Im Lauf der Frühen Neuzeit und besonders im 18. Jahrhundert entwickelte sich das Deutsche sukzessive zur Gelehrtensprache. An den Hochschulen setzte »ein langsamer Vormarsch« der Muttersprache (S. 345) ein. Die in vielen Städten entstehenden Deutschen Gesellschaften unterstützten und forcierten diesen Wandel. Die ab 1724 maßgeblich unter dem Einfluss Johann Christoph Gottscheds neukonzipierte Leipziger Deutsche Gesellschaft ist in die Literaturgeschichte als Prototyp dieser Sozietätsform eingegangen. Sie hat das Thema lange Zeit so nachhaltig bestimmt, dass ältere Forschungen allein von Gottscheds Reformvorhaben in Leipzig zu berichten wussten, ohne die zahlreichen anderen Gesellschaften im deutschsprachigen Raum und ihre Mitglieder auch nur zu erwähnen, die sich in der Folge in einer Art »Gründungswelle«, von einem »Schneeballeffekt« angetrieben, v. a. in deutschen evangelischen Universitätsstädten zusammenschlossen (S. 95) und sich der Pflege der deutschen Sprache, Poesie und Beredsamkeit verschrieben hatten: von der Schweiz und Frankreich durch das Reich bis nach Polen. Als Region mit der höchsten Dichte hat der mitteldeutsche Raum zu gelten. Wichtige Orte der deutschen Frühaufklärung waren »die frühesten Zentren dieser Sozietätsbewegung«, das protestantische Gelehrtenwesen diente als »Hauptverbreitungsweg« (S. 92). Später folgten (in Residenzstädten) auch katholische Initiativen.

Andreas Erbs Hallenser Habilitationsschrift von 2020 stützt sich maßgeblich auf die Forschungen Holger Zaunstöcks zu den mitteldeutschen aufgeklärten Sozietäten und will zunächst einmal Grundlagenarbeit leisten, denn so elementare Informationen wie Angaben zu Mitgliederzahlen, zur inneren Verfassung der Deutschen Gesellschaften sowie dem Umfang und der Ausrichtung ihrer Textproduktion fehlten bislang vollständig oder waren lückenhaft. Freilich ist die disparate Überlieferungslage miteinzubeziehen, doch erhebt die Studie den »Anspruch, als eine erste Gesamtdarstellung dieser Sozietätsbewegung wesentliche Aspekte ebenso zusammenhängend wie differenziert zur Sprache zu bringen« (S. 9). Zudem versucht sie zu ergründen, ob das Auslaufen dieser Sozietätsform am Ende des 18. Jahrhunderts Zeichen ihres Scheiterns oder des Erfolges war.

Erb tut dies durch »methodische Pluralität« (S. 13): Er rekonstruiert die Ereignisse, gliedert seine Beobachtungen nicht chronologisch, sondern systematisch, ordnet sie nach verschiedenen Handlungsfeldern und stellt die Lektüre und Interpretation der Texte der Deutschen Gesellschaften (ihre Zahl geht in die Tausende) als Methode in den Mittelpunkt. Er geht dabei vor allem quantifizierend vor, um den über 30 Gesellschaften mit mehreren rund 2800 namentlich bekannten Mitgliedern dreier Konfessionen in ihrer geografischen Breite Herr zu werden, zielt dabei auf Gruppen, Durchschnittswerte, Strukturen, nicht auf einzelne (prominente) Personen ab. Die Studie greift auf eine breite gedruckte und ungedruckte Quellenbasis aus zeitgenössischen wissenschaftlichen Arbeiten, Statuten, Mitgliederlisten, Protokollen, Umläufen, Briefen und Memoiren zurück. Die »Translokalität der gelehrten Welten« (S. 18) begünstigte die Schriftlichkeit der Deutschen Gesellschaften, zwischen denen Erb, vor allem anhand ihrer Statuten, konkrete »Filiationsverhältnisse« nachvollzieht.

Die in den Gesellschaften angestrebte und betriebene Hinwendung zur Muttersprachlichkeit war Teil einer umfassenden Habitusänderung. Der erneuerte Gelehrte mit höflich-höfischen Manieren, der Tugend und Gelehrsamkeit verband und im Sinne der correctio fraterna konstruktiv stritt (S. 128), war – im Gegensatz zum akademischen Pedanten und den sittenlosen, trinkfreudigen Duellanten, die den Ruf der Studenten- und Gelehrtenwelt bisher geprägt hatten – das ideale Mitglied. Die »Einübung in eine zivilisierte Diskussionskultur« (S. 133) stand an oberster Stelle. Was später zu einem typisch »bürgerlichen« Wertekanon gezählt werden sollte, stellt sich somit »weniger als Gegenentwurf zu adeliger Lebensweise dar«, so Erb, »sondern eher als deren in den Gelehrtenstand übernommene Fortsetzung« (S. 124). Auf diese Weise erworbenes Kapital (Bourdieu) zirkulierte in den Gesellschaften in ökonomischer (Eintrittsgelder), kultureller (Bibliothekszugang, angehäuftes Wissen) und sozialer Form. Nicht zuletzt dienten die oft aufwändig gestalteten Mitgliedsurkunden als »Surrogat schwer zu erlangender Abschlussdiplome«, die in den Deutschen Gesellschaften für gewöhnlich auf deren Kosten publizierten Schriften als »Kompensat fehlender Dissertationen und Disputationen« (S. 175).

Leibniz’ »Unvorgreiffliche Gedanken« (1717) sowie die Vorarbeiten von Christian Thomasius und Christian Wolff bereiteten der Idee von der gelehrten Pflege der deutschen Sprache den Weg. »Die Etablierung der deutschen Sprache als eine Unterrichts- und Publikationssprache an Universitäten« wurde durch sie zum »Teil eines Konzepts, in dem sprachliche, patriotische, pädagogische und ständische Zielsetzungen zusammenfanden« (S. 42). Die Sprach- und Literaturpflege war also, wie schon in der Fruchtbringenden Gesellschaft des 17. Jahrhunderts, nie nur »wertneutrale Fachaufgabe [...], sondern war mit ethischen und patriotischen Zielsetzungen seit jeher hochgradig aufgeladen« (S. 136). Attraktiv war die Mitgliedschaft in einer Deutschen Gesellschaft in erster Linie für angehende Juristen und Theologen. Sie eröffnete »eine von den Universitätsbibliotheken kaum angebotene Möglichkeit der Literaturversorgung« (S. 314). Die Gesellschaften dienten so der Berufsvorbereitung, indem man sich dort im öffentlichen Reden und Schreiben sprachlich und rhetorisch schulte, wozu die Sozietäten ein »geeignetes Übungsfeld« (S. 169) abgaben, was eine der Hauptthesen der Studie darstellt: Es habe sich bei den Deutschen Gesellschaften nicht um elitäre Vereine bereits »fertiger« Gelehrter gehandelt. Vielmehr verstanden sie sich als »Übungsgesellschaften« (S. 242, 352), in denen, wiederum auf den gelehrten Habitus abzielend, praktische Kenntnisse und Fähigkeiten – der Sprache und des Umgangs – vermittelt und im geschützten Raum eingeübt wurden. Zu einem großen Teil setzten sie sich aus Studenten und Schülern zusammen. Erb sieht in den Gesellschaften »Experimentierräume, in denen man eine neue Gesellschaftsordnung gleichsam unter Laborbedingungen erprobte« (S. 119), allerdings nur im gesellschaftlichen Binnenraum. »›Offen für alle‹ waren die Deutschen Gesellschaften nie« (S. 249). Es ging ihnen um die Bildung der Eliten, nicht der breiten Bevölkerung: »Eine Demokratisierung von Bildungsinhalten war ihre Sache nicht« (S. 249). Die in den Sozietäten gepflegte neue Form der Geselligkeit war also nicht als radikaler Bruch mit der ständischen Ordnung zu verstehen, vielmehr verstärkte sie bestehende Ungleichheiten.

Die renommierten Patrone, die man sich zu Präsidenten und Obervorstehern wählte, vor allem arrivierte Professoren, wirkten als be- (und gesellschaftlich aner-)kanntes Aushängeschild und versprachen daneben Kontinuität in einem ansonsten von Fluktuation geprägtem schulisch-universitären Umfeld. Die Gesellschaften können daher »keinesfalls als das Werk eines Einzelnen bezeichnet werden«, sondern entstanden vielmehr aus dem »Zusammenwirken von Schülern und Lehrern« (S. 77). In mehreren Fällen weist Erb nach, dass sie ihre Keimzelle in universitären Tischgesellschaften hatten.

Die Studie bleibt nicht bei den theoretischen, in Statuten fixierten Grundlagen der Deutschen Gesellschaften stehen, sondern widmet sich auch deren praktischer Um- und Durchsetzung und den diesbezüglich angewandten Methoden: Wiederholte Bekanntmachung (auch im Druck), Neuauflagen und Überarbeitungen der Statuten, Protokollierung der Zusammenkünfte mittels Sitzungsjournalen sowie verschiedene disziplinarische Formen der Sanktion von Geld- über Ehrstrafen bis zum Ausschluss sollten dem Ehren- und Verhaltenskodex zur Geltung verhelfen. Statt durch schlechte Presse sollten die Mitglieder durch Publikationen in und von wissenschaftlichen Zeitschriften und Sammelbänden von sich reden machen. Diese Strategie zählte zu einem »umfangreichen und nach Adressaten und Zielen abgestuften Katalog von Maßnahmen« (S. 438), um die gesellschaftlichen Eliten von sich zu überzeugen bzw. für sich zu gewinnen. Widmungen von Publikationen, das Stellen von Preisfragen, das Prägen von Münzen sowie Ehrenmitgliedschaften und -titel, die »wechselseitige Ehrung« (S. 463) verhießen, zählten ebenso dazu wie die oft aufwändige und öffentlichkeitswirksame Inszenierung besonderer Anlässe.

Eine wesentliche Frage Erbs ist die nach dem Niedergang der Deutschen Gesellschaften. Der »jähe Absturz« der Leipziger Sozietät nach Senior Gottscheds Austritt 1738 deutete bereits in diese Richtung, die meisten Gründungen erfolgten aber erst danach. Die Studie diskutiert die Einflussmöglichkeiten Gottscheds als spiritus rector auf die übrigen, nur lose und informell miteinander verbundenen Sozietäten und kommt zu dem Ergebnis, dass Leipzig zwar ein wichtiger und unbestrittener Referenzpunkt war, die Deutschen Gesellschaften aber keinesfalls »ein Uhrwerk« gewesen seien, »das von Gottsched aufgezogen wurde und das dann herunterschnurrte« (S. 413). In Göttingen und andernorts sei man selbständig, aber auch gezwungen gewesen, »kleinere Brötchen zu backen, wenn auch nach Leipziger Rezeptur« (S. 416).

Letztlich war es aber, so Erb, eine andere Entwicklung, die das Ende der Gesellschaften heraufbeschwor, die wiederum mit den Sozietäten als Übungsgesellschaften zusammenhing: Ab der Mitte des 18. Jahrhunderts gewann der vordringende Geniegedanke an Bedeutung, der Typus des freischaffenden Schriftstellers etablierte sich, und die Konkurrenz einer inzwischen existenten und ausdifferenzierten Vielzahl von Soziabilitätsformen, unter denen man wählen konnte, drohte die Deutschen Gesellschaften in den Schatten zu stellen.

Die in Übungsgesellschaften erlernte und trainierte Kompetenz, regelkonforme Reden und Gedichte zu produzieren, geriet zunehmend in die Kritik. »Natürliche Begabung und Originalität schätzte man [...] höher als die erfolgreiche Erlernung und Einübung bestehender Regeln« (S. 519). Mitgliederschwund und Gesellschaftsauflösungen waren die Folge und läuteten einen »sich über mehrere Jahrzehnte hinziehenden Prozess« ein, der aber regional stark unterschiedlich verlief (S. 514) und häufig an einzelnen Personen bzw. deren Austritt, Tod oder Weggang hing.

An den Haupttext der Studie schließt sich als Anhang ein ausführlicher Katalog an (S. 541–604), in dem die behandelten Sozietäten alphabetisch geordnet in Einzelartikeln vorgestellt werden. Darin sind alle Deutschen Gesellschaften mit einem Abriss ihrer Geschichte, ihren Statuten, Siegelabbildungen, Werken und Mitgliederzahlen enthalten. Eine namentliche Nennung bzw. Auflistung der Mitglieder erfolgt nicht. Was diese angeht, würde übrigens ein stärkerer Abgleich mit anderen einschlägigen Quellengattungen wie den alba amicorum (siehe die Online-Datenbank RAA) lohnen. »Vorbild und Provokation waren Frankreich und seine Akademie« (S. 331). Über sie würde man daher gerne etwas mehr erfahren, als die sporadischen Nennungen im Buch hergeben, ebenso über die »lange Tradition«, in der die Deutschen Gesellschaften mit der ihnen eigenen »Dualität von Sprachpflege und Tugendpropagierung« (S. 136) in der Nachfolge etwa der Fruchtbringenden Gesellschaft standen (zwei Nennungen, S. 82, 136). Freilich stellen diese wegweisenden Institutionen eigene Forschungsgegenstände dar; sie hätten gerade angesichts ihrer Vorbildfunktion aber auch hier etwas mehr Raum verdient.

Die Studie ist in ihrer Breite anschlussfähig an zentrale Forschungskonzepte der Frühen Neuzeit und revidiert bzw. modifiziert tiefsitzende Behauptungen der bisherigen Forschung zum Thema. Was die Analysemöglichkeiten seines Materials angeht, lässt Erb kaum Wünsche offen und behandelt stattdessen alle denkbaren Aspekte, darunter die konfessionelle Zusammensetzung der Mitglieder, wo er »erheblichen Differenzierungsbedarf« (S. 267) konstatiert, Frauen in den Sozietäten sowie Fragen der Finanzierung und des Publikationswesens der Gesellschaften. Die Studie formuliert Desiderate für künftige Forschungen, etwa die Auswertung der gedruckten und handschriftlichen Ausarbeitungen der Gesellschaftsmitglieder in sprachwissenschaftlicher Hinsicht (S. 346); Erb hat 4753 Titel in einer Datenbank ermittelt (S. 354) und mit seiner gewichtigen Studie zukünftigen Forschungen zu den Deutschen Gesellschaften sowie zu ihren Vorgängern und Nachfolgern Tür und Tor geöffnet.

FUSSNOTEN

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Andreas Flurschütz da Cruz, Rezension von/compte rendu de: Andreas Erb, Die Deutschen Gesellschaften des 18. Jahrhunderts. Ein Gruppenbild, Berlin, Boston (De Gruyter Oldenbourg) 2023, 687 S., 11 farb., 62 s/w Abb., 5 Karten, 10 Tab. (Hallesche Beiträge zur Europäischen Aufklärung, 69), ISBN 978-3-11-077613-3, DOI 10.1515/9783110776218, EUR 129,95., in: Francia-Recensio 2024/1, Frühe Neuzeit – Revolution – Empire (1500–1815), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2024.1.103662