»Ubi papa, ibi Roma« – mit dieser griffigen Formel lässt sich das hoch- und spätmittelalterliche Phänomen treffend beschreiben, dass die Päpste samt ihrer Kurie, im weiteren Sinn also die päpstliche Administration als Inbegriff des Macht- und Herrschaftszentrums der okzidentalen Kirche, in ihrer physischen Präsenz keineswegs an den Aufenthalt in der Tiberstadt und dem geographischen Ort bei den Apostelgräbern gebunden waren. In der Tat hatten die Päpste jener Epoche über kürzere wie längere Zeiträume die Ewige Stadt verlassen und sich in Mittelitalien, vor allem aber auch in Frankreich über Monate, Jahre und Jahrzehnte aufgehalten. Spätestens mit dem großen abendländischen Schisma hatte sich die Situation nochmals entscheidend geändert, Rom war fast schon an den Rand der christlich-okzidentalen Welt gerückt. Nach mehreren Jahrzehnten des Aufenthalts vorwiegend in Avignon und den nachfolgenden schismatischen Wirren mit zwei und schließlich drei konkurrierenden Päpsten kehrte dann der auf dem Konstanzer Konzil gewählte Einheitspapst Martin V. nach einer zweieinhalbjährigen Reise zurück an den Tiber. Damit setzte er ein Zeichen des Neubeginns. Diese Reise zeigte aber auch die Schwierigkeiten, den traditionellen Ort päpstlicher Herrschaft zurückzugewinnen. Selbst wenn es dem Colonna-Papst gelungen war, das Zentrum päpstlicher Herrschaft an seinen traditionellen Ort zurückzuführen, blieben Zugang und Beherrschung der Stadt auch in der Folgezeit schwierig. Die Päpste hielten sich weiterhin keineswegs ständig in der alten Kaiserstadt auf. Aus politischen Überlegungen heraus, teils auch gezwungenermaßen, verließen sie die Stadt mal für kürzere, mal für längere Zeit und selbst in Rom residierten sie an wechselnden Orten – Martin V. vor allem im Lateranpalast. Es sollte noch Jahrzehnte dauern, bis sich die Tiberstadt und St. Peter als topographischer wie ideeller Mittelpunkt päpstlicher Herrschaft durchsetzen konnten.
In der vorliegenden Studie, einer von Claudia Märtl betreuten und an der Münchener Ludwig-Maximilians-Universität eingereichten Dissertation, konzentriert sich ihr Verfasser Christopher Kast vor allem auf die Pontifikate von Martin V. bis zu Pius II., die die ersten Jahrzehnte nach Ende des abendländischen Schismas und der Rückkehr der Päpste nach Italien umspannen. Dabei weist er bereits in seiner Einleitung (31–40) auf die immensen Schwierigkeiten hin, die sich einer Rückverlegung des päpstlichen Sitzes nach Rom anfänglich entgegenstellten. Im Zentrum seiner Untersuchung steht aber nicht allein die Frage nach der päpstlichen Rückkehr an den Tiber, sondern ebenso eine Reihe von generellen Problemen, welche die Vorbereitung und Durchführung der Reisetätigkeit des Papstes und seines Hofs betreffen. Die Herausforderungen der Planung und Organisation, die sich allein schon aus der schieren Größe der Reisegruppe mit bis zu mehreren hundert Personen ergeben, mustergültig aufgearbeitet zu haben, ist zweifellos das große Verdienst dieser Arbeit. Dazu hat Kast päpstliche wie stadtrömische Quellen in großer Fülle analysiert, ebenso das einschlägige Material (insbesondere kommunale Beschlüsse und Rechnungsüberlieferungen) der auf diesen Reisen besuchten Städte durchforstet und darüber hinaus die überlieferten Gesandtenberichte, vornehmlich mantuanischer und Mailänder Provenienz, ausgewertet – ein Quellenpaket, das bislang zwar nicht gänzlich unbekannt war, indes in seiner ganzen Breite erstmals in der vorliegenden Studie gründlich untersucht und ausgewertet wird. In fünf Teilabschnitten werden die verschiedensten Aspekte päpstlicher Reisetätigkeit genauer in den Blick genommen: Zunächst untersucht Kast die politischen Rahmenbedingungen der Papstreisen (41–91), anschließend beschäftigt er sich mir deren organisatorischer Vorbereitung (92–166). Dann wirft er einen genaueren Blick auf das Transportwesen sowie die Versorgung der Reisenden und ihrer Tiere (167–257), nimmt sich schließlich die Papsteinzüge in den besuchten Aufenthaltsorten vor und beleuchtet deren Repräsentationspotential (258–311), um sich zuletzt mit der Infrastruktur der besuchten Städte und dem Problem angemessenen Wohnraums zu beschäftigen (312‑379). Dass diese Aspekte nahezu zwangsläufig eng miteinander verzahnt sind, muss wohl nicht eigens betont werden. Das Wohlbefinden der Kardinäle, die angemessene Unterkunft, die funktionierende Versorgung – all dies hatte auch für die Außenwirkung und damit für das Prestigebedürfnis der besuchten Städte eine wichtige Rolle gespielt und deren Bild als Gastgeber nachhaltig geprägt. Das mag sie mit den enormen Kosten versöhnt haben, die auf sie zukamen. Aufgrund der miteinander vielfach kommunizierenden Einzelaspekte ist Kasts Untersuchung nur ansatzweise chronologisch angelegt, stärker vergleicht er sachlogische und thematische Zusammenhänge. Dadurch erzielt er einen beträchtlichen Erkenntnisgewinn, der weit über den untersuchten Zeitabschnitt hinausgeht und Probleme päpstlicher Reisetätigkeit generell in den Blick nimmt. Insofern ist es ihm gelungen, eine Mustervorlage für weitere Untersuchungen zum päpstlichen Reisewesen zu verfassen. Allein, für den des spätmittelalterlichen Italienisch weniger Kundigen wäre eine stärkere Übersetzung italienischer Fachbegriffe ins Deutsche oder ein Glossar wünschenswert gewesen.
Kasts Untersuchung regt zum Nachdenken an, was nicht das geringste Lob ist, das man dieser Arbeit aussprechen kann: So stellt sich generell die Frage nach dem Zweck päpstlicher Reisetätigkeit (etwa zur Sichtbarmachung der eigenen Herrschaft im Kirchenstaat oder als eine Art Reiseherrschaft). Nicht zuletzt will man wissen, was sich die besuchten Städte davon versprachen. Oft bedeutete päpstlicher Besuch einen wirtschaftlichen Aufschwung, zunehmende Bautätigkeit, längerfristig vielleicht ein wachsendes Prestige der Stadt – aber auch steigende Preise, Probleme bei der Sicherung der Versorgung, eine Verschuldung der Städte bei individualisierten Gewinnen. Das gilt jedenfalls für die Städte, in denen der Papst sich länger aufhielt. Ob dies auch für kleinere Orte und kürzere Aufenthalte galt, wird von Kast zurecht in Frage gestellt.
Abgeschlossen wird der stattliche, quellengesättigte Band mit den Itineraren Martins V. und Nikolaus’ V. und entsprechendem Kartenmaterial zur Reiseroute. Dazu kommt ein Dokumentenanhang mit elf bislang unveröffentlichten Quellenstücken sowie verschiedenen Häuserlisten, die einen genauen Blick auf die Umstände vor Ort werfen lassen.
Ein ausführliches Quellen- und Literaturverzeichnis sowie ein dreiteiliges Personen-, Orts- und gut ausgewähltes Sachregister vervollständigen eine insgesamt gelungene Arbeit. Maßstäbe setzt sie mit ihrer breiten Quellennutzung sowie deren gründlicher Auswertung. Die Zahl inhaltlicher Verstöße ist minimal (42: Johannes’ XXIII. Absetzung erfolgte erst nach seiner Flucht), die der sprachlichen Fehler erfreulich gering. Allein die Abb. 5 (223) – laut Untertitelung zum Einkauf von Eiern durch den päpstlichen Hof – fehlt, stattdessen muss der Leser ein weiteres Mal mit der Grafik zum Fleisch- und Fischverbrauch von S. 221 vorliebnehmen. Quisquilien gewiss, die den Wert der Untersuchung auch nicht in Frage stellen können. Man darf dieser Arbeit prophezeien, dass sie nicht so schnell im wachsenden Berg wissenschaftlicher Publikationen untergehen wird.
Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:
Ansgar Frenken, Rezension von/compte rendu de: Christopher Kast, Der Papsthof auf Reisen. Die Reisen der römischen Kurie in den Pontifikaten von Martin V. bis Pius II. (1417–1464), Köln u. a. (Böhlau Verlag) 2023, 532 S. (Papsttum im mittelalterlichen Europa, 12), ISBN 978-3-412-52822-5, EUR 80,00., in: Francia-Recensio 2024/2, Mittelalter – Moyen Âge (500–1500), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2024.2.104926