Vorliegender Historischer Städteatlas Niederlande ist die dritte Publikation in der begonnenen Reihe Historische Atlas NL, deren Ziel darin besteht, verschiedene Aspekte niederländischer Geschichte einem breiteren Lesepublikum anhand historischer Karten zu erzählen. Das Buchformat entspricht mit 25x31 cm auch dem gängigen Atlasformat. Die beiden Autoren, der Direktor der Öffentlichen Bibliothek Amsterdam, Martin Berendse, und der ehemalige Reichsarchivar Drenthes bzw. Groningens, Paul Brood, beschäftigen sich diesmal mit der Genese der niederländischen Städtelandschaft – einer der urbanisiertesten Räume der Welt – und in diesem Zusammenhang mit den Fragen, warum es dort z. B. keine mit London oder Paris vergleichbare Metropole gibt oder warum die niederländische Regierung ihren Sitz, wie in anderen Ländern üblich, nicht in der Landeshauptstadt, hier Amsterdam, sondern in Den Haag hat? Antworten bietet laut Berendse und Brood die spezielle Entwicklungsgeschichte dieses Raumes, wobei der Blick zurecht, aber leider viel zu selten, auch über die niederländischen Staatsgrenzen hinausgeht. Im Mittelalter beginnend, wird diese dabei anhand von insgesamt fünf Kapiteln chronologisch abgearbeitet.

Das erste Kapitel beschäftigt sich mit der Stadtentwicklung bis 1500. Es deckt damit ein halbes Jahrtausend ab, was sich jedoch in der Seitenzahl nicht niederschlägt. Das Zweite blickt dann auf die sogenannte Blütephase der Städte (1500–1700). Den dritten Abschnitt überschreiben die Autoren mit »Stagnation und Zurückfall« (1700–1850). Daran schließt das vierte Kapitel an, das eine neue Betriebsamkeit der Städte fokussiert (1850–1945). Der letzte Abschnitt blickt auf die moderne Stadt, indem er die Entwicklung nach 1945 in den Blick nimmt. Einige Tabellen am Ende der Publikation (Jahresangaben zur Verleihung des Stadtrechts, Einwohnerzahlen etc.), ein Auswahlverzeichnis verwendeter Literatur sowie ein Register runden die insgesamt gelungene Publikation ab.

Die einzelnen Kapitel, die auch durch eine unterschiedliche Farbgebung der Seiten optisch übersichtlich voneinander getrennt werden, folgen dabei stets dem gleichen Aufbau, was dem gesamten Atlas eine wohlgeordnete Struktur verleiht: Pro Abschnitt werden jeweils 15 Themen in Form einer reichbebilderten Doppelseite behandelt. Jedem Thema wird dabei ein Miniabstract vorangestellt, dem ein kurzer Informationstext mit unmittelbarem Bezug zu den präsentierten Abbildungen folgt. Im ersten Kapitel werden so etwa römische Städte, fränkische Handelszentren, verschwundene Städte (z. B. Reimerswaal), Fluss-, Hanse- (u. a. Groningen, Kampen, Zwolle) und Bischofsstädte (z. B. Deventer, Zwolle) oder zentrale städtische Einrichtungen wie etwa Marktplatz, Rathaus oder Pranger behandelt.

Die 15 thematischen Abhandlungen des zweiten Abschnitts zur »Blütephase« gehen z. B. auf das städtische Gewerbe, die Rolle der Städte während des sogenannten »Achtzigjährigen Kriegs«, auf Flüchtlings- (z. B. Emden, Middelburg, Amsterdam) und Universitätsstädte (Leiden war die erste Universität der Republik), Städte der Vereinigten Ostindien-Kompanie, zeeländische Stadtgründungen in der Welt (durch die Westindien-Kompanie) oder verlorene Städte (z. B. Turnhout, Oostende – beide heute belgisch, Geldern – heute deutsch) ein.

Im Kontext von »Stagnation und Zurückfall« (= Kap. 3) spielen wiederum die sogenannten »Barrierestädte« gegen die Franzosen sowie Themen wie Kirche und Staat, Rathäuser als Palastbauten, kleine Flussstädte, Münzen oder die bürgerliche Kultur eine Rolle. Kapitel vier unter der Überschrift »Die geschäftige Stadt« schlägt dann den Bogen zur Neuzeit. Die Themenseiten gehen hier auf neue Industriestädte, das Demontieren der Festungen, die Rolle der Stadtparks, Eingemeindungen, und auf die Entwicklung von Geschäften oder die städtischen Energiewerke (Gas, Strom) ein. Der letzte Abschnitt gibt zugleich einen Einblick bezüglich der heutigen Situation: Mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs begonnen, steht naturgemäß zunächst der Wiederaufbau zwischen Wiederherstellungs- und Erneuerungsbestrebungen im Fokus. Weitere Themen beschäftigen sich dann mit Wohnungsnot, Modernisierung und Hochbau, Randstädten, sogenannten Stadtregionen, ‑provinzen oder -teilen, Raumbeschaffungsmaßnahmen für das Auto und der »Superdivisität« im Kontext der großen Städte. An jedes dieser fünf Kapitel schließen kurze Stadtportraits ausgewählter Städte auf mehreren Doppelseiten an. Zu jeder präsentierten Stadt wird dazu ein alter Stadtgrundriss gezeigt – je nach Kapitel erfolgt die Anordnung alphabetisch oder nach Provinzen. Zentrale Stadtmerkmale fasst eine kursive Kurzüberschrift unmittelbar unter dem Stadtnamen zusammen.

Für das anvisierte niederländischsprachige Lesepublikum liegt ein ansprechender, in leicht verständlicher Sprache abgefasster Atlas vor, der vor allem durch seine tollen, gut lesbaren und wohl beschrifteten Abbildungen und Grafiken besticht. Die Autoren vertreten, wie aus Buchtitel und Einleitung sichtbar wird, dabei zutreffend die These, dass die 1648 geborene »Republik der Sieben Vereinigten Niederlande« besser den Namen »Republik der 56 Vereinigten Städte« verdient hätte. Denn bis 1795 gab es ihrer Meinung nach nicht »die« Niederlande, sondern stattdessen viele kleine Niederlande bzw. viele kleine Landschaften (5). Aus geschichtswissenschaftlicher Sicht weist ihre Darstellung in großen Teilen eine Mischung der üblichen, mit den Niederlanden verknüpften Meistererzählungen (Wasserrhetorik, Bedeutung des »gesunden« Handels etc.) auf. Dies wird beispielweise auch im Kontext des Abschnittes »Kirche und Staat« deutlich, wenn von den ehedem »toleranten Niederlanden« die Rede ist. Eine Relativierung erfolgt allenfalls indirekt, wenn es heißt: »In het belang van handel en nijverheid is scherpslijperij niet praktisch« (Im Kontext von Handel und Wirtschaft ist das Herausstellen von Gegensätzen sehr unpraktisch) (13). Insbesondere auch die Aussagen zur Republikgründung (»Achtzigjähriger Krieg«) verweisen auf die üblichen Erzähltopoi, wenn die Autoren etwa schreiben, dass die Republik der Niederlande aus der »ökonomischen Kraft und dem Freiheitsdrang der Städte heraus gegründet wurde« (S. 6; in Bezug auf die Angabe 1572 [S. 10] als Jahr der Lossagung der sieben, heute niederländischen Provinzen von der spanischen Krone scheint außerdem ein Fehler unterlaufen zu sein). Dabei zeigen gerade die dargestellten städtischen Revolten gegen die spanische Krone (der Leo Belgicus als die prominente vormoderne Stadtlandschaftskarte fehlt übrigens), dass eine rein nationale Betrachtung der Städtelandschaft der Genese dieses Raumes nicht wirklich gerecht wird, denn ohne etwa die heute belgischen Städte kann die Entwicklung der »vielen kleinen Niederlande« nicht verstanden werden. Entsprechend sollte diese, mit Blick auf das Zielpublikum, insgesamt gelungene Publikation dazu ermutigen, ähnliche Projekte zukünftig über die nationalen Grenzen hinweg zu denken.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Lina Schröder, Rezension von/compte rendu de: Martin Berendse, Paul Brood, Historische Stadsatlas NL. Nederland stedenland, Zwolle (WBOOKS) 2021, 224 p., ISBN 978-94-6258-442-6, EUR 39,95., in: Francia-Recensio 2024/2, Frühe Neuzeit – Revolution – Empire (1500–1815), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2024.2.105191