In der Serie »Bibliothèque des illustres« erscheinen handliche Biografien historischer Figuren Frankreichs in aufwändiger farbiger Ausstattung zu einem sehr günstigen Preis. Die Verfasser sind hochqualifizierte jüngere Historiker, die aber nicht zu den maßgebenden Figuren des Fachs zählen. Thierry Sarmant hat sich als Archivar und Leiter von Museen für Münzen, Medaillen und Möbel bewährt und zahlreiche Bücher besonders über Ludwig XIV. und sein Umfeld vorgelegt. Das neue Buch über »den« Regenten Herzog Philipp von Orléans (1674–1723), der 1715–1723 Frankreich für den minderjährigen Ludwig XV. (1710–1774) regierte, schließt daran an. Den wenigen Jahren der Régence wurde nämlich ein besonderes historisches Profil zugeschrieben. Das hängt mit zwei wichtigen Quellencorpora zusammen, einerseits mit den umfangreichen Memoiren des Herzogs von Saint-Simon (1675–1755), eines durchaus kritischen Jugendfreundes des Regenten, anderseits mit dem bissigen Briefwechsel der Liselotte von der Pfalz (1652–1722), die dessen Mutter war. Sie war seit 1670 mit dem älteren Philipp von Orléans (1640–1701), dem nur zwei Jahre jüngeren Bruder Ludwigs XIV. verheiratet. Ludwig liebte zwar den Bruder und den Neffen, überließ ihnen aber bewusst nur höfische, hingegen kaum politische Rollen, abgesehen von vorübergehenden militärischen Kommandos. Nichtsdestoweniger begann damit die Rivalität der Dynastie Orléans mit der königlichen Linie der Bourbonen. Der ältere Philipp hatte von zwei Ehefrauen acht Kinder. Das hinderte ihn aber nicht daran, sich offen als Homosexueller zu profilieren. Nach ersten Konflikten akzeptierte der König diesen Sachverhalt und beteiligte sich sogar an der Ausstattung von Philipps Liebhaber. Analog zur anerkannten maîtresse en titre spielte letzterer sogar die offiziöse Rolle eines favori en titre (S. 29). Bei Normalsterblichen konnte Homosexualität freilich mit dem Tode bestraft werden. Der spätere Regent hingegen wurde durch seinen heterosexuellen »liederlichen« Lebenswandel berühmt und zwar keineswegs nur infolge einer unglücklichen politischen Heirat. Sogar Inzest mit seiner Tochter wurde ihm nachgesagt. Da dem Regenten außerdem nachgesagt wurde, der einzige ungläubige Herrscher in der Geschichte Frankreichs zu sein, war seinem schlechten Ruf auch durch vielseitige Bildung und Mäzenatentum nicht abzuhelfen. Eine politische Rolle war für ihn ohnehin nicht vorgesehen. Doch 1711 starben Ludwigs Sohn und erster Enkel, 1714 verunglückte der dritte und letzte Enkel. Der zweite hatte als König Philipp V. von Spanien auf den französischen Thron verzichten müssen, wurde allerdings bis 1720 dennoch als französische Alternative zum Regenten gehandelt. Ludwigs Testament musste nach dieser dynastischen Katastrophe seinen Neffen zum Regenten für den vierjährigen Urenkel machen, allerdings mit einem einschlägig besetzten Regentschaftsrat nur nominell. Überraschenderweise verstand es der Regent aber, behutsam und erfolgreich die Macht zu übernehmen. Den Orgien seines Nachtlebens stand hinfort ein fleißiges und erfolgreiches Regieren bei Tag gegenüber. Unter seinen Vertrauensleuten spielte sein ehemaliger Lehrer Abbé Guillaume Dubois (1656‑1723) die wichtigste Rolle. Er sollte es bis zum Kardinal und ersten Minister bringen. Auch das Projekt des verstorbenen Dauphins, die Regierung der verschiedenen Minister durch spezialisierte Ratskollegien zu ersetzen, laut dem Abbé de Saint-Pierre eine »Polysynodie«, wurde zugunsten des alten Systems wieder aufgegeben. Ludwig hatte für seine wohletablierten Bastarde 1694 eine Sonderrolle unterhalb seiner ehelichen Nachkommen, aber oberhalb der ducs et pairs de France geschaffen. Sie wurde ihnen jetzt entzogen, eine Verschwörung niedergeschlagen, ebenso wie eine ständische Rebellion in der Bretagne. Von einem kurzen Krieg mit dem Spanien Alberonis abgesehen, bemühte sich der Regent außen- wie kirchenpolitisch um pragmatischen Ausgleich. Er wurde zum Architekten der Tripelallianz mit England und den Niederlanden, mit Beitritt des Kaisers eine Quadrupelallianz. Auch der Besuch Peters des Großen konnte Philipp nicht zu einem Kurswechsel bewegen. Friedlichkeit ergab sich nicht nur aus der schlechten Lage der Staatsfinanzen, sondern auch aus dem vorläufigen Charakter der Regentschaft. Philipp ließ sich allerdings 1716–1720 von den staatswirtschaftlichen Projekten des John Law begeistern, die, so meint der Autor, hundert oder mehr Jahre politische Ökonomie vorweggenommen hätten. Laut Sarmant sind sie weniger an kolonialpolitischen Fehleinschätzungen gescheitert als an der gezielten Umwandlung der Kredittitel in Grundbesitz und Edelmetall durch Finanz und Hochadel. Philipp behielt aber im Gegensatz zu früheren Regentschaften stets die Kontrolle über das Land. Das gelang nicht nur durch ein strenges Polizeiregiment, sondern auch bei der halbwegs erfolgreichen Bewältigung der letzten europäischen Pest in Marseille 1720‑1723. Dabei war der Regent ein liebenswürdiger und zugewandter Nachkomme Heinrichs IV., der das Glück des Landes und seiner Menschen ausdrücklich höher einschätzte als den Ruhm im Stil seines Onkels. Vermutlich hätte er auch unter Ludwig XV. zunächst eine führende Rolle in diesem Sinne gespielt. Nach seinem und Dubois Tod 1723 sollte aber der ehemalige Erzieher des neuen Königs André-Hercule de Fleury (1653–1743) als Minister und Kardinal Frankreich bis zur Jahrhundertwende noch weiter Frieden bescheren. Aufklärer haben die Régence zwar aufwerten wollen, aber Philipps Anti-Mythos wurde erst von der jüngeren Forschung gründlich korrigiert. Sie wird von Sarmant in seiner gründlichen Bibliografie verarbeitet, aber nicht zitiert. Die knappen Endnoten des Buches beziehen sich ausschließlich auf die reichlich herangezogenen Äußerungen der Zeitgenossen, hingegen nicht auf die Akten. Eine Chronologie, drei Genealogien und vor allem ein genaues Personenregister sind überaus hilfreich. Bereits das Druckbild ist sehr elegant, aber das Buch lebt vor allem von seinen üppigen, vor allem den farbigen Abbildungen. Dazu kommen Abbildungen von Medaillen und vielerlei grafisches Material aus der Bibliothèque nationale, zum Beispiel Pläne einschlägiger Gebäude. Wo der Zusammenhang mit dem Text nicht klar ist, wird den Lesern und Leserinnen mit erklärenden Legenden weitergeholfen. Der knappe und gut organisierte Text ist freilich keine bloße Ergänzung zu einem Bilderbuch.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Wolfgang Reinhard, Rezension von/compte rendu de: Thierry Sarmant, Le régent. Un prince pour les Lumières, Paris (Perrin) 2023, 256 p. (Bibliothèque des illustres), ISBN 978-2-262-09609-0, EUR 25,00., in: Francia-Recensio 2024/1, Frühe Neuzeit – Revolution – Empire (1500–1815), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2024.1.103673