Der vorliegende Band stellt die Ergebnisse der Herbsttagung des Konstanzer Arbeitskreises 2018 dar. Ziel der Herausgeber Klaus Oschema und Bernd Schneidmüller ist es, Aufsätze über verschiedene Vorstellungen von Zukunft im Mittelalter zu vereinen und den Blick damit über die in der mittelalterlichen Forschung hauptsächlich behandelten eschatologischen Vorstellungen hinaus auf weitere mögliche Zeitkonzepte des Mittelalters zu weiten. Die Beiträge befassen sich daher auch mit Ansätzen, die, wie K. Oschema es nennt, »mittelfristige Zukunftshorizonte« (S. 57) des Mittelalters fokussieren. Darunter sind solche Perspektiven und Handlungen zu verstehen, die weder den eschatologischen Bezug noch die Planung des zeitnahen »Morgen« in der säkularen Welt in den Vordergrund rücken, sondern diesseitig eine erweiterte Planungsmöglichkeit von Zukunft thematisieren. Diese mittelfristigen Handlungsstrategien seien, so die Herausgeber, bislang kaum beachtet worden, da die Forschung sich stets mehr mit den gängigen Großentwürfen beschäftige, wenn sie überhaupt eine Möglichkeit der Zukunft für das Mittelalter in Aussicht stelle. Dementsprechend enthält der Band zahlreiche Beiträge, die verschiedene Zeitregime (dies ein Begriff von Anja Rathmann-Lutz) thematisieren und mit der Hinzunahme der mittelfristigen Perspektive alle genannten Zeithorizonte der Zukunft zum Inhalt haben.

Den Herausgebern geht es um die Sichtbarmachung von Zeitkonzepten und Planungsstrategien (so der Untertitel), die für die mittelalterlichen Zeugnisse bislang nicht untersucht wurden. Dieses Ziel lässt sich im Rahmen einer solchen Tagung, auf die der Band basiert, mit den unterschiedlichen Forschungsansätzen der Teilnehmenden nicht kategorisch verfolgen; das liegt in der Natur der Sache, wie B. Schneidmüller und K. Oschema in ihren Einleitungen zugeben. So präsentiert sich hier eine Veröffentlichung mit verschiedenen Untersuchungen von Einzelbeispielen, die alle in das gewünschte Konzept passen, jedoch ihre Eigenheiten im speziellen Forschungsinteresse der Beitragenden behalten dürfen. Der Band gibt keine Binnenstruktur der Beiträge (chronologisch oder thematisch) vor. Dies erschwert zunächst ein wenig ihre Einordnung in den Gesamtzusammenhang, gewährt aber zugleich Raum für die Einordnung durch den Leser. Die Autorinnen und Autoren konzentrieren sich vor allem auf Quellenzeugnisse, die auf ihren jeweiligen Zukunftshorizont untersucht werden.

Welche Planungsstrategien ergeben sich z. B. für Kaufleute, die aus der Erfahrung der Vergangenheit für die Zukunft ihrer Handelsgeschäfte vorsorgen wollen? Ulla Kypta stellt in ihrem Beitrag anschaulich dar, wie vergangene Erfahrungen zu Planungsstrategien und Absicherungsmaßnahmen führen. Dabei agieren die Kaufleute zwischen den Polen einer Rechtfertigung des eigenen Handelns und einer Fürsorge für die eigene und die gemeinschaftliche Zukunft, für die sie die Verantwortung übernahmen.

Eine etwas andere Art der kaufmännischen Vorsorge präsentiert Benjamin Scheller, der die mittelalterlichen Gedenkstiftungen anhand des Beispiels von Franceso di Marco Datini (14. Jahrhundert) thematisiert und damit mittelfristige wie überzeitliche Vorsorge in den Fokus seiner Untersuchung rückt. Die Planung des eigenen Gedenkens in der Zeitebene zwischen dem eigenen Tod und dem Ende der Welt stellt hier eine besondere Herausforderung für den Stiftenden dar, der zudem ganz pragmatisch Klauseln und Instanzen im Falle der Gefahr der Stiftung durch Nichtvollzug einplanen musste.

Bei dem Beitrag von Julia Burkhardt steht die idealtypische Vorstellung von Klostergemeinschaften als Spiegelungen des Gottesreiches neben den zukunftsgerichteten Handlungen. Zunächst galten Klöster als Ort einer besonderen Gottesnähe und spiegelten so in ihrer Gestalt, ihrem abgeschiedenen Leben in klösterlicher Gemeinschaft, das eschatologische himmlische Jerusalem wider. Die Gesamtheit der täglich ritualisierten Handlungen, die Gebetszeiten und Speiseordnungen sind dabei stets auf das Erreichen des Gottesreiches ausgerichtet.

Mit Kreuzzugstraktaten, die nach der muslimischen Eroberung 1291 die Rückeroberung des Heiligen Landes thematisierten, befasst sich der Beitrag von Thomas Ertl. Neben praktischen Ausführungen zur Planung der zukünftigen Reisen enthalten diese Texte auch ideal-utopische Vorstellungen zur späteren Sicherung der rückeroberten Gebiete mittels einer neuen sozialen Ordnung. Ertl geht in einem zweiten Schritt auch auf das Fortleben dieser Traktate im Verlauf des 14. Jahrhunderts ein, als diese ihren realhistorischen Zweck zwar verloren hatten, sie aber als Handbücher für praktische Informationen über den Osten kopiert und kompiliert wurden. Dieser Ansatz vermische »Bildungs- und Handlungswissen« der Traktate, setze aber immer eine vorstell- und planbare Zukunft voraus (S. 302).

Die für das Mittelalter vorherrschende Präsenz der endzeitlichen Zukunftsentwürfe schwingt schon in diesen Beiträgen neben den vorhandenen Handlungskonzepten pragmatischer Art mit. Einen Überblick über die eschatologischen Vorstellungen des Mittelalters liefert grundlegend Klaus Herbers und betont, dass auch wenn scheinbar alle Konzeptionen biblisch festgeschrieben waren, die Praktiken eine große Vielfalt und Dynamik erkennen ließen (S. 103). Herbers schließt mit weiteren Forschungsdesideraten zur Thematik. Der anschließende Beitrag von Stefan Leder befasst sich mit den arabisch-islamischen eschatologischen Vorstellungen. Er ist damit der einzige Abschnitt des Bandes, der die lateinisch-christliche Welt des Mittelalters erweitert. Weitere Ansätze dieser Art wären wünschenswert gewesen, wie es im Übrigen auch B. Schneidmüller eingangs bemerkt (S. 11f.).

Der Vorstellung von unterschiedlichen Zeitregimen widmet sich Anja Rathmann-Lutz. Sie weist in ihrer Untersuchung den Sphären des Klosters (Saint-Denis) und der höfischen Welt unterschiedliche temporale Qualitäten zu, die auf bestimmte Formen der Zukunftsplanung abzielen. Die rasche Handlung erfordernde Welt des Hofes diene dabei der unmittelbaren Zukunft. Das klösterliche Zeitregime ziele hingegen mit seiner Ruhe und Bedachtheit auf die Erfüllung einer (mindestens) mittelfristigen, im Sinne der Erhaltung der Errungenschaften im späteren Diesseits aber überwiegend endzeitlichen Zukunft.

Anke Holdenried unterstreicht die historische Bedeutung des in Paris tätigen Petrus Cantor (12. Jh.), indem sie erstmals die in seinem zu Bibelstudien vorgesehenen Werk »Distinctiones« unterschiedlichen Begriffe für »Zukunft« in den Betrachtungshorizont stellt. Daniela Wagner stellt mit ihrem kunsthistorischen Ansatz die Frage nach der Vermittlung von Zukunft in Bildern des späten Mittelalters. Im Mittelpunkt steht hier die Darstellung der sog. fünfzehn Zeichen, die in verschiedenen schriftlichen Quellen das Ende der diesseitigen Welt ankündigen. Die Illustration der fünfzehn Zeichen stellt damit eine Sichtbarmachung und Konkretisierung der Zukunft dar.

Den Band beschließt ein kurzes Resümee von Petra Schulte, die den Bogen spannt von den Beiträgen zu den einführenden Überlegungen von B. Schneidmüller und K. Oschema.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Petra Waffner, Rezension von/compte rendu de: Klaus Oschema, Bernd Schneidmüller (Hg.), Zukunft im Mittelalter. Zeitkonzepte und Planungsstrategien, Ostfildern (Jan Thorbecke Verlag) 2021, 352 S. (Vorträge und Forschungen, 110), ISBN 978-3-7995-6890-6, EUR 49,00., in: Francia-Recensio 2024/1, Mittelalter – Moyen Âge (500–1500), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2024.1.103071