Einige der Elemente dieses überaus spannenden Werkes erscheinen inzwischen fast so vertraut, dass leicht übersehen werden kann, wie innovativ sie sind: ein breit aufgestelltes Gremium von fünf Herausgeberinnen und Herausgebern, eine große Zahl von Autorinnen und Autoren (um genau zu sein: weiteren 67) sowie ein zeitlicher Horizont, der von der Vor- und Frühgeschichte in die unmittelbare Gegenwart reicht und der durch relativ kurze, gut lesbare Kapitel mit einem knappen wissenschaftlichen Apparat vermessen wird, wobei in diesem Band zahlreiche Artikel von mehreren Autorinnen und Autoren gemeinsam verfasst sind. Dazu kommt ein konsequent globaler Blick, der sich in diesem Buch auf die Geschichte eines Phänomens richtet: der Revolution.

Die rund 1000 Seiten sind in vier große Abschnitte unterteilt. Der erste (»Penser et dire les révolutions«) ist konzeptionellen Fragen gewidmet. Revolution wird in diesem Band verstanden als ein Volksaufstand, der die etablierte Ordnung umwälzt, allerdings nur, wenn dieser »aspirations émancipatrices« hat und den Werten von Demokratie, Gleichheit und Gerechtigkeit verpflichtet ist (S. 44). Anders als bei der älteren vergleichenden Revolutionsforschung geht es nicht um eine Systematisierung von Revolutionstypen oder eine Generalisierung bezüglich Ursachen und Folgen. Im Mittelpunkt steht – neben der produktiven Irritation durch den Fokus auf die globalen Voraussetzungen und Bezüge von Ereignissen, die vermeintlich vor allem im Rahmen eines politischen Systems zu erklären sind – die Absicht, ein Verständnis für die Prozessualität revolutionärer Vorgänge zu schaffen.

Der folgende Abschnitt zu »Revolutionen vor den Revolutionen« begründet, warum Revolutionen in der Perspektive des Bandes moderne Vorgänge sind, was angesichts der gewählten Definition plausibel ist. Mangels detaillierter Quellen zu politischen Systemen und ihren Umbrüchen hebt der Beitrag zur Vor- und Frühgeschichte vor allem auf Konjunkturen von (Un-)Gleichheit ab. Die Beiträge zum antiken Griechenland und Rom betonen Unterschiede zu modernen Revolutionen und kontrastieren diese Differenz (vor allem für Rom) mit den seit dem 19. Jahrhundert unternommenen Versuchen, antike Analogien zur Gegenwart zu finden. Ähnliches gilt für den Blick auf städtische Revolten des Mittelalters. Etwas überraschend überspringt der bis zu diesem Punkt auf den euromediterranen Raum zentrierte Band zunächst das revolutionäre Potential der Reformation.

Die Themen des zentralen empirischen Abschnitts zu konkreten Revolutionen (»constellations«) reichen von den atlantischen Revolutionen des ausgehenden 18. Jahrhunderts bis zu den »arabischen Frühlingen«. Die Kapitel stellen konzise das Geschehen dar, wobei einzelnen Personen, Episoden oder Ereignisfolgen zusätzlich kurze Vignetten gewidmet sein können – etwa der (Re‑)Konstruktion der afrikanischen Herkunft der Familie Toussaint Louvertures oder den Dynamiken der Gewalt in der Kulturrevolution. Sie rekonstruieren ferner die zeitgenössischen Semantiken der jeweiligen Revolution (die auf Chinesisch, Arabisch oder Japanisch konkret eher als Rebellion, zyklischer Regimewechsel, Aufstand usw. firmieren konnte und kann). Drittens verfolgen sie die Rolle(n) der untersuchten Revolutionen in der Historiografie. Dabei sind die Akzente naturgemäß unterschiedlich; für die chinesischen Revolutionen spielt die Frage der Semantik eine größere Rolle als für die atlantischen, für die griechische Revolution von 1821 steht die Historiografie stärker im Zentrum als für die jüngste Vergangenheit.

Drei Aspekte der globalen Perspektiven sind besonders hervorzuheben. Der erste sind Kontakte und Transfers, wobei der Band bekannte Exilorte (wie Paris und London) neben weniger bekannte (Mexico-Stadt und Tokyo) stellt. Der zweite sind bislang wenig beachtete Interaktionen. Ein Kapitel thematisiert etwa das Zusammentreffen der atlantischen Revolutionen mit einem westafrikanischen Jihad. Die Expansion muslimischer Herrschaft führte zwar nicht zu einem Ende der Sklaverei, aber zu einer signifikanten Einschränkung des Exports von Sklavinnen und Sklaven in christliche Länder, was wiederum die Umsetzung von Restriktionen des transatlantischen Sklavenhandels nach 1800 erleichterte. Der dritte ist die konsequente Parallelisierung des Blicks auf Europa, Nord- und Südamerika, Afrika und Asien.

Der letzte Abschnitt vor dem Schlusswort widmet sich »traversées«. Auch hier ist die Auswahl innovativ. Zwar sind manche Themen der älteren, immer wieder als Bezugs- wie Abgrenzungspunkt präsenten Revolutionsforschung der Generation Jacques Godechots noch präsent, etwa die Demografie. Viele fehlen dagegen, z. B. Klassenlagen (die in der Einleitung und in empirischen Studien ja auch bereits erfolgreich dekonstruiert wurden). Einige Themen werden pointiert: So konzentriert sich die Betrachtung wirtschaftlicher Faktoren auf Verstaatlichungen. Manche werden stärker als bislang üblich hervorgehoben, etwa die Rolle von Frauen und die Folgen von Revolutionen für Frauen, die doppelte imperiale Dimension vieler Revolutionen als Revolutionen in Imperien und Revolutionierung von Imperien, »race« als Gegenstand wie Konstruktion von Befreiungsbewegungen oder Emotionen und Zeiterfahrungen. Manche sind in dieser Emphase hochaktuell, etwa ökologische Ursachen von Revolutionen.

Dennoch wirkt dieser Abschnitt weniger geschlossen als die Angebote der ersten drei Teile. Das liegt vielleicht daran, dass die konzeptionelle Vorentscheidung droht, zur Verengung zu werden. Nicht, weil ein positives, teleologisches Bild von Revolutionen dominieren würde: Themen wie die Selbststilisierung des Beginns der NS-Diktatur als »legale Revolution« werden durchaus aufgegriffen. Es entsteht aber kein Ort für eine systematische Diskussion darüber, wie sich exkludierende Momente im Prozess von Revolutionen zur gewählten Definition verhalten. Der Abschnitt zur revolutionären Gewalt, der sich dafür anbieten könnte, konzentriert sich vor allem auf den »Terror« in der Französischen Revolution. Seine Frage, warum die Opfer innenpolitischer Gewalt historiografisch und politisch stärker thematisiert werden als die der außenpolitischen Konflikte Napoleons, ist sehr bedenkenswert, aber angesichts der differenzierten Analysen zur ganz unterschiedlichen Rolle von Gewalt in konkreten Revolutionen, die man bis dahin gelesen hat, scheint die Beziehung zwischen revolutionären Konstellationen und enthemmter, eingehegter oder vermiedener Gewalt so doch eher umschifft. Das ist auch deswegen bedauerlich, weil der Band mit der Frage, ob Revolutionen weniger gewaltsam werden (S. 1139), eine hochaktuelle Perspektive eröffnet. Ähnlich stellt sich für die Rolle von Frauen die Frage nach der Wechselwirkung zwischen dem emanzipatorischen und repressiven Charakter von Revolutionen, der etwa bei der iranischen Revolution besonders sichtbar hervortritt.

Gerade vor diesem Hintergrund ist die Beobachtung interessant, dass die Perspektive des Bandes zwar global ist, die Tätigkeitsorte der Autorinnen und Autoren aber fast ausschließlich in Frankreich, Großbritannien und den USA liegen, und die rezipierten Wissenschaftssprachen jenseits der Regionalartikel Französisch und Englisch zu sein scheinen. Ein nachvollziehbarer Grund dafür ist, dass es Grenzen der Komplexität eines solchen Projektes geben muss. Die Beobachtung wirft aber die Frage auf, ob das Thematisieren (oder das Beschweigen) von Revolution derzeit global sehr unterschiedlich stattfindet, was für die Frage nach aktuellen Mechanismen von Protest und Repression eine wichtige Einsicht wäre.

Daraus folgt, dass der abschließende Beitrag von Étienne Balibar über die Folgen von Revolutionen eine große Last zu tragen hat. Er bewältigt sie gut, indem er einen eher paradigmatischen als empirisch-historischen Zugang wählt. Letztlich erweckt der extrem anregende Band am Schluss vor allem einen Wunsch: Es möge eine ähnlich brillante Fortsetzung zu Reaktionen und Restaurationen geben.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Andreas Fahrmeir, Rezension von/compte rendu de: Ludivine Bantigny, Quentin Deluermoz, Boris Gobille, Laurent Jeanpierre, Eugénia Palieraki (dir.), Une histoire globale des révolutions, Paris (La Découverte) 2023, 1200 p. (Histoire-monde), ISBN 978-2-348-05934-6, EUR 36,90., in: Francia-Recensio 2024/1, 19.–21. Jahrhundert – Histoire contemporaine, DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2024.1.103858