Der Sammelband, der 240 Seiten umfasst, ist Ergebnis des Workshops »Welfenbildnisse & Bildnisse der Welfen«, der aus dem von 2019 bis 2022 vom Niedersächsischen Ministerium für Wissenschaft und Kultur geförderten Projekt »Welfenbildnisse – Bildnisse der Welfen. Genealogische Repräsentation, Herrschaft und Erziehung, 1648–1789« in Kooperation mit der Herzog-August-Bibliothek Wolfenbüttel hervorgegangen ist. Untersuchungsgegenstand ist eine Bildgattung, die einerseits die Bedeutung »von dynastischer Herrschaft und damit von personalen und familialen Strukturen«1 für die frühneuzeitliche politische Praxis und Repräsentation wie kein anderes Medium hervorhebt: das Porträt. Andererseits, wie Michael Wenzel im letzten Beitrag des Sammelbandes betont, gibt es, im Gegensatz zu Historienbildern, deren zum Teil komplexen allegorisch-emblematischen Komposition der heutigen Betrachter meist befremdend gegenübersteht, eine »voraussetzungslose Zugänglichkeit« (S. 219) vor, da es an allgegenwärtige Medienformen wie das Passfoto oder das Profilbild erinnert. Konkret geht es um großformatige auf Leinwand oder Holz gemalte Einzel- oder Gruppenporträts sowohl von Mitgliedern der Welfenfamilie als auch um Bildnisse der Familie nahestehenden bzw. für diese tätige Personen, »welche [zahlreich] in Residenzen und Schlössern geschaffen, gesammelt und gezeigt wurden« (S. 9). Ziel des Sammelbandes ist, so Klaus Niehr und Silvia Schmitt-Maaß in ihrer Einleitung (S. 9–21), die unterschiedlichen Erscheinungsformen und Zusammenhänge wie auch Aufgaben des Porträts exemplarisch zu beleuchten. Hierbei stellten sich den Beitragenden eine Reihe grundlegender Probleme in der quantitativen und qualitativen Erforschung dieser Quellengattung. Erstens sind die Gemälde heute zumeist ihrem ursprünglichen Rezeptionsrahmen entrissen, da sie »aus unterschiedlichen Gründen entfernt, verkauft oder versteckt […] oder sogar zerstört« (S. 9) wurden. Zweitens waren »Aufbewahrung, Hängung und Präsentation der Bilder dynamisch« (S. 12) und Bestandserfassung und Katalogisierung erfolgten traditionell nach Meistern und Epochen, die wenig Aufschluss über die Gattung erlauben. Drittens fiel die Durchführung des Projektes in die Zeit der COVID-19-Pandemie, die damit einhergehenden Forschungsbeschränkungen führten dazu, dass der vorliegende Sammelband bislang »nur« erste stichprobenartige Ergebnisse in elf Beiträgen von neun Autorinnen und Autoren vorlegt. Klaus Niehr fokussiert in seinem Beitrag »Helden auf Papier. Bildnisse der Welfen in Zeichnungen des 16. bis 18. Jahrhunderts« (S. 23–43) auf zwei genealogische kleinformatige Serien von Welfenportraits aus Braunschweig und Wolfenbüttel, die von der Familie in Auftrag gegeben wurden. Zwar gehen sie auf ältere Vorlagen zurück, aber durch deren gleichzeitige Aktualisierung erhöht die Neukonzeption »den Anspruch auf Authentizität und Nähe zur Vergangenheit« (S. 31). Der dynastische Identifikationsmoment ist hierbei zentral und findet Erhöhung durch die Fokussierung der Ahnengalerie auf bedeutsame »Helden« der eigenen Dynastie.

Hieran anschließend macht Heiko Laß in seinem Beitrag den Schritt vom kleinformatigen zum großformatigen Wand- und Deckengemälde, indem er erste vorläufige Erkenntnisse zu den »Herrscherbildnissen und Porträtserien der Welfen in öffentlichen Sälen um 1700 auf dem Gebiet des heutigen Niedersachsen« (S. 45–63) liefert. Konkret geht es um die Hauptsäle in Residenz-, Lust- und Jagschlössern in Hannover (Leineschloss), Iburg, Herrenhausen und in der Göhrde (beide zerstört) sowie abschließend in landesherrlichen Bauten wie dem Oberappellationsgericht Celle und deren Aufgabe. Die Ausstattungen dienten der Zelebrierung der Standeserhöhung in den Kurfürstenstand, der Geltendmachung von Erbansprüchen (wie die auf den englischen Thron) oder der Legitimierung von Herrschaft oder Amtshandlungen durch die visuelle Aufzählung vorausgegangener Amtsträger aus der Familie. Letztlich betont der Verfasser, dass »erst der Kontext […] ihre Bestimmung ermöglicht, die nicht dem einzelnen Gemälde und auch nicht zwingend der Serie inhärent war« (S. 61).

Weitere Kontexte familiärer Repräsentation innerhalb von Schlössern liefern die vier Beiträge von Silke Gatenbröcker (S. 125‑149), Sebastian Mönnich (S. 151–166), Joanna Marschner (S. 199–218) und Ralf Bormann (S. 167–180). Gatenbröcker und Bormann zeigen die Sammlungspolitik wie auch Motivation bzw. Ambition eines Sammlers auf. Während der kunstliebende Herzog Anton Ulrich von Braunschweig-Wolfenbüttel in Schloss Salzdahlum aus dem Moment der Stärke heraus sammelt, zeugt die Sammlung des Grafen Johann Ludwig von Wallmoden, einem natürlichen Sohn des hannoverschen Kurfürsten und englischen Königs Georg II., von dessen Bestreben, seiner genealogisch codierten Unsichtbarkeit mittels Anlegen einer außergewöhnlichen Sammlung von Kunstwerken zu entkommen. Wie der einzige englischsprachige Beitrag von Joanna Marschner (S. 199–218) aufzeigt, war die Ehefrau Georgs II. Caroline von Brandenburg-Ansbach mit einer Unsichtbarkeit anderer Art konfrontiert. Nach der Exekution Charles I. ging der größte Teil der königlichen Schätze inklusive zahlreicher Familienportraits verloren. Caroline von Brandenburg-Ansbach wiederbelebte durch die Wiederentdeckung abgehangener Minitaturporträts und die Akquise von Porträtserien erfolgreich die Zelebrierung » [of] the history and distinction of the royal pedigree« (S. 206) unter besonderer Betonung seiner hannoverschen dynastischen Wurzeln im Kensington Palace. Dagegen missglückte ihr Bestreben, den gemeinsamen mittelalterlichen dynastischen Ursprung in der mythologischen Figur Merlins durch die Beauftragung von sechs lebensgroßen Wachsfiguren für die sog. »Merlin’s Cave« auf dem Gelände von Richmond Lodge darzustellen.

Von einem ebenfalls missglückten Versuch, gottgegebene Herrschaftsansprüche darzustellen, erzählt der Beitrag von Sebastian Mönnich. Das monumentale Familienportrait auf der Altartafel »Golgatha und der Hofstaat von Wolfenbüttel« (gemalt von Tobias Querfurt d. Ä. um 1695/96 für die Wolfenbütteler Schlosskapelle) lenkt unseren Blick auf eine weitere zentrale Säule frühneuzeitlicher Herrscherrepräsentation: der Teilhabe am Heilsgeschehen. Auftraggeber war der bereits genannte Herzog Anton Ulrich, der 1710 zum Katholizismus konvertierte. Nach dem Herrscherwechsel von 1714 fiel das Gemälde dem nun vorherrschenden »lutherisch-orthodoxen Klima« (S. 164) zum Opfer und verschwand im »Familiendepot«.

Die auf dem Altargemälde abgebildeten Familienmitglieder ordnen sich in einer Reihe von Kinder- und Familienbildnissen ein, wie sie Gegenstand der beiden Beiträge von Silvia Schmitt-Maaß sind. Die Verfasserin stellt die Sammlungen in Wolfenbüttel, Bevern und Braunschweig (S. 65–85) und in Hannover und Herrenhausen (S. 87‑124) vor. Unter anderem hierauf basierend untersucht Karin Schrader »Weibliche Rollenbilder in Welfenbildnissen« (S. 181‑198). Der Beitrag befasst sich in vielfältiger Weise mit der »Dichotomie von typisierender, standeskonformer, bildlicher Inszenierung […] und einer individuell dynastisch geprägten bzw. situationsbezogenen Repräsentation« (S. 183) in den unterschiedlichen Lebensphasen einer Fürstin von Braut über Mutter und Regentin bis hin zum Witwenstand. Das Problem der kulturellen Überformung greift auch Michael Wenzel im abschließenden Beitrag des Bandes »Alles Welfen? Bildnisse zwischen wissenschaftlicher Erforschung und öffentlicher Wahrnehmung« (S. 219–236) auf. In diesem untersucht er anhand von zwei Gemälden, wie kulturell normierte Selbstdarstellungen von Fürsten bzw. Fürstinnen mit der eindeutigen Identifizierung des Porträtierten bzw. der Porträtierten in Konflikt geraten, bekannte Porträts zu vermeintlich unbekannten machen und hierdurch »museale Narrative« in Frage gestellt werden.

Insgesamt liegt hier ein sehr informativer Band zur Gattung des Porträts in seiner vielfältigen Form vor. Die Beiträge sind einzeln wie auch in Abfolge sehr gut lesbar und geben wichtige Einblicke in ein reichhaltiges Forschungsgebiet.

1 Katrin Keller, Die Kaiserin. Reich, Ritual und Dynastie, Wien 2021, S. 13.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Marion Romberg, Rezension von/compte rendu de: Klaus Niehr, Silvia Schmitt-Maaß (Hg.), Welfen und Porträt. Visuelle Strategien höfischer Repräsentation vom 16. bis 18. Jahrhundert, Köln, Weimar, Wien (Böhlau) 2023, 242 S., 108 Abb., ISBN 978-3-412-52688-7, EUR 59,00., in: Francia-Recensio 2024/1, Frühe Neuzeit – Revolution – Empire (1500–1815), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2024.1.103672