Der von Dominique Adrian und Léonard Dauphant herausgegebene Band präsentiert Ergebnisse einer 2022 veranstalteten Tagung, deren Fragestellung mit dem Thema des concours d’agrégation zu Städten und Staatsentstehung in Nordwesteuropa im 13.–15. Jahrhundert in Verbindung stand (7, 11). Die Darstellung gliedert sich in drei Abschnitte: 1. die Einleitung der Herausgeber und eine »Bestandsaufnahme« von Isabelle Guyot-Bachy; 2. eine Sektion zu Machtverhältnissen in Städten und 3. ein Abschnitt zur »Ehre der Stadtbürger« (l’honneur des citadins). Hinzu kommen Quellen- und Literaturverzeichnis und je ein Personen- und Ortsregister.

Die Einleitung beginnt mit einer kurzen Vorstellung der lothringischen Städtelandschaft: Die französischsprachige reichsunmittelbare Bischofsstadt Metz spielte die Rolle einer regionalen Metropole. Sie verfügte über ein beachtliches eigenes Territorium und zählte am Ende des Mittelalters ca. 20 000–30 000 Einwohner. Metz gehörte zu den größten Städten des mittelalterlichen Reiches, war aber innerhalb des regionalen Städtenetzes relativ isoliert. Das lothringische Städtenetz war zwar dicht, bestand jedoch überwiegend aus kleinen Städten. Die Bischofsstädte Toul und Verdun waren deutlich kleiner als Metz und erlebten am Ende des Mittelalters einen demographischen Niedergang. Zusätzlich wurde die Region durch die gräflichen bzw. herzoglichen Hauptstädte Nancy, Bar-le-Duc und Luxemburg, Handelsstädte wie Neufchâteau, Épinal und Saint-Mihiel und zahlreiche ländliche Marktorte geprägt. Die Autoren unterstreichen die besondere Stellung des territorial sehr stark zersplitterten lothringischen Raumes zwischen dem Reich, Frankreich und benachbarten Territorien: »Autant qu’un ›Entre-deux‹ entre royaume et Empire, la région est un carrefour entre France, Empire et Luxembourg/Bourgogne« (7). Im 14. Jahrhundert seien im politischen Alltagsgeschäft die Beziehungen zu den Herzogtümern Lothringen und Bar und, auch durch die Ausübung der Kaiserwürde durch die Dynastie der Luxemburger bedingt, zu Luxemburg entscheidender gewesen, als das Verhältnis zu Frankreich oder dem Reich an sich. Hinzu kam die Nähe zum burgundischen Herrschaftskomplex. Metz habe bezüglich seiner Politik und Verfassung einen spezifischen Charakter besessen, der sich sowohl von deutschsprachigen Reichsstädten als auch von französischen bonnes villes und burgundischen Städten, die zwischen Zusammenarbeit mit ihrem Fürsten und Rebellion schwankten, unterschied (7).

Wie im Buchtitel angekündigt, geht es um den Beitrag der lothringischen Städte zu Staatsbildungsprozessen im Plural. Dazu gehören sowohl die Entwicklung der umliegenden Territorien als auch die Frage nach Metz als Stadtstaat. Als Ausgangspunkt präsentiert Isabelle Guyot-Bachy Überlegungen und Kommentare zum 2006 erschienenen, grundlegenden Buch von Jean-Luc Fray zu Städtenetzen und Zentralität im mittelalterlichen Lothringen.1 Anschließend stellt Dominique Adrian zwei Rechtstexte aus Metz, die rapports de droits messins vom Ende des 12. und aus der Mitte des 13. Jahrhunderts vor, deren genaue Datierung umstritten ist. Es handelt sich dabei um eine Auflistung der (sehr begrenzten) Rechte des Kaisers sowie der Rechte des Bischofs, der Stadt und des Grafen von Metz, dessen Funktion 1225 endgültig verschwand. Aufgrund ihres lückenhaften Charakters und der geringen praktischen Verwendbarkeit hatten diese Texte vor allem eine legitimatorische Funktion zur Stärkung städtischer Autonomierechte.

Einer der interessantesten Beiträge stammt von Léonard Dauphant, der sich für Toul und Verdun mit fürstlichen Schutzherrenfunktionen und -verträgen am Ende des Mittelalters beschäftigt – einer Praxis, die sich im Zusammenhang mit dem Machtvakuum des Interregnums, den zersplitterten Territorialverhältnissen und der relativen Schwäche der lothringischen Städte stark ausbreitete. Solche Verträge wurden häufig mit mehreren Herren abgeschlossen, die dadurch in Konkurrenz zueinander gerieten. Die Abkommen konnten sich gegenseitig überlagern. Zu den miteinander konkurrierenden Schutzherren gehörten u. a. die Luxemburger, darunter auch Kaiser Karl IV., sowie der französische König. Dauphant regt an, auf das traditionelle Paradigma der Einmischung zu verzichten und sich mit Hilfe städtischer Quellen stärker mit der Frage zu beschäftigen, wie Städte solche Verträge zu ihren Gunsten instrumentalisierten. Beide Seiten, Herren und Städte, hätten Nutzen daraus gezogen und sie für ihre Zwecke manipuliert. Ein Ansatz, der sehr vielversprechend ist.

Amélie Marineau-Pelletier untersucht am Beispiel von Metz (15. Jahrhundert) die Quellengattung der offenen Briefe (lettres missives ouvertes) und ihren Zusammenhang mit Ehrverletzungen. Alison Leininger-Cuenot stellt eine Einzelperson in den Vordergrund: den Adeligen Henri de la Tour, den sie als bedeutenden Vertreter burgundischen Einflusses bezeichnet. Metzer Chroniken beschrieben ihn als Gegner der Stadt. Zeitweise war er aber auch ein Verbündeter, der seine militärischen Fähigkeiten in städtische Dienste stellte. Antoine Lazzari wendet sich mit den Wechselbeziehungen zwischen Metz, dem Reich und der Dynastie der Luxemburger einem sehr wichtigen Thema zu. Dabei stützt er sich auf die Chronik des Metzer Patriziers, Amtsträgers und städtischen »Diplomaten« Jacques Dex (1371–1455). Er kommt zu dem Ergebnis, dass Metz trotz der Entfernung den Kaiser gebraucht habe, um seine Unabhängigkeit zu wahren. Die Alternative, eine Machtergreifung durch einen benachbarten regionalen Fürsten, sei für die Stadt, die sich im 13. Jahrhundert weitgehend von der Herrschaft ihres Bischofs befreit hatte, wesentlich bedrohlicher gewesen. Gegenüber dem Kaiser galt es daher, ein angemessenes Gleichgewicht zwischen Kooperation und Widerstand zu finden – und ihn möglichst weit von der Stadt entfernt zu halten (107–108). In Bezug auf das Verhältnis zwischen dem Fürstentum Luxemburg und der Reichsstadt Metz spricht Michel Margue von einer Art gemeinsamer bzw. paralleler Staatsbildung (une construction conjointe ou une co-construction des deux États, 122) und ruft zur Abkehr vom traditionellen Paradigma einer gegensätzlichen oder feindlichen Entwicklung von Territorialstaat und Stadt auf. Trotz Konflikten und militärischer Auseinandersetzungen wie der guerre des Quatre Seigneurs (1324–1326), des Krieges einer Koalition von vier großen Territorialfürsten der Region (Grafen von Luxemburg und Bar, Erzbischof von Trier, Herzog von Lothringen) gegen Metz, habe es sich, im Gegensatz zur Meinung der älteren Historiographie, nicht um zwei völlig verschiedene Welten gehandelt.

In der Schlussbetrachtung fasst Jean-Luc Fray Ergebnisse prägnant zusammen und ergänzt sie um Ausblicke auf von den Herzögen von Bourbon beherrschte Gebiete, auf Forez, Beaujolais und Dombes bzw. Städte der Auvergne. Er stellt verschiedene Formen der Staatsbildung sehr anregend gegenüber. Der Tagung sei es gelungen, »de prendre conscience, de façon très concrète, des modes différents des formation de structures étatiques entre royaume des Valois, engagé dans le lent processus de construction d’un État plus tard centralisé où le pouvoir s’exerce de haut en bas […] et un Saint Empire ›fractal‹ (Falk Bretschneider) où l’État existe et agit à plusieurs échelons […]« (131). Insgesamt gesehen zeigt der Band eine sehr erfreuliche neue Dynamik in der Erforschung des lothringischen Grenzraumes und der Stadtgeschichte von Metz, die grenzüberschreitend neuere Forschungsliteratur miteinbezieht (was angesichts wachsender Sprachbarrieren leider nicht selbstverständlich ist). Die Beiträge bieten zudem viele Anregungen und Diskussionsanstöße, die eine tiefere Betrachtung verdienen.

1 Jean-Luc Fray, Villes et bourgs de Lorraine. Réseaux et centralité au Moyen Âge, Clermont-Ferrand 2006.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Gisela Naegle, Rezension von/compte rendu de: Dominique Adrian, Léonard Dauphant (dir.), Villes et constructions étatiques en Lorraine (XIIIe–XVe siècles), Actes de la journée d’étude du 12 janvier 2022, Metz (Centre de recherche universitaire lorrain d’histoire) 2023, (Publications Historiques de l’Est, 77), ISBN 978-2-85730-084-7, EUR 25,00., in: Francia-Recensio 2024/2, Mittelalter – Moyen Âge (500–1500), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2024.2.104903