Ab 1618 standen die Mitglieder des Alten Reiches vor der Entscheidung, ob sie sich in den zum Krieg verdichtenden böhmischen Konflikt involvieren und welche Seite sie wählen sollten. In seiner 2023 im Aschendorff Verlag erschienenen Dissertation untersucht Marcus Stiebing diesen Entscheidungsfindungsprozess am Beispiel Herzog Johann Ernsts d. J. von Sachsen-Weimar ausgehend von der Leitthese, »dass die Regierenden politische Entscheidungen zur Aufrechterhaltung des Friedens beziehungsweise zum Krieg in regional-dynastischen Kräftefeldern formulierten« (S. 5). Dies erscheint vor dem Hintergrund der Struktur des Alten Reiches und dem Wissen um frühneuzeitliche Herrschaft im Allgemeinen wie eine Selbstverständlichkeit.

Stiebings Arbeit gliedert sich in neun Großkapitel und ein abschließendes Fazit. Einleitend erläutert der Autor zunächst Fragestellung, Methode und Struktur seiner Arbeit sowie die für seine Untersuchung zentralen Begriffe des Politischen, des Beratens und dessen Ressourcen sowie der Interaktionsräume (Kapitel I–II). Dem schließt sich ein Kapitel (III) zum Verhältnis von Regierenden und ihren Beratern in der politischen Literatur um 1600 an. Anders als der Titel vermuten lässt, beschränkt sich dieses Kapitel auf die Jenaer Professoren Lipsius und Reusner. Zudem erläutert es die Eigenschaften, die Räte aufweisen sollten, ehe Stiebing in zwei Kapiteln (IV–V) zwei für das Entscheidungshandeln der Weimarer Herzöge zentrale Diskurse nachzeichnet: die Konfessionalisierung und den Kurverlust der Ernestiner im 16. Jahrhundert einerseits, sowie den dynastischen Verband, in dem sie agierten, andererseits. Deren praktische Wirkmächtigkeit illustriert der Autor am Beispiel des Regierungsantritts Herzog Johann Ernsts d. J. (Kapitel VI). Diese ersten vier Hauptkapitel bewegen sich im Feld der politischen Ideengeschichte. Sie zeugen von umfassender Kenntnis des Forschungsstandes und des politischen Diskurses von der Mitte des 16. Jahrhunderts bis zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges. Allerdings hätte den Ausführungen eine konzisere und stärker auf Leitfrage und Thema der Untersuchung ausgerichtete Darstellung gutgetan, denn so bleibt es häufig bei einer allgemeinen und wenig zielgerichteten Informationsgabe, die mitunter schwer zu kontextualisieren ist.

In drei weiteren Kapiteln untersucht der Verfasser die Entscheidungsfindung am Weimarer Hof zwischen 1619 und der Schlacht am Weißen Berg (Kapitel VII–IX). Dabei handelt es sich um zwei herzogliche Entscheidungen, die zum Kriegseintritt und die, im Krieg zu bleiben. Die causa bohemica bot Johann Ernst d. J. Gelegenheit, frühere innerdynastische Entscheidungen zu revidieren und sich als freier Reichsstand und Bewahrer der ständischen Libertät zu inszenieren, so Stiebing. Die Ratgeber waren sich uneinig, ob sich der Weimarer Herzog in die böhmische Frage involvieren sollte. Befürworter und Gegner argumentierten mit dem Reichsverfassungsrecht, wie der Autor darlegt. Allerdings hatte Herzog Johann Ernst d. J. seine Entscheidung zum Krieg im August 1619 bereits getroffen – wie und auf welcher Grundlage erläutert Stiebing jedoch nicht. Vor diesem Hintergrund verschob sich die Debatte in Weimar dahin, wie der konkrete Kriegseintritt aussehen konnte und auf wessen Seite er geschehen sollte. In diesem Kontext wurde auch hinterfragt, ob der böhmische Konflikt in die Zuständigkeit der evangelischen Union fiel, der Sachsen-Weimar nicht angehörte. Ließ Herzog Johann Ernst d. J. während seiner Teilnahme am Unionstag in Nürnberg im Winter 1619 noch Zurückhaltung walten, so zeigte sich seine Annäherung und Sympathie für Friedrich V. von Pfalz danach immer deutlicher – gegen die Empfehlung der Gelehrten und seiner Berater, die für Neutralität und Friedenswahrung plädierten. Im Ignorieren der Ratschläge der Gelehrten und Berater lag, so Stiebing, die eigentliche Entscheidung des Herzogs (S. 262). Diesen Beschluss ließ der Herzog auf dem Obersächsischen Kreistag im Februar 1620 gegenüber den Ständen des Obersächsischen Kreises sowie im Mai des Jahres auf einem Landtag erläutern. Diese Rechtfertigungen klassifiziert Stiebing als »letzte Phase der herzoglichen Entscheidungsfindung« (S. 272). Ihnen schloss sich die Rechtfertigung gegenüber Kaiser Ferdinand II. und Kurfürst Johann Georg I. von Sachsen an. Auch nach der Schlacht am Weißen Berg hielt Herzog Johann Ernst trotz drohender Acht an seiner Entscheidung zum Krieg fest; erneut gegen die Empfehlung der Gelehrten, Landstände und Berater. An diesem Entschluss hielt der Weimarer Herzog bis zu seinem Tod 1626 fest.

Es ist eine sehr ambitionierte Dissertation, die Marcus Stiebing vorlegt. Sie bewegt sich zwischen politischer Ideengeschichte und Reichsverfassungsgeschichte. Allerdings gelingt es ihrem Verfasser nur teilweise, die hohen Ambitionen zu verwirklichen. So besteht die (ohne Literaturverzeichnis und Register) 342 Seiten lange Arbeit doch zu weiten Strecken aus Referaten von bereits Bekanntem, bei denen häufig der Bezug zur leitenden Fragestellung nicht ersichtlich oder nur zu erahnen ist. Auch der Untersuchungszeitraum wird zu weit gefasst, da sich die Analyse, anders als der Titel es suggeriert, auf die Jahre 1619/1620 beschränkt. Zudem kann der Autor die eigentliche Entscheidungsfindung des Herzogs nicht offenlegen. Er kann jedoch in seiner empirisch reich gesättigten Untersuchung Diskussionen und Argumentationen, die diese beeinflusst haben (können) und zu denen sie sich verhalten musste, identifizieren. Dabei wären eine stärkere theoretische Abstraktion und Systematisierung der Ergebnisse, etwa in Hinblick auf die verschiedenen Phasen des Entscheidungsprozesses, wünschenswert gewesen.

Neben dieser inhaltlichen Kritik muss auch angemerkt werden, dass der große Umfang der Arbeit augenscheinlich dazu beigetragen hat, dass leider bei der Endredaktion sowohl im Haupttext als auch im ausladenden Anmerkungsapparat von 2121 Fußnoten sowohl syntaktische als auch andere Fehler übersehen wurden.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Dorothée Goetze, Rezension von/compte rendu de: Marcus Stiebing, Regionale Entscheidungsfindung zum Krieg. Die Weimarer Herzöge zwischen fürstlicher Beratung und gelehrtem Diskurs (1603–1623), Münster (Aschendorff) 2023, 418 S. (Schriftenreihe zur Neueren Geschichte – Neue Folge, 4), ISBN 978-3-402-14774-0, EUR 63,00., in: Francia-Recensio 2024/1, Frühe Neuzeit – Revolution – Empire (1500–1815), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2024.1.103676