International hat der Autor als einer der renommiertesten Spezialisten für Symbole, Embleme, Stoffe wie vor allem für Wappen und damit auch für Farben und Tiere im Mittelalter zu gelten; über 80 in zahlreiche Sprachen übersetzte Bücher hat er bislang publiziert (wobei Deutsch, eine Sprache, die er nach eigenem Bekunden weitaus am besten beherrscht [vgl. S. 63f.], relativ hintan steht). Kaum mehr zu überschauen ist die Zahl seiner Aufsätze und sonstiger Beiträge, die er, wie auch sein Gesamtwerk, stets an dem Aus- und Zuspruch seines weitläufigen Verwandten Jacques Le Goff ausgerichtet hat: »L’imaginaire ne s’oppose pas à la réalité, il en fait partie« (S. 109). Eine besondere Rolle spielt bei ihm die Artusthematik, und in fortgeschrittenem Alter – 2023 wurde Pastoureau 75 Jahre alt – kam ihm die Idee einer Rückkehr zu den wissenschaftlichen Anfängen, zu seinem ersten Buch »La vie quotidienne en France et en Angleterre au temps des chevaliers de la Table ronde« (1976), was für ihn seit frühesten Tagen mit Walter Scott und »Ivanhoe« verbunden war: einem Türöffner in die Welt des höfischen Hochmittelalters.
Sein ursprünglicher Plan einer Überarbeitung und Neuauflage erwies sich angesichts des immensen Forschungsfortschritts in den letzten fünfzig Jahren auf diesem Gebiet rasch als Illusion (»un tonneau des Danaïdes«, S. 12), doch statt das Thema aufzugeben, entschied er sich, die seinerzeitige Entstehung des Werks auszuleuchten. Es basiert teilweise auf jenem für seine thèse an der École des chartes (»Le bestiaire héraldique au Moyen Âge«, 1972) gesammelten, für die Endfassung aber nicht berücksichtigten Material mit vielfachen zukunftsträchtigen Bezügen »à la culture materielle, aux vêtements, aux couleurs, aux chevaux, à la chasse, aux gestes, aux emblèmes« (S. 15). Aber ebenso einbezogen in den Rückblick wurden Themen wie die Niederschrift auf einer mechanischen, nach Einfingersystem traktierten Schreibmaschine, die fragwürdigen Erfahrungen des jungen Historikers mit dem französischen Verlagswesen und dessen teilweise inkompetenten Repräsentanten – das Werk erschien wohlgemerkt bei Hachette in der angesehenen »La vie quotidienne«-Reihe – oder die Probleme mit den genau abzuwägenden Widmungen, die ersten Tagungsteilnahmen und Vorträge (»La colloquite«, S. 85) oder niederschmetternde Begegnungen des Redners mit zahlreichen Adepten der Sekte des »l’hermétisme arthurien« (S. 73), ganz zu schweigen von den »bavards irrépressibles, … psychanalystes amateurs, … spécialistes de l’aggression verbale« und vor allem den »militants défendant passionnément une cause« (S. 76) – Erfahrungen, die manch ein Kollege mit ihm teilen dürfte. Das ist alles nicht nur für Insider des Geschäfts von Interesse, es liest sich gut und flüssig, zumal dabei auch Grundsätzliches wie die seinerzeit vieldiskutierte »haute vulgarisation«, die damals hochaktuelle Mentalitätsthematik oder auch die Relevanz zeitgenössischer literarischer Texte für die Historiografie erörtert wird. Insbesondere die Ausführungen zu den sozialen Strukturen wie etwa den Beziehungen zwischen Adel und Rittertum und des Weiteren zu den Rhythmen hochmittelalterlichen Lebens dürften auf Dauer weitgehend Gültigkeit besitzen.
Nicht zuletzt kommt Persönliches zur Sprache: eine fast schon krankhafte Schüchternheit oder die Angst vor großer Gesellschaft und Telefonaten (»je suis agoraphobe et plus ou moins misanthrope«, S. 91), die mit dem Talent des freien Vortrags vor Publikum oder im Radio und Fernsehen und dem der geläufigen Feder merkwürdig kontrastieren. Immer wieder stellt der bekenntnisfreudige Autor sich und seine Arbeit infrage, wobei den Leser allerdings bisweilen leise Zweifel beschleichen mögen, ob das alles rückhaltlos aufrichtig ist oder sich Anflüge von Pose und Stilisierung einschleichen. Ganz frei von Eitelkeit und Selbstbespiegelung scheint mir die Darstellung nicht, andererseits rechtfertigen Lebenswerk und -leistung durchaus eine gewisse Selbstzufriedenheit, wie auch seine beißende Kritik beim Blick auf Entwicklungen, Moden und Auswüchse auf dem heutigen historischen Markt – ich verwende bewusst diesen Begriff – mir vollauf gerechtfertigt scheint. Pastoureau sieht sich selber, ungeachtet einer Vielzahl von Ehrungen und Preisen, als Außenseiter der Zunft, der nie auf Feldern wie Drittmittel-, Projekt- und Verbundforschung tätig war und nie das eherne Gesetz heutiger Antragspflicht und -wut befolgt hat: »Un chercheur qui ne demande pas de financement n’est pas un chercheur sérieux« (S. 96), sondern der bewusst und konsequent den »altmodischen« Weg individueller Forschung gegangen ist, wobei ihm das Milieu einer bildungsbürgerlichen Familie mit Persönlichkeiten wie Le Goff und Claude Levi-Strauss (S. 63 f.) Rückhalt und Sicherheit bedeutet haben dürfte, zudem mit einem Vater an der Spitze, der weitläufig Beziehungen zu Dichtern und Künstlern von Aragon und Breton über Éluard und Senghor bis zu Man Rey und Yves Tanguy unterhielt (S. 57).
Im weiteren Verlauf schlägt der Verfasser dann ein ganz anderes Thema an, da er in gerafftem Überblick die Historie des Artusstoffs vom frühen Mittelalter bis ins 13. Jahrhundert resümiert und damit indirekt doch noch die jüngere Forschungsgeschichte berührt: vielleicht weil die Geschichte der Genese der eigenen Arbeit kein ganzes Buch zu füllen vermag? Auf jeden Fall oszilliert das Ganze zwischen Autobiografie und »réécriture«. Beim Rückblick auf die jüngere französische Historiografie wird schließlich eine gewisse Verbitterung erkennbar: Das eigene Buch kam 1976 ein wenig zu früh auf den Markt, um von der um 1980 machtvoll einsetzenden Welle der »haute vulgarisation« zu profitieren; nach deren Höhepunkt mit den Leitsternen Duby, Le Roy Ladurie und Favier ist das Ganze nach Ansicht Pastoureaus später zu bloßer »vulgarisation« für ein Publikum ohne jegliche historische Grundkenntnisse verkommen, das obendrein seine Informationen inzwischen großteils aus dem Netz samt all dessen Fragwürdigkeiten bezieht. Sein eigenes Werk würde heute wohl als »livre universitaire« firmieren, derweil die klassische Grundlagenforschung, die gelehrte »érudition« im Schwinden begriffen ist; vielmehr »on a recours à des machines de plus en plus sophistiquées pour obtenir certains résultats que l’on obtiendrait facilement avec un peu de flair« (S. 152). Dahin ist das alte Europa mit seinen Bibliotheksschätzen, dahin der Griff zu alten Handschriften und die Pflege der eigenen Handschrift: »Le crétinisme a de belles décennies devant lui … Bref, ce monde n’est plus le mien« (S. 149, 152). Gleichen Alters wie der Autor, teile ich zwar nicht seinen rabenschwarzen Pessimismus – das digitale Zeitalter hat ja durchaus gewisse Vorteile und Fortschritte mit sich gebracht –, allein vielen seiner Feststellungen muss ich in der Grundtendenz (leider) zustimmen.
Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:
Heribert Müller, Rezension von/compte rendu de: Michel Pastoureau, Dernière visite chez le roi Arthur. Histoire d’un premier livre, Paris (Éditions du Seuil) 2023, 159 p. (La librairie du XXIe siècle), ISBN 978-2-02-151269-4, EUR 19,90., in: Francia-Recensio 2024/1, Mittelalter – Moyen Âge (500–1500), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2024.1.103074