Eleanor Janega widmet sich in ihrer Monographie dem weiblichen Geschlecht sowie der Sexualität aus der Perspektive mittelalterlicher Autorinnen und Autoren 1 und zieht dabei Kontinuitätslinien zum heutigen Frauenbild. Bereits in der Vergangenheit konnte die Historikerin ihren Forschungsschwerpunkt der frühmodernen Sexualität in unterschiedlichen Medienformaten öffentlichkeitswirksam vermitteln.2 Die im Englischen unter dem Titel The Once and Future Sex. Going Medieval on Women’s Roles in Society erschienene Studie befasst sich in drei Sinneinheiten mit der zeitgenössischen, meist klerikalen Sichtweise des weiblichen Geschlechts (17‑193), dem Verhältnis von Frauen und Arbeit (195–265) und der Tatsache, dass uns das mittelalterliche Frauenbild weiterhin stark prägt (267‑297). Nicht ersichtlich ist, ob die Bezeichnung »Mittelalter« eine rein zeitliche Eingrenzung darstellt oder diese als Metapher der »Rückständigkeit« dient. Insbesondere der erste Abschnitt des Werks verhärtet den Gedanken, dass das Mittelalter – wie so häufig – als Synonym für eine »dunkle Zeit« verwendet wird, obwohl die Historikerin in ihrer Einleitung davon Abstand nehmen möchte (10‑11).

Die Publikation richtet sich explizit an eine Leserschaft außerhalb des Fachbereichs, sodass auch grundlegende Spezifika wie der Gebrauch von Glossen (56) vermittelt werden. Dem Inhalt ist die mittelalterliche Antikenrezeption vorangestellt, um so auf den zeitgenössischen Wissensdiskurs im Allgemeinen und zu Frauen im Speziellen hinzuführen sowie Orte des Wissensaustausches vorzustellen. Die Autorin macht deutlich, dass Frauen kaum an diesen Debatten partizipierten, da der Zugang zu Stätten des Wissens wie Klöstern und Universitäten beschränkt oder gar nicht vorhanden war. Durch Rückgriffe auf den von Männern geführten Diskurs um die Frau und ihre Sexualität wird ein misogynes Weltbild evoziert, das an einigen Stellen erschreckende Parallelen zur heutigen Zeit aufweist. Wenn über die perfekte Form von Brüsten und die ideale birnenförmige Figur mit hervorstehendem Bauch referiert wird, will Janega mehr als nur das Schönheitsideal wiedergeben. Sie macht vielmehr darauf aufmerksam, welcher Druck auf den Frauen des Mittelalters lastete, um diesem Ideal gerecht zu werden: Sie sollten ohne Hang zur Selbstinszenierung mühelos schön sein. Dem entsprachen nur Frauen, die es sich leisten konnten, ausreichend ernährt, blass und gepflegt zu sein.

Beim anfänglichen Lesen des ersten Themenabschnitts können berechtigte Fragen zur fehlenden Quellenkritik aufkommen, denn die Autorin stützt ihre Analyse der Ansicht des weiblichen Körpers, der Sexualität der Frau und ihrer Wesensart auf vornehmlich klerikale Schriften. Sie ist sich dessen bewusst, jedoch müsste an einigen Stellen deutlicher hervorgehoben werden, dass die Überlieferung mittelalterlicher Zeugnisse nur von einer zeitgenössischen Kleinstgruppe abgedeckt wird und viele weitere Meinungen vorgeherrscht haben müssen, die uns aber nicht als Egodokumente vorliegen. So kann das in Klöstern sinnierte oder in Gemälden festgehaltene sog. mittelalterliche Schönheitsideal nicht für die gesamte westlateinische Bevölkerung stehen. Wünschenswert wäre außerdem gewesen, weiteren Akteurinnen Raum zu geben, die wie ihre männlichen Zeitgenossen Zugang zu Wissen hatten und dieses prägten (z. B. Hilda von Whitby, Hrotsvit von Gandersheim oder zahlreiche in Skriptorien tätige Frauen). Ausführlich wird die Kritik an der weiblichen Lust thematisiert und anhand von medizinischen und klerikalen Traktaten sowie den fabliaux, Chaucers Canterbury-Erzählungen und höfischen Romanen veranschaulicht. Genauso könnte an dieser Stelle auf ausgewählte Minnelyrik verwiesen werden, die ein positiveres Verständnis der weiblichen Sexualität vermittelt.

Im zweiten Themenschwerpunkt dekonstruiert Janega die noch heute vorherrschende Annahme, dass Frauen erst seit dem 20. Jahrhundert am Wirtschaftsleben partizipierten. Hierbei kann die Historikerin anhand verschiedener Beispiele im Bereich der bäuerlichen, städtischen sowie adligen Lebenswelt veranschaulichen, dass eine Arbeitsgemeinschaft für die Gesellschaft des Mittelalters essenziell war. Auch Care-Arbeit und genuine Frauenarbeit wie die Seidenspinnerei werden von Janega gewinnbringend eingebracht. Ferner wendet sich die Autorin der Sexarbeit, die wirtschaftlichen Aspekten oder Verschuldungen entsprang, zu. Hierbei hebt sie hervor, dass Frauen sich oftmals aus der jeweiligen Lebenssituation heraus temporär prostituierten, sodass die Grenzen zwischen einem »ehrbaren« Leben und der Prostitution fließend sein konnten. Spätestens jetzt wird ersichtlich, dass dem männlichen Blick auf das weibliche Geschlecht bewusst Raum im ersten Abschnitt des Werks gegeben wurde, um diese Sichtweise au final aufzulösen.

Aktualitätsbezogen fragt die Historikerin, inwieweit uns das mittelalterliche Frauenbild weiterhin prägt. So würden wir zwar heute auf das Mittelalter im Hinblick auf den Umgang mit Frauen herabschauen, doch die alten Ansichten und Erwartungen seien gleichgeblieben. Wie schon zuvor im Mittelalter gibt es weiterhin wissenschaftliche Abhandlungen, die das weibliche Gehirn dem des Mannes unterlegen sehen (272–277). 3 Die Werbeindustrie bediene sich immer noch der weiblichen Schönheit und setze unerreichbare Ideale: Wie ihre mittelalterliche Vorgängerin solle die moderne Frau Zeit und Geld in ihr äußeres Erscheinungsbild investieren, doch dabei bescheiden schön sein. Aktuelle Debatten um die Einführung eines Abtreibungsverbots oder die Notwendigkeit einer Alkoholreduzierung für Frauen im Hinblick auf ihre Fruchtbarkeit zeigen, dass im Fokus des allgemeinen Interesses die Frau nach wie vor auf ihre Gebärfähigkeit reduziert wird.

Das Werk Janegas stellt einen wichtigen und willkommenen Beitrag zum aktuellen Forschungsstand dar. Obschon die erste Hälfte der Studie die zeitgenössische männliche Sichtweise bewusst in den Vordergrund gerückt hat, wäre mehr Raum für eine weibliche Perspektive wünschenswert gewesen. Vereinzelt neigt die Autorin zu pauschalen Aussagen. Ferner wäre an einigen Stellen eine Reduktion von thematischen Abweichungen willkommen gewesen wie der Exkurs zur ländlichen Wissensvermittlung durch Klosterschulen und Predigten (54–60). Die genannten Kritikpunkte liegen jedoch in der Ausrichtung der Arbeit an eine breite Öffentlichkeit begründet. Obwohl die Historikerin mit den mittelalterlichen Vorurteilen aufräumt, wäre es gleichwohl wichtig, mehr positive Beispiele weiblicher Partizipation anzuführen, um das Mittelalter von seinem »rückständigen« Ruf zu befreien.

1 Mit Hildegard von Bingen und Christine de Pizan werden lediglich zwei zeitgenössische Autorinnen angeführt.
3 Simon Baron-Cohen, The Essential Difference. Men, Women, and the Extreme Male Brain, London 22012.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Olivia Mayer, Rezension von/compte rendu de: Eleanor Janega, Die ideale Frau. Wie uns mittelalterliche Vorstellungen von Weiblichkeit noch heute prägen, Berlin (Propyläen Verlag) 2023, 352 S., ISBN 978-3-549-10072-1, EUR 26,00., in: Francia-Recensio 2024/2, Mittelalter – Moyen Âge (500–1500), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2024.2.105086