedächtnisspur, die ein intersubjektives Erleben der ordo-Thematik ermöglicht« (S. 13). Gegliedert ist sie in ein Vorwort (S. 9f.), eine Einleitung (S. 11–14) und in insgesamt acht Kapitel. Zuerst wird »1. Philosophische Rekonstruktion des Ordnungsbegriffs nach Hermann Krings« (S. 15-28) behandelt; darauf folgt »2. Ordnung Innen und Außen« (S. 29–44); »3. Soziale Ordnung« (S. 45–62); »4. Erotik der Ordnung« (S. 63–90); »5. Negation der Ordnung« (S. 91–104); »6. Ordo – ein romantischer Phantomschmerz?« (S. 105‑134); »7. Hysterie der Ordnung?« (S. 135–155); »8. Der Wert der Ordnung« (S. 157–176); direkt darauf folgt das »Ergebnis – Der doppelte Wert der Ordnung« (S. 177–181). Abgeschlossen wird der Band mit dem Literaturverzeichnis (S. 182–185) und dem »Abbildungsverzeichnis« (S. 186[o.Z.]). Viele einzelne Abschnitte sind kleinteilig angelegt (siehe z. B. Abschnitt 2.3., 3.3, 5.2, 6.4, 7.3, 8.4).

Ausgangs- und Zielpunkte der jeweiligen Kapitel berufen sich generell auf heutige Autoren, durch deren Brille z. B. Aristoteles, Bonaventura, Thomas von Aquin oder Anselm von Canterbury für den Ordnungsbegriff nutzbar gemacht werden. Gerne werden dazu lateinische Zitate und Termini zur Veredelung eingesetzt, in der Regel ohne Verweis auf die jeweiligen Quellentexte. Fuhrherr rekapituliert den Ordnungsbegriff im ersten Kapitel, beginnend mit der Dissertationsschrift von Hermann Krings aus dem Jahr 1941; die Bibliografie nennt allerdings nur die zweite Auflage von 1982. Fuhrherr lehnt sich stark an den frühen Krings’schen Titel »Ordo. Philosophisch-historische Grundlegung einer abendländischen Idee« an. Das zweite Kapitel handelt über die Seinsordnung. In ebenjenem Kapitel wird auch die protestantische Theologie, bis in unsere Zeit, in Bezug auf den Begriff des Übels betrachtet. Abschließend geht der Autor knapp auf die Frage »nach der Position Gottes in der Ordnung« ein (S. 44). Das dritte Kapitel blickt auf einen sozialen und kulturellen Ordnungsbegriff, insbesondere in der Zeitspanne des Hochmittelalters und der Scholastik. Darin inbegriffen, wird der ordo-Gedanke auch auf den königlichen Hof hin ausgedehnt. Im Ertrag dieses Kapitels kommt wiederum Krings mit seinem Begriff des ordo zu Wort, indem dessen »Sehnsuchtsmotiv nach Frieden (pax) und gesellschaftlichem Miteinander« (S. 61) hervorgehoben wird. Das sich anschließende vierte Kapitel trägt den Titel »Erotik der Ordnung«. Es betrachtet »die Weiblichkeit der Ordnung« (S. 63). Wie kommt ein junger, männlicher Wissenschaftler zu einer derartigen Betrachtungsweise des weiblichen Geschlechts? Zudem wird das Bildmotiv von Stefan Lochner, Maler der Kölner Malerschule (15. Jh.), in diesem Abschnitt als perfekte Komposition des ordo-Gedankens des Mittelalters dargelegt. Dazu stellt Fuhrherr dessen Kunstwerk »Madonna im Rosenhag« ausführlich von der kunsthistorischen Seite her unter den ordo-Gedanken. Hängen etwa heute noch männliche Wissenschaftler gerade diesem Frauenbild an? Allem voran sollte gerade die Theologie nie vergessen, dass Maria eine Jüdin war. Denn die biblischen Texte präsentieren ein völlig anderes Bild von Maria und ihrem Leben als das Bild von Lochner suggeriert.

Papst Paul VI. setzte schon im Jahr 1974 neue Impulse bezüglich der Marienverehrung. So sollte sich unter anderem die Theologie von der Frauenfrage inspirieren lassen. Die aktuellen Bezüge zur heutigen Frauenfrage in der katholischen Kirche vermisst man in der hier vorliegenden Arbeit. Am Ende dieses Abschnitts findet sich dann die Fuhrherr’sche Konklusion: »Die hochmittelalterliche Aufwertung der Frau koinzidiert mit einer Erotisierung der Ordnung« (S. 90).

Das fünfte Kapitel setzt sich mit der Verhältnisbestimmung von Glaube und Vernunft (12.–13. Jh.) auseinander. Der sich daran anschließende Universalienstreit (15. Jh.) diente damals einem Umdenken in philosophischen und theologischen Fragen. Martin Luther, sein Sünden- und Vergebungsverständnis manifestierte in diesem Kontext eine »Negation der Ordnung«. Die beiden sich anschließenden Kapitel betrachten zum einen das Zeitalter der Romantik (19. Jh.) und zum anderen den Nationalsozialismus (20. Jh.). Am Ende des sechsten Kapitels stößt man auf folgende Aussage des Autors: »Die Ordnung wird zur katholischen Antispur gegen die Sinnlehre einer protestantischen Versinnbildlichung der Welt« (S. 134). Was genau meint Fuhrherr mit diesem Satz? »Sinnlehre« als Substantiv lässt sich weder im »Duden« (2014) noch im »Wahrig« (2006) nachweisen. Das achte und letzte Kapitel ist das Herzstück der systematischen Ordnungsidee. Maria Montessori († 1952) ist der strahlende Stern des Ordnungsgedankens. Sie steht ein für »ein friedliches Miteinander in einer geordneten Welt« (S. 157). Die Auswirkungen der Montessoripädagogik werden allerdings nur bei Kindern zwischen sechs und zehn Jahren betrachtet (S. 158). Wie und ob sich dieser Ansatz mit den heutigen Klassenstärken einer staatlichen Schule, den Kindern, die oft aus vielen Herkunftsländern stammen, und den sozial nicht immer homogenen Strukturen umsetzen ließe, darauf gibt der Autor keine Hinweise.

Diese Studie, die aus einer Inauguraldissertation Dr. Phil entstanden ist, möchte »eine längst in den Schatten getretene Materie neu« vorlegen (Vorwort). Diese Einlassung sollte revidiert werden. Denn man staunt, dass im Jahr 2020 ein Aufsatz von Armin G. Wildfeuer unter dem Titel: »Die Fragilität von Ordnungen als Preis der Freiheit. Vom Ordo-Gedanken des Mittelalters zu den Ordnungskonzeptionen der Moderne« publiziert wurde. Dieser führt eine Vielzahl von Reizworten, Autoren und Themen an, die die Arbeit von Fuhrherr drei Jahre später ebenfalls bearbeitet. In der Bibliografie wird dieser Aufsatz nicht genannt. Zuvor, schon im Jahr 1969, erschien von Pierre Van Beneden ein Aufsatz über »Ordo. Über den Ursprung einer kirchlichen Terminologie«, in: Vigiliae Christianae 23 (1969), S. 161–176; auch dieser Aufsatz findet keine Erwähnung in der vorliegenden Arbeit.

Eine kulturhistorische Studie, die auf die Politik des königlichen Hofes verweist, sowie auf das menschliche Miteinander im Allgemeinen, sollte die Arbeit von Martin Mosimann (2021) »Das Paradox der Ordnung. Überlegungen zu einem politischen Kampfbegriff« heranziehen. Denn in dieser Arbeit wird grundlegend gefragt, wie Ordnungen funktionieren.

Unter dem Titel »Ordo inversus. Formen und Funktionen einer Denkfigur um 1800« erschien 2020 ein Band von Andrea Albrecht, Franziska Bomski und Lutz Danneberg im Fachbereich der Philosophie. Dieser untersucht den zirkulären Ordnungsbegriff von der Antike, über das Mittelalter bis ins 18. Jh. hinein, er findet jedoch keine Erwähnung.

Die vorliegende Studie sei entstanden aus einem achtjährigen Theologiestudium (Vorwort). Demgegenüber weist die Autoren-Vita sechs Jahre Studium aus (https://www.uni-due.de/katheol/systheol/alexanderfuhrherr1.php; 17.01.2024). Wenn explizit auf ein langes Theologiestudium hingewiesen wird, dann verwundert, dass der Ordo der katholischen Kirche, die »Ordines«, der »Liber ordinis« sowie der »Liber Ordinarius«, und insgesamt die Liturgie der katholischen Kirche keine Beachtung finden. Zudem fällt auf, dass der Ordnungsbegriff aus Gen 1 weder Erwähnung noch Bearbeitung erfährt. Denn der Ordnungsgedanke findet generell im ersten Schöpfungsbericht des Alten Testaments seinen Ausgangspunkt. Die Einheitsübersetzung schreibt: »die Erde aber war wüst und wirr« (Gen 1,2), während die jüdische Tora im zweiten Vers von »Tohu wabohu« spricht. Gott greift in diesen chaotischen Zustand ein. Gedanken und Untersuchungen zum Begriff »Ordnung« empfehlen sich also weiterhin.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Karin Ganss, Rezension von/compte rendu de: Alexander Fuhrherr, Ordo. Studien zu einer hochmittelalterlichen systematischen Idee, Stuttgart (Kohlhammer) 2023, 185 S., ISBN 978-3-17-043905-4, EUR 49,00., in: Francia-Recensio 2024/1, Mittelalter – Moyen Âge (500–1500), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2024.1.103056