Das Versprechen im Titel dieses Bandes, eine andere Geschichte Spaniens vorzulegen, trifft einen Nerv. Nicht nur, weil die These der Andersartigkeit Spaniens, die noch lange nach Franco von einer mehr national als international ausgerichteten Historiografie geprägt wurde, zunehmend diskutiert wird.1 Neben spanischen Besonderheiten treten dabei Gemeinsamkeiten im europäischen oder globalen Umfeld in den Vordergrund.2 Auch Birgit Aschmann und Klaus Herbers, die sich gemeinsam auf das »Abenteuer« (10) eingelassen haben, eine spanische Geschichte vom Mittelalter bis in das späte 20. Jahrhundert zu verfassen, möchten zeigen, dass sich neben spanischen Exotismen »zahlreiche Verbindungen in den europäischen Raum ergeben und […] auch chronologisch lange Verbindungslinien erkennbar werden, die sich bis in die konfliktreiche Gegenwart weiterverfolgen lassen« (9). Doch was macht ihre Geschichte Spaniens anders? Die beiden Spanienkenner – Aschmann, Professorin für Europäische Geschichte des 19. Jahrhunderts an der Freien Universität Berlin und Herbers, emeritierter Professor für Mittelalterliche Geschichte und Historische Hilfswissenschaften an der Friedrich-Alexander-Universität in Erlangen-Nürnberg – wählen einen biografischen Zugang. Achtzehn sogenannte »Schlüsselgestalten« dienen als »individuelle Sonden, mit deren Hilfe Gesellschaft, Politik und Kultur der Zeit ›aufgeschlüsselt‹, also verständlich gemacht werden« sollen (13). Die spanische Geschichte zu vermitteln und einem breiteren Publikum von »Studierenden, Lehrende(n) und allgemein an der spanischen Geschichte Interessierten« den »Reichtum der Geschichte Spaniens« (9) mit ihren Folgen bis in die Gegenwart näherzubringen, ist das erklärte Ziel der Autoren.

Um es vorwegzunehmen: Dieser Anspruch wird eingelöst. Herbers stellt neun Persönlichkeiten des Mittelalters vom 7. bis zum 14. Jahrhundert vor: Isidor von Sevilla (†636), Eulogius (†859), Al Mansur (†1002), Rodrigo Diaz de Vivar, der Cid (†1099), Urraca (†1126), Maimonides (†1204), Dominikus Guzmán (†1221), Alfons X. von Kastillien, der »Weise« (†1284) und Raimundus Lullus (†1316). Auch Aschmann porträtiert neun Persönlichkeiten, und zwar zwischen dem ausgehenden 15. und dem späten 20. Jahrhundert: Isabella I. (1451–1504), Philipp II. (1527–1582), Gaspar de Guzmán, Conde-Duque de Olivares (1587–1645), Francisco de Goya (1746–1828), Isabella II. (1830–1904), José Ortega y Gasset (1883–1955), Francisco Franco (1892–1975) und Dolores Ibárruri (1895–1989).

Jeder Figur wird bereits im Untertitel eine Aufgabe in dieser anderen Erzählung der spanischen Geschichte zugewiesen. Isidor von Sevilla erschließt beispielsweise die »Prägungen des Westgotenreiches«, Al-Mansur ist »ein Aufsteiger im neuen Kalifat von Córdoba«, Isabella I. wird hingegen als treibende Kraft im »Aufstieg Spaniens zur Weltmacht« charakterisiert und Dolores Ibárruri wird zur »wortmächtigste(n) Kommunistin Europas«. Vor allem die wechselvolle Verfasstheit des geografischen Raumes von Westgotenreich, über die Kalifen- und Taifenreiche, das Emirat Córdoba, die Zusammenschlüsse der Königreiche Kastilien und León, die schrittweise Machtverschiebung zwischen dem Süden Spaniens und dem Norden, schließlich die politischen Entwicklungen unter der Herrschaft Isabellas I. und Ferdinands von Aragón, mitsamt den Entdeckungen des Kolumbus und der Vertreibung der Juden und Muslime, die Separationsbewegungen in Katalonien und Portugal, der Unabhängigkeitskrieg der Niederlande, die Karlistenkriege, und schließlich der Bürgerkrieg des 20. Jahrhunderts: Herbers und Aschmanns Darstellung ist immer auch eine Geschichte des sich verändernden politischen Raums. Acht angehängte Karten ergänzen die Kapitel hervorragend.

Dabei setzen die beiden Autoren unterschiedliche Akzente, in denen sich auch ihre Forschungsinteressen spiegeln. Etwa, wenn sich Aschmann in ihrer Skizze Teresa von Ávilas auf Gender, Körper und Emotionen konzentriert oder Herbers in seiner Darstellung des Dominikus Gúzman (†1221) den päpstlichen Akteuren und dem vierten Laterankonzil von 1215 eine tragende Rolle zuschreibt. Während Herbers mit längeren Quellenpassagen arbeitet und seine Biogramme jeweils mit einem zusammenfassenden Punkt »Schlüsselgestalt« beschließt, folgt Aschmann eher einem biografischen Pfad, den sie immer wieder durch Ausführungen zum historischen Kontext unterbricht. Wem in der Folge nun die eigentliche Schlüsselfunktion zukommt, der Biografie der porträtierten historischen Figur, um die sie umgebenden Zeitläufte zu verstehen, oder den Zeitläuften, die Erklärungskraft für biografische Wendepunkte entfalten, wird bei den neuzeitlichen Beiträgen nicht immer ganz deutlich, was allerding nicht zuletzt den Protagonisten geschuldet ist. Der Blick durch die biografische Brille verengt die jungen Jahre Goyas mit einer gewissen Zwangläufigkeit zu dessen eigenem Horizont, der Fokus liegt auf Aufstiegschancen, dem familiären Umfeld – die Politisierung setzt erst später ein.

Trotz dieser Unterscheidungen beider Teile, welche in der Einleitung thematisiert werden (vgl. S. 13), ist in diesem Band eine klare Linie erkennbar, mit der politische Geschichte, Kulturgeschichte und Biografien verwoben werden. Das erklärt zum einen die Auswahl der porträtierten Persönlichkeiten, zum anderen die Kontextualisierung der Biografien. Unter den Porträtierten befinden sich nicht nur Herrscherinnen oder Politiker, sondern ebenso Philosophen, Dichter, Prediger und Künstler. Der Spagat zwischen longue durée und »Schlüsselgestalten« wird in der Einleitung noch verhalten als Ringen um einen Kompromiss gedeutet, denn »nicht nur Männer, sondern auch Frauen, nicht nur Könige und Staatslenker, sondern auch Repräsentanten des religiösen und geistigen Lebens und keinesfalls nur einzelne Regionen« sollten dargestellt werden. Beim Lesen ergibt sich dadurch aber der besondere Reiz des Bandes: Viel Wissen wird sehr abwechslungsreich und gut aufbereitet präsentiert.

Die kulturgeschichtliche Prägung der beiden Autoren zeigt sich auch im Zugriff auf das Quellenmaterial. Herbers kontrastiert überzeugend überlieferte Bildquellen seiner Protagonisten mit schriftlichen Quellen, die überwiegend farbig abgedruckten Illustrationen stützen seine Argumentation wesentlich (vgl. beispielhaft: »Urraca [†1126]« und »Dominikus Guzmán [†1221]«). Aschmanns Analyse der verschiedenen Schaffensphasen des Malers Francisco de Goya (1746–1828) gewinnt durch die sorgfältige historische wie biografische Verortung seiner ikonischen Bilder, wie etwa das berühmte Bild El tres de mayo von 1814. Goya, der Pragmatiker, habe die Bilder des Aufstands von 1808 gegen die Franzosen erst angeboten zu malen »als der Krieg entschieden und ein Beleg seiner patriotischen Haltung überaus opportun« (300) gewesen sei.3

Biografie und Zeit, beides entfaltet gleichermaßen Erklärungskraft. Trotz einiger größerer zeitlicher Lücken - beispielsweise werden weder der spanische Erbfolgekrieg noch die Ausrufung der ersten spanischen Republik verhandelt - ergeben die verschiedenen biografischen Puzzlestücke eine überraschend kohärente Geschichte des sich formierenden und verändernden Spaniens. Die bis heute bestehenden regionalen Ausprägungen erscheinen um mannigfache historische Dimensionen erweitert in einem neuen Licht. Das Beharren auf dem langen Darstellungszeitraum entpuppt sich als Glücksfall. Ob es mittelalterliche Ereignisse und Entwicklungen sind, die noch sichtbare architektonische Spuren hinterließen sowie Akteure und Diskurse in den folgenden Jahrhunderten bis in die Gegenwart beeinflussten oder die möglicherweise bekanntere Epoche des spanischen Weltreichs: History matters. Bei aller Zugewandtheit an ein zu gewinnendes Publikum für die spanische Geschichte, ist als besondere Stärke des Bandes deshalb die Differenziertheit hervorzuheben, mit der über historische Figuren und ihre späteren Vereinnahmungen (vgl. »El-Cid«, »Alfons X.«, »Maimonides« »Teresa von Ávila«, »Dolores Ibárruri«) reflektiert wird. Historische Abläufe sind komplex, aber man kann sie durchaus gut erklären.

Kleine Abstriche gibt es bei der Literatur. Fußnoten und weiterführende Literaturverweise beschließen jeweils die einzelnen Kapitel. Wie die Autoren in der Einleitung bemerken, sei der unterschiedliche Umfang der Fußnotenapparate einer langen Entstehungsphase und dem Bemühen um ein breites Publikum geschuldet (14), doch wäre eine konsequente Aktualisierung insbesondere der weiterführenden Literatur, die zumeist deutlich vor 2020 aufhört, vielleicht sogar unter besonderer Berücksichtigung der spanisch- und französischsprachigen Literatur, wünschenswert. Auch eine deutschsprachige Leserschaft wird, wenn man ihren Appetit so gekonnt anregt, wie Herbers und Aschmann es zweifellos tun, möglicherweise ihre Hemmschwellen vergessen und auch fremdsprachige Literatur und Quellen zur Vertiefung lesen wollen. Diese kleine Anregung sei den beiden Forschenden auf den Weg gegeben, sollte sich, wie in der Einleitung zaghaft angedeutet (13), zu diesem schönen Band noch ein Folgeband gesellen.

1 Nigel Townson (Hg.), Is Spain Different? A Comparative Look at the 19th and 20th Centuries, Liverpool 2023; Andrew Dowling (Hg.), The Routledge Handbook of Spanish History, New York 2024.
2 Beispielhaft ließe sich das wohl für alle Epochen der spanischen Geschichte skizzieren, für die Frühe Neuzeit vgl. die vehementen Anfänge bei John H. Elliott, Spain, Europe and the Wider World und Pedro Cardim et al. (Hg.) Polycentric Monarchies. How did Early Modern Spain and Portugal Achieve and Maintain a Global Hegemony? Sussex 2014; Regina Grafe, Distant Tyranny. Markets, Power and Backwardness in Spain, 1650–1800, Princeton 2012.
3 Vgl. hierzu die vielbeachtete Biografie Aschmanns zu Goya: Birgit Aschmann, Der Traum der Vernunft und seine Monster. Goyas Perspektiven auf das 19. Jahrhundert, Berlin 2013.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Elisabeth Natour, Rezension von/compte rendu de: Birgit Aschmann, Klaus Herbers, Eine andere Geschichte Spaniens. Schlüsselgestalten vom Mittelalter bis ins 20. Jahrhundert, Köln, Weimar, Wien (Böhlau) 2022, 416 S., 55 teils farb. Abb., ISBN 978-3-412-52557-6, EUR 45,00., in: Francia-Recensio 2024/2, Frühe Neuzeit – Revolution – Empire (1500–1815), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2024.2.105189