Den Buchdeckel des Sammelbandes illustriert eine bemerkenswerte Kohlezeichnung, die Jeannette l’Herminier im KZ Ravensbrück anfertigte. Drei Frauengestalten, deren Gesichter ausradiert sind, halten sich aneinander fest. Wen verkörpern diese Frauen? Aus welchen sozialen und familiären Verhältnissen stammten sie? Warum wurden sie verhaftet und deportiert? In welche Netzwerke waren sie eingebunden; welche Art der Solidarität und Ausgrenzung erlebten sie im KZ und nach der Befreiung?

2022 widmeten Mechthild Gilzmer und Hannah Sprute den »Frauen aus Frankreich im KZ Ravensbrück« in der Gedenkstätte Ravensbrück eine zweisprachige Wechselausstellung, die ab Januar 2024 in Amiens, danach in Lille und Saint-Omer zu sehen war und voraussichtlich auch in Paris und Luxemburg präsentiert werden wird. Die Ausstellung stellt einen Meilenstein dar, sowohl was die geografische Analyse der Deportationswege aus Westeuropa betrifft als auch hinsichtlich der spezifischen Repression in den besetzen Gebieten Frankreichs, die sich teils auf Vichy- oder sogar Vorkriegspraktiken stützte. »Widerstand, Repression und Deportation« (so der Untertitel der Ausstellung) wurden exemplarisch anhand von ausgewählten Biografien verdeutlicht. Diese biografische Komponente wurde auch im Sammelband übernommen. Die Einbindung von Egodokumenten und Gesprächen mit Zeitzeuginnen erhellen die quantitative Auswertung von Archivmaterial. Die Hervorhebung von Namen und Gesichtern tritt der entmenschlichenden Haftbedingungen entgegen, zeigt zerstörte Einzelleben, qualvolles Überleben und literarisches bzw. historiografisches Nachleben.

Das Verdienst der beiden Herausgeberinnen ist es, intensive Kontakte mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aufgebaut zu haben, die diese Themen eingehend, teils im Rahmen einer Promotionen und/oder in französischsprachigen Publikationen, erforscht haben. Seit dem Aufruf Christine Bards für einen geschlechterspezifischen Blick auf den Widerstand gegen den Faschismus und die Mittäterschaft in Frankreich, auf Verschleppung, rassistisch motivierte Verfolgung, Haft und Zwangsarbeit, ist viel passiert1. Aktuelle Forschung wird hier in kondensierter Form einer breiteren Leserschaft zugänglich gemacht. 14 der 19 Beiträge wurden aus dem Französischen übersetzt; dem Band kommt somit eine wichtige Vermittlerrolle zu.

Der Zuschnitt auf Ravensbrück ist dabei nicht mehr von zentraler Bedeutung. Die sozio-demografische Analyse der ca. 9000 aus Frankreich deportierten Frauen umfasst die ca. 7000 Personen, die u. a. im Frauen-KZ Ravensbrück inhaftiert waren und in seinen Außenlagern Zwangsarbeit verrichten mussten. Die Überlegungen gehen aber über diesen KZ-Komplex hinaus und hinterfragen gängige nationale Kategorien und Festlegungen von Opfergruppen.

Erstens wurden aus Frankreich nicht nur Französinnen deportiert, sondern auch Exilantinnen, die bereits von der vorigen Regierung als indésirables (politisch »Unerwünschte«) interniert worden waren. Zweitens bilden Akte des Widerstandes ein breites Spektrum, das die geschlechtsspezifische Sozialisierung der Verurteilten widerspiegelt. Dabei erscheint Résistance als eine nachträgliche Kategorisierung, die erinnerungspolitisch aufgeladen ist. Wie Lucie Hébert betont, schuf der französische Staat 1948 das Statut der »deportierten Widerstandskämpfer« (déportés résistants) und das Statut der »politischen Deportierten« (déportés politiques), welches auch die als Juden internierten Personen umfasste und somit rassistisch motivierte Verfolgung erst einmal unsichtbar machte, während die als gewöhnliche Straftäterinnen (droit commun) oder sogenannte »Asoziale« (z. B. wegen Abtreibung oder Ehebruch Verurteilten klassifizierten Frauen) keine staatliche Anerkennung erfuhren (S. 182–183). Der Band zeigt auch ihre Geschichten auf – insbesondere jene der französischen Zivilarbeiterinnen in Deutschland, die sich durch abweichendes Verhalten aus Sicht der NS-Behörden strafbar gemachten hatten.

Drittens dienen die regionalen Unterschiede der Besatzung Frankreichs als Erklärungsmuster. So fielen die nordöstlichen Departements Nord und Pas-de-Calais in den Zuständigkeitsbereich des deutschen Militärbefehlshabers in Belgien-Nordfrankreich (MBB). Der Rest des Nordens war dem Militärbefehlshaber in Frankreich (MBF) unterstellt, während die sog. zone libre mit Regierungssitz in Vichy gewisse ideologische Anknüpfungspunkte mit dem Nationalsozialismus (révolution nationale und der Diskurs des éternel féminin2) hatte und nach November 1942 ebenfalls von Deutschland besetzt wurde. Die Beiträge von Catherine Lacour-Astol und Laurent Thiery über die beiden Departements des MBB ergänzen sich gut, die statistischen Erfassungen und Grafiken sind jedoch teils schwierig nachzuvollziehen. In der Grafik zum »Status der verhafteten Personen nach Geschlecht« (S. 70) sind die Kategorien »Täter und Mittäter« und »Täter« nicht sehr trennscharf und die »Chronologie der Transporte« (S. 85) vermischt räumliche Einordnungen mit Häftlingskategorien.

Ein vierter Punkt, den dieser Band unterstreicht, sind die zeitlichen Veränderungen in der Art der Repression (ein Begriff, der die Gewaltherrschaft überzeugend umfasst), die z. B. erklären, warum manche Frauen, die im besetzen Frankreich als Jüdinnen und Romnja verfolgt wurden, nach Ravensbrück kamen. Wie Danielle Delmaire zeigt, galt für die beiden Departements, die dem MBB unterstanden, eine Sonderregelung. Aufgrund der Intervention seitens der mit Nazi-Deutschland verbündeten Regierungen (Ungarn, Türkei und Italien) wurden Jüdinnen aus diesen Ländern zunächst nicht deportiert. Ab Dezember 1943 wurden auch sie verschleppt, allerdings nicht nach Auschwitz, sondern nach Ravensbrück. Im Juli 1944 wurden jüdische Frauen aus Toulouse nach Ravensbrück deportiert, weil die Wege nach Auschwitz nicht mehr offen waren. Andere, wie am Beispiel von Estoucha Zilberberg gezeigt, wurden als politische Gegnerinnen (nicht als Jüdinnen) von Frankreich nach Ravensbrück gebracht. Für manche Romnja, wie Joséphine Lagrené, war Ravensbrück eine »riesige Deportationsdrehscheibe«, wie Monique Heddebaut es beschreibt. Die Autorin betont Kontinuitäten in der diskriminierenden Behandlung von sogenannten »Nomaden« und schildert eindrücklich die zunehmende NS-Verfolgung mit ständigen Verlegungen und Zwangssterilisation (»ein mit Verzögerung eintretender Genozid«, S. 107).

Fünftens wird eine Essentialisierung weiblicher Erfahrungen konsequent vermieden, gleichzeitig aber auf statistisch relevante Variationen hingewiesen. Biografische Erzählungen von Mutterschaft, Prostitution, Frauenfreundschaft und -liebe und der Umgang damit in Kunst, Zeitzeugenschaft und Erinnerungsarbeit bilden das Rückgrat dieses starken Bandes. Was ihm fehlt (zumindest der Printausgabe) ist ein Personenverzeichnis. Davon abgesehen ist jeder Beitrag in sich abgeschlossen und bietet neue Zugänge zu einem Forschungsfeld, das mit dieser Publikation ein handbuchartiges Überblickswerk erhält.

1 Christine Bard, L’histoire des femmes au défi de la déportation, in: Histoire@Politique. Politique, culture, société 5 (2008), DOI: 10.3917/hp.005.0002, S. 1–19.
2 Francine Muel-Dreyfus, Vichy et l’éternel féminin, Paris 1996.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Sonja Kmec, Rezension von/compte rendu de: Mechthild Gilzmer, Hannah Sprute (Hg.), Frauen aus Frankreich im KZ Ravensbrück (1942–1945). Deutsch-französische Forschungsperspektiven, Berlin (Metropol Verlag) 2023, 365 S., 50 Abb. (Reihe Forschungsbeiträge und Materialien der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten, 33), ISBN 978-3-86331-666-2, EUR 26,00., in: Francia-Recensio 2024/1, 19.–21. Jahrhundert – Histoire contemporaine, DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2024.1.103873