Der »Lebensborn e. V.«, 1935 gegründet, unterhielt insgesamt 24 Entbindungsheime im Deutschen Reich und in den besetzten Ländern. Die Zahl der im Reichsgebiet geborenen Lebensborn‑Kinder liegt vermutlich zwischen 7000 und 8000. Georg Lilienthal hat schon 1985 in seinem Standardwerk zum Thema deutlich gemacht, dass die Lebensborn‑Heime weder karitative Einrichtungen waren noch eine Art Zuchtfarmen der SS zur Produktion »reinrassigen« Nachwuchses. Der Verein unterstand zunächst dem Reichssicherheitshauptamt, seit 1938 dem Persönlichen Stab des Reichsführers SS, Heinrich Himmler. Himmler sah im Lebensborn ein Instrument zur Verwirklichung der rassistischen NS-Utopie einer »blutreinen Volksgemeinschaft«. Vorurteile bürgerlicher Sexualmoral gegenüber unehelichen Kindern sollten zugunsten der »Aufnordung« des »Volkskörpers« und einer deutlichen Erhöhung der Geburtenziffern überwunden werden. Darum wurden insbesondere ledige Mütter in den Heimen des Lebensborn vor, während und nach der Geburt betreut und versorgt. Voraussetzung war, dass sie, ebenso wie die Väter, den »rassebiologischen« Kriterien genügten.

Dorothee Schmitz-Köster hat sich seit den 1990er-Jahren mit etlichen profunden Sachbuchpublikationen und journalistischen Arbeiten zum Thema einen Namen gemacht. Darin ging es vor allem um die Erfahrungen der Lebensborn-Kinder, ihrer Mütter und der in den Anstalten Beschäftigten. In ihrer neuen Veröffentlichung stehen nun die Lebensborn-Väter im Zentrum.

Die Autorin fragt nach dem Selbstverständnis dieser Väter, ob sie sich ihren Kindern gegenüber verantwortlich fühlten, sich präsent zeigten und inwiefern »ihr Denken, ihr Handeln, ihre Gefühlswelt vom Vaterbild ihrer Zeit geprägt« (S. 15) waren. Das Problem: Unter den im Verlaufe ihrer Recherchen geführten insgesamt 132 Interviews findet sich kein einziges mit einem dieser Väter. Nach der ersten Buchpublikation der Autorin zum Thema hatten sich viele Lebensborn-Kinder und auch manche Lebensborn‑Mütter zu Gesprächen bereit erklärt. Die Väter hingegen hielten sich bedeckt. Das gelang ihnen umso leichter, als die Lebensborn‑Heime den Müttern und Vätern garantiert hatten, auf deren Wunsch Schwangerschaft und Geburt geheim zu halten. Wollte der Vater anonym bleiben, trugen die eigens von den Heimen eingerichteten Melde- und Standesämter seinen Namen erst gar nicht in die Dokumente des Kindes ein. Zudem waren viele Väter während des Kriegs ums Leben gekommen, danach verstorben oder verschwunden. Das Buch beruht daher neben den Aussagen in den Interviews über die Väter (so diese denn bekannt waren) vor allem auf Archivalien, u. a. der Arolsen Archives, des Bundesarchivs Berlin, einiger Staats- und Kreisarchive sowie auf privatem Material.

Das zweite Kapitel »Kontexte« erläutert Männer- und Väterbilder in der NS-Gesellschaft und speziell im Hinblick auf die SS und deren Ansprüche an die Lebensborn-Väter. Überzeugend arbeitet die Autorin hier Gemeinsamkeiten und Unterschiede bürgerlich‑christlicher und rassistischer Sexualmoral heraus. Das folgende Kapitel »Zahlen« zeigt, dass nur etwa die Hälfte der Lebensborn‑Väter SS-Männer waren, und es gibt u. a. Auskunft über die beruflichen Hintergründe der anderen Väter.

Im vierten Kapitel, dem weitaus größten Teil des Buches, nimmt die Verfasserin insgesamt 79 Väter in den Blick. Ob diese 79 Männer eine Auswahl darstellen oder ob es sich dabei um alle quellenmäßig greifbaren handelt, bleibt offen. Sie bilden die Grundlage für eine Typologie, die zunächst zwischen »symbolischen« und »realen« Vätern unterscheidet. An der Spitze der ersteren steht Himmler, der sich beim Lebensborn buchstäblich um alles kümmerte. Zu den symbolischen Vätern zählt die Autorin auch die Heimleiter, ferner auch etwa die SS-Paten, die bei den »Namensgebungsfeiern« in Aktion traten.

Die »realen« Väter teilt die Autorin je nach »Beziehungskonstellation« in drei Gruppen ein: verheiratete Männer mit ehelich geborenem Lebensborn-Kind; verheiratete Männer, die ein uneheliches Kind gezeugt haben; unverheiratete Männer, die mit einer alleinstehenden oder verheirateten Frau ein uneheliches Kind gezeugt haben. Anschließend ordnet sie diese Väter bewusst locker insgesamt neun Typen zu. Zwei weitere Gruppen ergänzen die genannten: »falsche« (von der Mutter fälschlich als Vater angegebene) Väter und »Ersatz-Väter«, die, etwa als Pflege- oder Adoptivväter, an die Stelle des Erzeugers traten. Die Betrachtung gilt fast nur SS-Männern, ohne dass dies begründet würde.

Teils in kurzen Biogrammen, teils in ausführlicheren Erzählungen wird dann ein breites Spektrum von Handlungsmotiven, Verhaltensweisen und Einstellungen der so sortierten Väter gegenüber ihren Kindern, deren Müttern und dem Lebensborn ausgebreitet. Das Gesamtbild macht deutlich, dass die von Himmler angestrebte neue Sexualmoral beim Großteil dieser Männer keine Resonanz fand. Auch für SS-Männer hatten Kinder weiterhin ehelich geboren zu werden oder hinter der Fassade zu verschwinden, die der Lebensborn den unehelichen Vätern bot, indem er bei Bedarf die Schwangerschaften vor deren Ehefrauen, übrigen Angehörigen und dem weiteren Umfeld geheim hielt. Diese Väter ergriffen gern die Gelegenheit, um die Vorzüge der traditionellen bürgerlichen Doppelmoral für sich zu nutzen. Während der Lebensborn Frauen mit »fragwürdigem« Sexualleben nicht aufnahm, kam er den (unehelichen) Vätern auch durch Übernahme von nicht eingehaltenen Zahlungsverpflichtungen und selbst durch Vertuschen von Gesetzwidrigkeiten diskret entgegen, auch wenn dies den SS-Vorgaben nicht entsprach. Viele Väter zeigten keinerlei Interesse an ihrem Kind. Diejenigen, die sich kümmerten, zahlten und Anteil nahmen, waren seltene Ausnahmen. Die meisten, so Schmitz-Kösters Fazit, waren »unbrauchbare Väter« (S. 154). Daran bleibt nach Lektüre des Bandes wenig Zweifel.

Das Buch will nicht geschichtswissenschaftlichen Kriterien genügen. Der Mangel an Quellen, welche die Väterperspektive direkt wiedergeben, wird häufig durch Spekulationen ersetzt, was die Autorin allerdings gelegentlich selbst deutlich ausspricht. Sie gibt zwar wichtige quellenkritische Hinweise zum Archivmaterial, jedoch keinerlei Auskunft darüber, wann und in welcher Form die Interviews geführt wurden. Viele Kontextinformationen bleiben ohne Nachweise, was durch das Literaturverzeichnis nicht ersetzen werden kann. Das durchgehend verwendete Präsens des süffig geschriebenen Textes erschwert analytische Distanz. Gleichwohl vermittelt das Buch eine Fülle von Einsichten in den Alltag nationalsozialistischer Sexualpolitik, die das bislang vage Bild der Lebensborn-Väter erheblich klarer konturieren und unsere Kenntnis der Geschlechterbeziehungen und Eltern‑Kind‑Verhältnisse im Nationalsozialismus erweitern.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Klaus Latzel, Rezension von/compte rendu de: Dorothee Schmitz-Köster, Unbrauchbare Väter. Über Muster-Männer, Seitenspringer und flüchtende Erzeuger im Lebensborn, Göttingen (Wallstein) 2022, 176 S., ISBN 978-3-8353-5325-1, EUR 22,00., in: Francia-Recensio 2024/1, 19.–21. Jahrhundert – Histoire contemporaine, DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2024.1.103883