Unter dem treffenden Schlagwort »Politik der kurzen Wege« hat Nicolas Hubé eine Langzeitstudie über das Verhältnis von Journalistinnen, Journalisten und Regierungssprechern in Deutschland zwischen 1918 und 2018 vorgelegt. Das Buch, eine gekürzte Fassung seiner Habilitationsschrift, ist eine historische Soziologie der Beziehungen zwischen Presse und Regierungspolitik. Neben einigen klassischen geschichtswissenschaftlichen Quellen, etwa aus dem Bundesarchiv, hat der Autor Interviews, Gespräche und die »teilnehmende Beobachtung« als Methoden verwendet, um der politischen Kommunikation der letzten Jahre und Jahrzehnte auf die Spur zu kommen.

Von zentraler Bedeutung für die Zeit nach 1945 sind Zeitungsartikel, die kritischer hätten genutzt werden können, da sie das bekannte Phänomen »Journalisten berichten über Journalisten« aufweisen. Dadurch wirkt der Informationsaustausch stets wie eine Einbahnstraße: Informationen werden von Regierungsseite an Journalisten weitergegeben. In Wirklichkeit handeln aber auch Journalisten mit Informationen, die sie an die Regierungsseite streuen. Dieses »do ut des« erwähnen Journalisten in ihren Artikeln, Notizen und Autobiografien natürlich fast nie, obwohl es zum Alltag etwa von Parlamentskorrespondenten gehört. Hubé hat einige Beispiele für vertraulichen Informationsaustausch »Unter Drei« einbezogen, doch die Journalisten sind dabei stets Rezipienten »von oben« gegebener Informationen, als eigenständige politische Akteure werden sie nicht verstanden.

Insgesamt ist Hubés Ansatz soziologisch-normativ-strukturell. Hierbei werden interessante Erkenntnisse etwa über Institutionen wie das Bundespresseamt und die Bundespressekonferenzen gewonnen. Routine, Arbeitsalltag und Nachrichten geringer Relevanz lassen sich so fassen. Aber es ist fraglich, ob man den intimen Interaktionen zwischen Journalisten und Regierungsvertretern auf diese Weise auf die Spur kommen kann. Zumal auf der gouvernementalen Seite das Gewicht der Studie auf der höheren Bürokratie der Presseämter liegt, vor allem der verschiedenen Regierungssprecher und ihrer Mitarbeiter. »Reine« Politiker wie Minister, Staatssekretäre, Abgeordnete und professionelle Parteipolitiker bleiben unterbelichtet.

Die »Räume« und »Felder« für die Interaktionen der Akteure sind überdies sehr abstrakt und normativ gestaltet. Auch die »Neuformierung des politischen Raumes« nach 1999 in der sogenannten Berliner Republik bleibt unklar. Für einen Raumansatz wären soziologisch weniger Max Weber und Pierre Bourdieu als mehr Carl Schmitt mit seinen Überlegungen zum »Vorraum der Macht« und zu den verschiedenen Zugängen zu »Machthabern« sinnvoll gewesen. Nicht zuletzt, da diese Überlegungen auf das autoritäre deutsche Politikmodell zwischen 1900 und 1945 gemünzt sind.

Der spezifisch französische Ansatz, Geschichte auch mit Geografie, hier sogar mir Stadttopografie, zu verbinden, führt zu den spannendsten Erkenntnissen der Studie. Die angefertigten Karten visualisieren auf eindrückliche Weise die journalistisch-politischen »Biotope« Bonn und Berlin und verdeutlichen, wie Journalisten und Politiker über Jahre und Jahrzehnte schon allein räumlich als Arbeitspartner zusammenlebten.

Dies macht noch einmal klar, dass Bonn nur Hauptstadt, aber nicht führende Medienstadt Westdeutschlands war. In der kleinen Stadt am Rhein war man »unter sich« und üblicherweise auf Ausgleich und Befriedung bedacht, weniger auf Konfrontation und Streit zwischen Journalisten und Politikern. Obwohl in Berlin viele Institutionen räumlich noch näher beieinander liegen, scheint die Streitkultur seit den 2000er-Jahren allmählich wieder an die Zeiten der Weimarer Republik anknüpfen zu wollen.

Im Hinblick auf die »oral history«-Anteile der Studie ist die Anonymisierung leider ein großes Problem, da sie die Nutzung der Arbeit auch für andere Forschungen, etwa in der Geschichtswissenschaft, erschwert. Alle persönlichen Gesprächs- und Interviewpartner Hubés wurden namentlich unkenntlich gemacht, zum Beispiel so: »Homme, secrétaire d’État en charge du porte-parolat du gouvernement Schröder; rédacteur en chef du journal du SPD, ›Vorwärts‹, 27 janvier 2010«. Um welche Person der Zeitgeschichte es sich handelt, ist in diesem Fall leicht zu eruieren. Dennoch vermindert sich so die Nutzbarkeit und Zitierfähigkeit der Studie.

Wünschenswert wäre auch ein stärkerer Blick auf die Rolle der ausländischen Presse in Deutschland zwischen 1918 und 2018 gewesen. Zwar wird ihre wichtigste Organisation, der Verein der ausländischen Presse in Deutschland (VAP), für die 1920er- und 1930er-Jahre einbezogen. Aber nur auf das organisationsgeschichtliche Moment des jährlichen Auslandspresseballs hin. Wie die oftmals agileren und mit besserer Ausstattung arbeitenden Auslandskorrespondenten mit (west-)deutschen Regierungskommunikatoren umgingen, von denen sie sich nicht in institutionalisierte Rahmen wie Pressekonferenzen, Bierabende, Teegespräche und »Unter Drei«‑Absprachen einzwängen lassen mussten, weil sie viel stärker an »Scoops« interessiert waren, spielt in der Arbeit keine Rolle.

Eine zentrale These der Studie ist nicht leicht zu finden. Vielleicht die, dass die Nähe zwischen deutschen Journalisten und Regierungssprechern (nicht gleichzusetzen mit Politikern) zu groß und zu sehr auf Harmonie bedacht war und immer noch ist. Die wenigen Eklats und Skandale, die es im Laufe vieler Jahrzehnte in den Bundespressekonferenzen gab, bekräftigen dieses Bild. Hubé legt nahe, dass es hier wunde Punkte in der politischen Kommunikation gibt, die zum gegenwärtigen Vertrauensverlust in »die Presse« in Deutschland beigetragen haben könnten. Weitere Spezialstudien sind notwendig, um diesen Zusammenhang zu beleuchten, wobei sie den generellen Bedeutungsverlust der Printpresse miteinbeziehen sollten.

Die Studie ist weniger geeignet um Informationen zu wichtigen Einzelakteuren in Journalismus und Politik, zu historischen Ereignissen und ihrer kommunikativen Gestaltung sowie zu vertraulichen und wirklich reziproken Kontakten zwischen Journalisten und Politikern zu erhalten. Aber sie gibt einen guten Überblick und ist ein praktisches Handbuch und Nachschlagewerk zu den Strukturen, Räumen und Institutionen des journalistisch‑regierungsamtlichen Verhältnisses in Deutschland im 20. Jahrhundert.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Norman Domeier, Rezension von/compte rendu de: Nicolas Hubé, La politique des chemins courts. Un siècle de relations entre journalistes et communicants gouvernementaux en Allemagne (1918–2018), Vulaines-sur-Seine (Éditions du Croquant) 2022, 404 p. (Sociologie historique), ISBN 978-2-36512-327-3, EUR 20,00., in: Francia-Recensio 2024/1, 19.–21. Jahrhundert – Histoire contemporaine, DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2024.1.103875