Der Herausgeber des zu rezensierenden Bandes verfolgt bereits seit einigen Jahren das Ziel, das Forschungsfeld der Ibero-Mediävistik in Deutschland zu etablieren, um zur mittelalterlichen Geschichte der Iberischen Halbinsel Forschende besser zu vernetzen. In diesem Zusammenhang sind im Umfeld seines Heidelberger Lehrstuhls bereits einige Initiativen wie die Gründung einer Arbeitsgemeinschaft oder die Einrichtung eines Blogs entstanden. Der vorliegende Sammelband ordnet sich in diesen Kontext ein. In seiner Einleitung formuliert N. Jaspert die vier Ziele des Buches: Zunächst sollen in Deutschland bisher kaum bekannte Archive und Bibliotheken vorgestellt und deren Potentiale für die internationale Mediävistik aufgezeigt werden. Zweitens sollen verschiedene, in der ibero-mediävistischen Forschung in Deutschland, Spanien und Portugal aktuelle Fragestellungen und Forschungsansätze Raum erhalten. Damit soll – so das dritte Ziel – ein engerer Austausch über nationale Grenzen hinweg erleichtert und namentlich die Rezeption spanischer Forschungsansätze in Deutschland sowie vice versa vereinfacht werden. Viertens sollen bedeutende Vertreterinnen und Vertreter des Fachs in einem Band vertreten sein, wobei der Herausgeber einschränkend hinzufügt, dass er sich hier nur auf die Geschichtswissenschaft bezieht und andere betroffene Disziplinen wie die Philologien an dieser Stelle, aus pragmatischen Gründen, ausgeklammert werden.
Eine solche Zielsetzung hat zwangsläufig eine große thematische und chronologische Diversität zur Folge. Die Beiträge wurden fünf sehr weit gefassten Kategorien zugeordnet: »Wissenschaftsgeschichtliche Einblicke«, »Neue Zugänge zum frühen und hohen Mittelalter«, »Raum und Umwelt«, »Herrschaft und Identität« sowie »Sozialgeschichtliche Perspektiven auf das Spätmittelalter«. Die Klammer für den gesamten Band ist jedoch – im Einklang mit dem oben zitierten ersten Ziel – der Fokus auf Archive, Bibliotheken und Forschungsansätze. Einige der Beiträge bieten Forschungsüberblicke zu einem bestimmten Thema, andere zeigen Fragen auf, die ausgehend von den Beständen eines einzelnen Archivs bearbeitet werden können, während wieder andere als Überblick oder Anleitung für die Arbeit in einem konkreten Archiv dienen und mit Tabellen, Bestandslisten und weiteren Hinweisen ausgestattet sind. Die Beiträge sind auf Deutsch, Spanisch und Englisch verfasst. Dies ist in Bezug auf das umrissene Forschungsfeld zwar nachvollziehbar, jedoch wäre es wünschenswert gewesen, wenn gerade die Forschungsüberblicke zu den einzelnen Themen in einer auch für die Lehre an deutschsprachigen Universitäten zugänglicheren Sprache veröffentlicht worden wären. Bei insgesamt 20 Beiträgen ist es im Rahmen dieser Rezension nicht möglich, die Einzelergebnisse und den Erkenntniswert umfassend zu diskutieren und auf inhaltlicher Ebene zu bewerten. Stattdessen soll anhand von drei ausgewählten Aufsätzen das Potential der Gesamtkonzeption dieses auf den ersten Blick sehr disparaten Bandes aufgezeigt werden. Wer sich in knapper Form über die Inhalte aller Einzelbeiträge informieren möchte, der sei auf die online frei verfügbare Einleitung des Herausgebers verwiesen1.
Sandra Schiewecks Aufsatz zu den iberischen Grenzen (»Iberian Frontiers Revisited. Research Traditions and New Approaches«) dient hier als Beispiel für jene Beiträge, die das Ziel des Wissenstransfers zwischen deutscher und spanischer Forschung aufgegriffen haben. Die Autorin zeigt zweierlei Möglichkeiten auf, wie Impulse aus der deutschen Forschung zu neuen Erkenntnissen für die Geschichte der Iberischen Halbinsel führen können. Zum einen verwendet sie Ansätze der deutschen Raumsoziologie, um unter Zuhilfenahme des Konzepts sozial-konstruierter Räume einen neuen Blick auf bereits bekannte kastilische Grenzverträge zu werfen. Zum anderen fokussiert sie nicht nur auf eine Grenze, wie die häufig untersuchte zwischen Kastilien und dem muslimischen Nasridenemirat, sondern bezieht in einem vergleichenden Blick ebenso die anderen drei kastilischen Grenzen (zu Aragón, Portugal und Navarra) mit ein. Damit geht sie über die häufig regional orientierte iberische Forschung hinaus und befreit die christlich-muslimische Grenze von ihrer Sonderrolle, deren konkrete Grenzorganisation gar nicht so verschieden von Grenzen zwischen christlichen Reichen war.
Der Beitrag von Eloísa Ramírez Vaquero (»Conocer, representar, informar: La Diplomacia como instrumento del poder regio: Navarra, s. XIV–XV«) steht exemplarisch für das o. g. Ziel des Bandes, spanische Archive und Bibliotheken in Deutschland bekannter zu machen, in diesem Fall das Archivo General de Navarra. Im Gegensatz zu dem seit Heinrich Finke wohlbekannten Kronarchiv in Barcelona wurde das AGN in Pamplona hierzulande noch kaum von der Forschung genutzt. Dass es sich lohnen würde, diese Situation zu ändern, erfährt man von E. Ramírez Vaquero, die das Forschungsfeld der Geschichte der internationalen Beziehungen als Beispiel gewählt hat. Anhand verschiedener Fälle des 14. und 15. Jahrhunderts zeigt sie eindrucksvoll, welche Schätze das Archiv für die neuere Diplomatiegeschichte zu bieten hat. Hinzu kommt, dass das Königreich Navarra eine Art Brückenfunktion zwischen iberischen Belangen und jenen des Kontinents, insbesondere Frankreichs, besaß; das macht die Archivbestände noch interessanter für die gesamteuropäische Geschichte. So entstammen die von ihr vorgestellten Fälle den kontinental bedeutsamen Kontexten des Hundertjährigen Kriegs sowie des Abendländischen Schismas. Im zweiten Teil ihres Beitrags gibt die Autorin zudem eine knappe Einführung in die Bestände des Archivs und die für die Mediävistik relevanten Abteilungen. Sie hebt weiterhin hervor, dass die Arbeit mit diesen Beständen künftig einfacher wird, denn die Online-Veröffentlichung eines Großteils des Materials steht kurz bevor. Auch in dieser Hinsicht war es eine gute Wahl, diesem Archiv einen Beitrag zu widmen.
Ana Echevarría stellt in ihrem Aufsatz (»Fuentes y perspectivas para una historia sociocultural de los musulmanes bajo dominio cristiano en la Peninsula Iberica«) gleichermaßen Archive und Bibliotheken vor, geht dabei aber von einem konkreten Forschungsthema aus. Sie präsentiert zunächst das Thema der Muslime unter christlicher Herrschaft als dynamisches Forschungsfeld, das sich in den vergangenen Jahren – unter anderem durch Impulse aus der deutschen und anglophonen Forschung – sowohl lokal und regional ausdifferenziert hat und zugleich überregional vergleichend bearbeitet wurde. Anschließend bietet A. Echevarría nahezu eine Schritt-für-Schritt-Anleitung, die sich an junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler richtet. Darin erläutert die Autorin Ansätze für ein systematisches Vorgehen bei der Quellensuche und erklärt relevante Archive und Archivtypen, die konsultiert werden sollten. Anhand aktueller Ansätze der Forschung bietet sie zudem Ideen für das Erarbeiten einer Forschungsfrage, wobei sie auf die Sozialgeschichte der muslimischen Gemeinden fokussiert und zugleich auf die anspruchsvollen sprachlichen Voraussetzungen dieses Feldes verweist.
Diese drei Beiträge mögen genügen, um das Potential und den Nutzen des Bandes deutlich zu machen. Er wird sicherlich nur von Wenigen in Gänze rezipiert werden, dafür sind die Themen zu disparat. Es sei allerdings allen, die sich für die Iberische Halbinsel im Mittelalter interessieren, nahegelegt, ihn zu konsultieren, denn er bietet eine wahre Fundgrube zu – wie es der Untertitel deutlich macht – Grundlagen, Potentialen und Perspektiven.
Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:
Robert Friedrich, Rezension von/compte rendu de: Nikolas Jaspert (Hg.), Ibero-Mediävistik. Grundlagen, Potentiale und Perspektiven eines internationalen Forschungsfeldes, Münster (LIT-Verlag) 2022, 580 S. (Geschichte und Kultur der Iberischen Welt, 17), ISBN 978-3-643-14597-0, EUR 69,90., in: Francia-Recensio 2024/1, Mittelalter – Moyen Âge (500–1500), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2024.1.103066