Während anlässlich des Revolutionsjubiläums 1998 zahllose Publikationen erschienen, die vor allem innovativ die elementare Revolution mit ihren vielfältigen Protestformen und kulturellen Aspekten erforschten, beschränkt sich das Interesse 25 Jahre später hauptsächlich auf öffentliche Gedenkveranstaltungen. Dabei wird besonders auf das demokratische Erbe verwiesen, das es zu schützen gelte. Auf den ersten Blick scheint Engehausen, der im Jubiläumsjahr eine der wenigen substanziellen Studien zur 1848er‑Revolution vorgelegt hat, diesem Narrativ zu folgen, untersucht er doch die Frankfurter Nationalversammlung als Werkstatt der Demokratie. Das mag sie vielleicht gewesen sein, nur waren die Demokraten hier eben nicht die tonangebenden Akteure, sondern die Liberalen. Es ist nicht Engehausens Anliegen, eine Geschichte der Revolution zu schreiben. Er konzentriert sich ausschließlich auf die politische Kultur und die Debatten im Fünfzigerausschuss, im Vorparlament und in der Nationalversammlung und untersucht, wie sich die in den demokratischen Prozessen getroffenen Entscheidungen der Nationalversammlung auf die Durchsetzung demokratischer Prinzipien im weiteren Verlauf der deutschen Geschichte auswirkten (S. 15). Nicht beachtet werden Frauen, Arbeiter und Fürsten, was für die letzten beiden Gruppen nachvollziehbar ist, weniger für die Frauen. Sie waren durchaus ständig präsent in Frankfurt auf der eigens für sie eingerichteten Damengalerie und sie haben ihren politischen Ansichten in zahllosen Briefen und Memoiren Ausdruck verliehen.
Das Buch ist in zwei Kapitel unterteilt. Zunächst wird die Nationalversammlung als Ort demokratischer Praxis vorgestellt. Den Politikern gelang es vergleichsweise schnell, einen funktionierenden Parlamentsbetrieb zu etablieren. Sie bildeten Fraktionen, wobei das liberale Casino mit Abstand die stärkste war, Arbeitsausschüsse, Regeln für die Reden und Abstimmungen. Breiten Raum nimmt auch die Kommunikation mit der Öffentlichkeit ein. Stenografische Berichte der Debatten wurden spätestens zwei Tage später publiziert, das Parlament wurde von der neuen politischen Öffentlichkeit mit Petitionen geradezu überschüttet. Der Autor korrigiert abermals die Legende vom Professorenparlament: Den immerhin 50 Universitätsprofessoren stand eine Mehrheit von Juristen gegenüber, die Hälfte der Abgeordneten waren Staatsdiener und damit abhängig. Auch das Wirtschaftsbürgertum war mit weiteren 50 Personen eher schwach präsent bei insgesamt 809 Abgeordneten (mit Nachrückern).
Das zweite Kapitel ist den wesentlichen Inhalten der Debatten gewidmet: Freiheit, Gleichheit, Nationalstaat und Volkssouveränität. Diskutiert wurde natürlich über die Presse-, Versammlungs-, Vereins- und Religionsfreiheiten. Bemerkenswert ist der frühe Beschluss zur Abschaffung der Todesstrafe, die in Europa meist erst nach dem Zweiten Weltkrieg abgeschafft wurde. Im September stimmte die liberale Mehrheit für eine Verbotsoption von Versammlungen unter freiem Himmel. Es war eine Reaktion auf die schweren Tumulte mit 80 Toten, 160 Verwundeten und 600 Strafverfahren infolge der Massenproteste in Frankfurt, da die Nationalversammlung nach dem Krieg gegen Dänemark den von Preußen vereinbarten Waffenstillstand akzeptiert hatte. Zwei konservative Abgeordnete waren während des Aufstands ermordet worden. Für die Konservativen und die gemäßigten Liberalen bedeuteten diese Opfer ein Fanal. Die Linken sahen in dieser Abstimmung eine herbe Niederlage. Der Graben zwischen der demokratischen Minderheit und der liberalen Majorität, der seit den ersten Versammlungen bestanden hatte, vertiefte sich noch.
Bezüglich der Gleichheit setzten sich jedoch demokratische Ideen durch. Nach heftigen Debatten votierte die Mehrheit für das allgemeine Männerwahlrecht, das schon bei der Wahl der Nationalversammlung gegolten hatte, obwohl die Liberalen nicht müde wurden, es mit dem Despotismus der Massen gleichzusetzen. Mühsam und langwierig gestalteten sich die Diskussionen über die Gestalt des neuen Nationalstaats. Bezüglich der nationalen Minderheiten in den von Hohenzollern und Habsburgern regierten Staaten vergas man rasch alle vor der Revolution propagierten Prinzipien des Völkerfrühlings. Keinen Meter »vaterländischen« Bodens war man bereit abzugeben. Die Bitten etwa der italienischen Revolutionäre, ihre nationale Sache zu unterstützen, wurden schnöde abgewiesen.
Letztendlich scheiterte die Nationalversammlung mit ihren Verfassungs- und Nationalstaatsbestrebungen am Widerstand der regierenden Häuser, die sich im März 1848, erschrocken von der Wucht der elementaren Revolution, vorübergehend kompromissbereit gezeigt hatten. Doch die militärische Macht hatten sie nie abgegeben. Wien war nicht dazu bereit, sich an einer wie auch immer geregelten großdeutschen Lösung zu beteiligen. Das seit dem Herbst wieder gefestigte preußische Königshaus wies die ihm von den Frankfurter Abgeordneten angetragene Kaiserwürde brüsk zurück. Daraufhin zogen sich die Liberalen tief frustriert aus der Paulskirche zurück. Die weiterkämpfenden Linksliberalen und Demokraten wurden schließlich von Linientruppen vertrieben oder getötet. Viele von ihnen wie Karl Marx oder Ludwig Simon verbrachten den Rest ihres Lebens im Exil. Wenn Engehausen dies als Verlustgeschichte beschreibt, so ist dem entgegenzuhalten, dass die Exilanten aufgrund ihrer Netzwerke und Schriften natürlich doch weiterwirkten. Und überhaupt – dieser Sicht ist nur zuzustimmen – wirkten wichtige Errungenschaften und Prinzipien weiter. Der Feudalismus endete in den deutschen Staaten mit der Revolution, der Grundrechtskatalog wirkte bis in die Weimarer Republik und in die BRD hinein, mit dem Wahlgesetz wurden Standards gesetzt, hinter die auch Bismarck nicht mehr zurückkonnte. Die neuen Erfahrungen der politischen Partizipation auch breiter Bevölkerungsgruppen blieben unvergessen. Die politische Kommunikation war deutlich nationaler geworden.
Grundsätzlich Neues erfährt man aufgrund des sehr guten Forschungsstandes nicht im Buch Engehausens. Es beruht auf einer kenntnisreichen Analyse von zahlreich vorliegenden Egodokumenten der Protagonisten, den stenografischen Berichten und der Presse. Die Vorgehensweise aus diesem Material umfangreich zu zitieren, um die Debattenkultur zu veranschaulichen, funktioniert nur partiell, teilweise wirkt sie ermüdend. Die zahlreichen Abbildungen, vor allem Karikaturen, lockern den Band auf. Leider sind sie häufig zu klein abgedruckt, aber das hat wohl eher der Verlag und gewiss nicht der Autor zu verantworten. Dieser legt insgesamt eine sehr gut lesbare Synthese der Arbeit der Nationalversammlung vor, die Respekt vor dem Geleisteten dieser Männer abverlangt.
Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:
Gabriele B. Clemens, Rezension von/compte rendu de: Frank Engehausen, Werkstatt der Demokratie. Die Frankfurter Nationalversammlung 1848/49, Frankfurt a. M. (Campus Verlag) 2023, 355 S., ISBN 978-3-593-51651-6, EUR 34,00., in: Francia-Recensio 2024/1, 19.–21. Jahrhundert – Histoire contemporaine, DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2024.1.103870