Beda der Ehrwürdige (lat. Venerabilis, gest. 735) war einer der herausragendsten Gelehrten seiner Zeit. Hinterlassen hat er uns ein beeindruckendes Erbe an theologischen Werken, historischen Aufzeichnungen und wissenschaftlichen Abhandlungen. Seine Kirchengeschichte prägte die angelsächsischen und nachfolgenden historiographischen Traditionen. Seine theologischen Arbeiten wirkten weit über die Klostermauern von Monkwearmouth und Jarrow hinaus. Doch was verraten uns seine Werke über den Gelehrten Beda und seine Herangehensweisen? Dieser Frage gehen die in diesem Band vorgelegten Beiträge nach. Sie gehen aus einschlägigen Tagungssitzungen hervor, die seit 2011 regelmäßig am International Medieval Congress in Leeds abgehalten wurden.

Im Zentrum der Abhandlungen stehen Bedas Gelehrsamkeit, seine exegetischen Methoden und seine Bedeutung für die mittelalterliche Theologie. Auf eine kurze Einleitung der Herausgeber folgen elf Beiträge, die sich mit Bedas Schaffen aus unterschiedlichen Perspektiven auseinandersetzen. Die Einleitung (1–6) führt in die Forschungsgeschichte ein und betont dabei den Paradigmenwechsel in der Forschung seit den Arbeiten von Roger Ray und Paul Meyvaert von 1976. Grundlegend sei seither die Gesamtbetrachtung der unterschiedlichen Genres, die zu Bedas Werk gehören, und deren Einfluss in den Bereichen Literatur, Theologie und Geschichte.

Die anschließenden Beiträge bieten ein facettenreiches Bild von Bedas Gelehrsamkeit und spirituellem Erbe. Eingeleitet werden diese durch einen Beitrag von Peter Darby und Máirín MacCarron (7–32) zu seinen autobiographischen Aussagen in seiner Kirchengeschichte (V 24). Diese bieten nicht nur Einblick in Bedas wissenschaftliche Laufbahn, sondern auch in seine Selbstwahrnehmung und die Strukturierung des Werkes. Dabei wird dargelegt, wie sorgfältig Beda seine Werke katalogisierte und thematisch organisierte, und damit die Bedeutung der Heiligen Schrift sowie der Botschaft des christlichen Heils hervorhob. Auch der Beitrag von Celia Chazelle (53–96) widmet sich der Verbindung zwischen dem Gelehrten Beda und seinen Glaubensvorstellungen. Sie untersucht die als biblische Kapitularien bezeichneten Zusammenfassungen, die dahinterstehenden Motivationen und Ziele, und inwiefern sich diese in Bedas Schriftauslegung widerspiegeln. Dabei werden Bedas Funktion sowohl als Exeget als auch als Herausgeber unterstrichen. Alan T. Thacker (141‑174) nähert sich der klösterlichen Gemeinschaft im Umfeld Bedas und vergleicht diese mit der Gemeinschaft um den ostgotischen Gelehrten Cassiodorus, dessen Einfluss bis nach Northumbria reichte.

Mehrere Beiträge befassen sich dezidiert mit Bedas Glaubensvorstellungen und Exegese. Arthur Holder (33–52) beleuchtet seine Vergöttlichungslehre, wonach Christus die Menschheit erhöhte und den Gläubigen an seiner Herrlichkeit teilhaben ließ. Er zeigt, wie Beda patristische Lehren nutzte, um verschiedene einschlägige Modelle zu entwickeln und so die Verbindung zwischen Christus und den Gläubigen zu verdeutlichen. Dabei geht er auf das von David Meconi ausgearbeitete Modell von vier Wegen zum Seelenheil (deificare) ein, das auch von Beda aufgegriffen wurde. Der Beitrag von Susan Cremin (97–118) befasst sich mit Bedas verschiedentlicher Verwendung des Johannesevangeliums und den damit verbundenen Vorstellungen des Göttlichen. So wurde im Rahmen der Synode von Whitby bei der Osterfestberechnung auf das genannte Evangelium zurückgegriffen. Emily Quigley (119–140) wendet sich anschließend dem Matthäusevangelium und dessen Konzeption von Vollkommenheit zu. Diese sei als eine höhere Stufe des christlichen Lebens zu verstehen, die über bloße Befolgung der Gebote hinausgehe, und wie beim Vorbild des Benedict Biscop die vollständige Hingabe zu Gott impliziere. Dieses Ideal habe das monastische Leben in Northumbria merklich geprägt und zur spirituellen Entwicklung der Gemeinschaft beigetragen.

Biblische und martyrologische Bezüge bleiben im Zentrum weiterer Beiträge. John J. Gallagher (198–222) geht auf Bedas Auseinandersetzung mit dem Buch Genesis ein und unterstreicht seine akribischen und philologisch fundierten Methoden unter Rückgriff auf theologische Enzyklopädien und patristische Quellen. Die Bibel habe er mehrschichtig interpretiert, indem er sowohl auf wörtliche als auch allegorische und typologische Elemente Rücksicht nahm. Hervorzuheben ist auch die Studie von Paul C. Hilliard (265–283) über die Funktionen von Bedas Martyrologium, das durchaus historiographische Elemente enthalte. Entsprechende Informationen über Heilige seien eingesetzt worden, um die eigenen theologischen sowie moralischen Anliegen den Lesern näher zu bringen. Damian Fleming (175–197) befasst sich mit Bedas Interesse am hebräischen Alphabet, mit dessen Schriftzeichen er eventuell vertraut gewesen sei. Auch die Möglichkeit einer Verbindung zum Codex Amiatinus, einer der ältesten erhaltenen Vulgatahandschriften, die im selben Kloster entstanden sein soll, wird vor diesem Hintergrund erneut diskutiert.

Ein anderes rekurrierendes Thema ist Bedas Verständnis von Natur und Kosmos. Eoghan Ahern (223–243) untersucht das Naturverständnis und zeigt dabei auf, wie Beda unter Rückgriff auf die klassische kosmographische Tradition sein Verständnis von Natur entwickelte. Dabei wies er eine den damaligen Ansprüchen entsprechende rationalistische Herangehensweise auf, um Wissen aus verschiedenen Quellen zu synthetisieren und biblische Lehren mit seinen Beobachtungen zu verbinden. Sharon M. Rowley (244‑264) analysiert Bedas Wunderberichte im Kontext damaliger Vorstellungen zur Umwelt und zeigt, wie er Heilungswunder durch das Trinken der Grundelemente Erde und Wasser in kosmologische und christologische Symbolik einbettete, um die Bedeutung lokaler heiliger Orte (loca sancta) für die Nachwelt hervorzuheben. Auch die Frage, inwiefern sich entsprechende Wundervorstellungen mit einer offensichtlichen Fähigkeit des Autors zum kritischen Denken vereinbaren lassen, wird behandelt, wobei die theologische Tiefe und literarische Kunstfertigkeit unterstrichen wird, Aspekte, die wichtige Einblicke in die Verbundenheit von Gottes Schöpfung und Erlösung ermöglichen.

Der Band bietet einen umfassenden Einblick in die religiösen Wahrnehmungen und Denkweisen und deren Auswirkungen selbst auf profanere Werke wie Bedas Kirchengeschichte. Er verdeutlicht damit nochmals, inwiefern solche Konzeptionen auf unterschiedlichste frühmittelalterliche Genres prägend wirkten. Obwohl der Band damit sehr konsistent ist, hätte ein Untertitel, der auf die dezidiert religiös-theologische Ausrichtung der Untersuchungen hingewiesen hätte, für mehr Klarheit in Bezug auf die Erwartungen an ihn gesorgt. Das in der Einleitung dargelegte Hauptanliegen, die übergreifende Bedeutung theologischer Konzeptionen im Gesamtwerk des Gelehrten sowie den Mehrwert deren Berücksichtigung für die Deutung seiner Arbeiten darzulegen, zieht sich aber überzeugend durch den Band. Umso mehr hätte sich eine zusammenfassende Gesamtbetrachtung am Ende des Bandes angeboten. Studien mit ähnlichem Anliegen wurden bereits seit den 1990ern, z. B. in Bezug auf die Werke Gregors von Tours, durchgeführt und ließen sich vor dem Hintergrund der nun vorliegenden Studien zu Beda nochmals vertiefend aufgreifen. Ein Vergleich entsprechender Gesamtwerke würde es ermöglichen, die enge Verknüpfung zwischen religiösem Denken und historiographischem Arbeiten im frühen Mittelalter in ihrer gesamten Komplexität besser zu verstehen.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Laury Sarti, Rezension von/compte rendu de: Peter Darby, Máirín MacCarron (ed.), Bede the Scholar, Manchester (Manchester University Press) 2023, 344 p., ISBN 978-1-5261-5320-3, EUR 84,40., in: Francia-Recensio 2024/2, Mittelalter – Moyen Âge (500–1500), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2024.2.104912