Dass Voltaire eine Jahrzehnte und zwischenzeitliche Zerwürfnisse überdauernde Korrespondenz mit Friedrich II. von Preußen führte, ist allgemein bekannt. Weniger bekannt ist jedoch, dass er auch – in weitaus geringerem Umfang – mit Friedrichs Schwester Wilhelmine von Bayreuth (1709‑1758) korrespondierte. Wilhelmine, die 1731 den Erbprinzen Friedrich von Ansbach‑Bayreuth geheiratet hatte, ist bekannt durch ihre Memoiren über die Jugend der Kinder Friedrich Wilhelms I., aber darüber hinaus war sie eine große Förderin der höfischen Musik, die wie auch ihr Bruder komponierte, und die in Bayreuth das wunderbare markgräfliche Opernhaus (mittlerweile UNESCO-Weltkulturerbe) bauen ließ.

Voltaire hatte Wilhelmine 1740 ebenfalls bei seinem ersten Treffen mit dem Preußenkönig im November 1740 in Rheinsberg kennengelernt. Seitdem entspann sich ein loser Briefwechsel, der beiderseits erhalten ist und bis zu Wilhelmines Tod am 14. Oktober  1758 anhielt.

Die erhaltenen 46 Briefe hat Günter Berger, emeritierter Bayreuther Romanist und Biograf Wilhelmines nun aus der großen Voltaire-Korrespondenz-Ausgabe der Voltaire Foundation ins Deutsche übersetzt und in einer handlichen Ausgabe zugänglich gemacht. In seiner Einleitung hat Berger alle notwendigen Informationen, die vor der Lektüre wichtig sind, knapp skizziert: Die ersten Briefe werden 1741–1742 im Anschluss an ihre Begegnung ausgetauscht, wobei aus diesen Jahren nur ein Brief erhalten ist. Die Korrespondenz wird während Voltaires Aufenthalt in Potsdam und Berlin 1750–1752 wiederaufgenommen, wo er Wilhelmine bei ihrem Besuch 1750 erneut begegnet. Voltaires Flucht aus Berlin führt auch zum Abbruch des Briefwechsels; mehrere Briefe aus Frankfurt und dann Straßburg 1753 und 1754, in einem leicht larmoyanten, sein Verhalten im Konflikt mit Friedrich verteidigenden Ton blieben unbeantwortet, ehe im Vorfeld des Siebenjährigen Krieges, nach der Unterzeichnung der Westminster Konvention, der Dialog wieder aufgenommen wird. Voltaire diente als Briefkasten für die vergeblichen Versuche Wilhelmines, über die Bekanntschaft mit dem Kardinal Tencin einen Kommunikationskanal für Verhandlungen zwischen ihrem Bruder und Versailles aufzubauen; sie leitete Briefe Voltaires an ihren Bruder weiter und umgekehrt und schließlich unterrichtete sie den in Les Délices bei Genf, fern vom Kriegsschauplatz lebenden Voltaire über den Kriegsverlauf im Herbst 1757. Geschildert werden die schon bald zum Mythos werdenden Schlachten von Rosbach (5.  November, vgl. Wilhelmines Brief vom 23. November) und Leuthen (5. Dezember, vgl. Wilhelmines Brief vom 27. Dezember).

Diese beiden langen Briefe bieten viele interessante Aspekte der Wahrnehmung des Kriegsgeschehens (etwa über das heftige und vernichtende Feuer von Artillerie und Musketen, dem die französischen Linien in Rossbach ausgesetzt waren), doch sind sie eher untypisch für den Ton, der zwischen den beiden vor 1756 herrschte.

In diesen ersten Jahren des Austausches titulierten sich die beiden als Angehörige eines imaginären Klosters in Potsdam, dessen Abt Friedrich II. ist. Damit umgingen sie geschickt die Standesunterschiede zwischen dem Schriftsteller und der Königstochter und Ehefrau eines Landesherrn im Alten Reich und die sich dadurch eigentlich ergebenden Zwänge in der Korrespondenz. Komplimente, die die gesellschaftliche Inferiorität ausdrücken, werden somit zum Spiel: »Die Befehle Eurer Königlichen Hoheit haben meine Ehrerbietung gekreuzt, und ich war dabei mich Ihnen zu Füßen zu werfen, als Sie mir zu schreiben geruhten«, heißt es einleitend im Brief Voltaires vom 19. Dezember 1750 (S. 25). Und umgekehrt »grüßt Schwester Guillemette […] Bruder Voltaire« (Brief vom 25. Dezember 1742, S. 28). So entspinnt sich ein geistreiches Briefgespräch, in dem über Musikaufführungen in Potsdam gescherzt und die musikalische Kompetenz Wilhelmines deutlich wird, Voltaires religionskritische Gedichte kommentiert werden und Voltaire als »broker« den Marquis d’Adhemar als Gesellschafter an den Hof von Bayreuth vermittelt. Selbstverständlich lässt Voltaire der Markgräfin seine in diesen Jahren entstehenden Werke zukommen, das »Siècle de Louis XIV«, den »Essai sur les mœurs« und die »Annales de l’Empire«. Für Voltaires Verhalten in Potsdam, die Satire über Maupertuis und die heimlichen Spekulationen, die in Prozessen münden, hat, wenig überraschend, Wilhelmine wenig Verständnis. Das Zerwürfnis mit dem Bruder wird nicht von ihr kommentiert, obwohl Voltaire sie um Unterstützung bittet, und den Prozess mit dem Berliner Schutzjuden Abraham Hirschel erachtet sie als Voltaires nicht würdig – auch hier bleiben Kommentare aus (z. B. S. 38, vom 18. Februar 1751). Aus Voltaires letztem Brief, vom 27. September 1758, der Wilhelmine wahrscheinlich nicht mehr lebend erreichte und in dem er sie bittet, seinen Genfer Freund und Arzt Théodore Tronchin zu konsultierten, verschwindet der spielerisch-ironische Tonfall, an seine Stelle tritt ernsthafte Besorgnis und tiefer Respekt.

Viel mehr sei aus dieser lesefreundlichen, genau im richtigen Umfang mit den nötigen Erläuterungen und Kommentaren versehenen Ausgabe nicht verraten. Sie ermöglicht einen unkomplizierten Einstieg in die intellektuelle Kultur des 18. Jahrhunderts und stellt mit Wilhelmine von Bayreuth eine Voltaire an Esprit durchaus gewachsene Korrespondentin vor.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Sven Externbrink, Rezension von/compte rendu de: Günter Berger (Hg.), Apostel des Friedens. Die Korrespondenz zwischen Wilhelmine von Bayreuth und Voltaire, Berlin (Duncker & Humblot) 2023, 104 S., ISBN 978-3-428-18703-4, EUR 24,90., in: Francia-Recensio 2024/1, Frühe Neuzeit – Revolution – Empire (1500–1815), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2024.1.103652