Es die Geschichte einer außergewöhnlichen jungen Frau, derer sich Angela Taeger in ihrem Buch annimmt: die Geschichte der 20-jährigen Catharina Ufftincx aus Lübeck, die sich im Winter 1661/62 – vermutlich in Begleitung ihres ersten Ehemannes – auf den Weg nach Amsterdam macht, um bald darauf in Wierenden ein Schiff der Vereinigten Ostindien-Kompanie (VOC) in Richtung Batavia zu besteigen. Am 26. Juli 1662 geht Catharina, als Witwe und nach kräftezehrenden Monaten auf See, am Kap der Guten Hoffnung an Land. Die niederländische Versorgungsstation am südlichen Ende Afrikas, die in dieser Zeit aus einer kleinen Siedlung mit wenigen hundert Einwohnern besteht, ist das unfreiwillige Ende ihrer Reise und der Beginn eines wechselvollen Lebens. Über dessen wichtigste Stationen erteilen die von der Kolonialverwaltung geführten Kirchenbücher, Verwaltungs- und Gerichtsakten Auskunft: Bereits sechs Wochen nach ihrer Ankunft heiratet Catharina, eine der wenigen ledigen Frauen am Kap, erneut. Es ist die zweite von insgesamt fünf Ehen, in denen Catharina insgesamt sieben Kinder zur Welt bringt und abwechselnd Armut und bescheidenen Wohlstand erlebt. Als der niederländische Kommissar Hendrik Adrian van Rheede 1685 auf Besichtigungstour am Kap ist, beschreibt er »Tryn Ras« (so der Name, den Catharina seit ihrer zweiten Ehe führt) als selbstbewusste Besitzerin eines weit abgelegenen Weingutes, »in einem Haus voller Kinder, verheiratet mit ihrem Knecht« (141). Catharina stirbt 1708 im für die damalige Zeit hohen Alter von 67 Jahren und hinterlässt ihren Kindern und Eltern, wie man einem (im Buch abgedruckten) Erbinventar entnehmen kann, nicht weniger als zwei funktionierende Farmen zusammen mit einem umfangreichen Viehbestand, zwölf Sklaven und allerhand Hausrat.
Mit beeindruckender Akribie hat Angela Taeger nicht nur die verstreuten Zeugnisse vom Leben Catharina Ufftincx, sondern zugleich auch das zahlreicher anderer Kapbewohnerinnen und ‑bewohner zusammengetragen und zu einem lebendigen Bild des frühen Lebens in der Kapkolonie verdichtet. Allerdings handelt es sich dabei weder um eine klassische Biografie noch um eine genuin geschichtswissenschaftliche Studie. Das knappe Buch, das Taeger einleitend in die Tradition der neueren Kulturgeschichte in der Ausprägung von Carlo Ginzburg, Emmanuel Le Roy Ladurie und Natalie Zemon Davis stellt, ist, wie das kurze Vorwort erläutert, eine »historische Erzählung«, die zwar auf der vorhandenen Überlieferung basiert, diese aber narrativ lebendig werden lässt und daher mit wenigen Ausnahmen bewusst auf Fußnoten und »Verlegenheitsanführungszeichen« (8) verzichtet. Das Ergebnis ist ein bisweilen drehbuchartig anmutender Text, der seine Leserinnen und Leser in Erzählungen, indirekten Dialogen und Alltagsszenen bis ins Wohnzimmer der Familie mitnimmt und eine Fülle an Details über die karge Lebenswirklichkeit am Kap unter der strengen Aufsicht der VOC und die wechselnden Beziehungen und Auseinandersetzungen mit der indigenen Bevölkerung präsentiert. Eine derartige »historisch plausible Konstruktion« (7) ist ein reizvolles Experiment, mag aber weder inhaltlich noch konzeptuell recht zu überzeugen. Denn hier führt keine fragende Wissenschaftlerin als erzählende Instanz durch den Text (wie das etwa bei der eingangs zitierten N. Z. Davis der Fall ist), sondern eine vermeintlich allwissende Erzählerin, die das weitgehend spekulative Geschehen als faktuales Wissen präsentiert und freimütig über Beziehungen und Charaktere urteilt oder Handlungsmotive unterstellt. So wird das Leben Catharinas als das einer »Selfmade-Frau« (137) und »kämpferischen Pionierin in einem von Gewalt und Faustrecht beherrschten, von Betrügern, Hasardeuren, ewig Gestrigen, gescheiterten Taugenichtsen und Tagedieben bevölkerten Niemandsland« (143) geschildert, während die insgesamt fünf Ehemänner entweder als kleinmütig und verzagt, als phlegmatisch, großspurig oder herrschsüchtig beschrieben werden – oder, wie der dritte Ehemann, schlicht als »kläglicher Lump aus Gent in Flandern« (98) erscheinen, für den sich Catharina pragmatisch als »zupackende, billige Arbeitskraft« (99) entschieden habe. Auch die meisten anderen männlichen Akteure kommen im Buch schlecht weg. Dass Simon van der Stel, der erste Kommandeur der Kapkolonie, 1679 ohne seine Frau ans Kap reiste, wird kurzerhand damit erklärt, dass ihn mit dieser »offenbar über sechs gemeinsame Kinder und ihr beträchtliches Vermögen hinaus nichts verband« (130). Catharina hingegen sei eigentlich der festen Überzeugung gewesen, »Frauen hätten ohne Männer mehr vom Leben« (103). Catharina auf diese Weise zum Paradebeispiel einer »Emanzipation im 17. Jahrhundert« zu stilisieren, wie bereits der Titel suggeriert (später im Text spricht Taeger etwas vorsichtiger von »Selbstermächtigung« [154]), erscheint doch allzu forciert. Störend ist die vermeintliche Eindeutigkeit der Ereignisse auch dort, wo zwar in Fußnoten gelegentlich auf Gerichtsakten und andere Originaldokumente verwiesen wird, deren Inhalte aber unreflektiert in einen fiktiven Dialog zwischen zwei Personen überführt werden. Wirkliches und Wahrscheinliches, Wissen und Spekulation verschwimmen hier zu einer undurchsichtigen Einheit. Überzeugender wäre es gewesen, wenn die Autorin ihre Leserinnen und Leser an ihrem Erkenntnisprozess hätte teilhaben lassen und die verschiedenen Möglichkeiten der Interpretation als solche kenntlich gemacht hätte.
So bleibt es den Lesenden überlassen, das dargestellte Geschehen kritisch einzuordnen. Hierfür geben die in den Fußnoten nachgewiesenen Originalquellen sowie die knapp zweiseitige Bibliografie immerhin einige Anhaltspunkte. Allerdings weisen beide etliche Fehler und Unvollständigkeiten auf, was den Eindruck mangelnder Sorgfalt erweckt und die Nachprüfbarkeit teils erheblich erschwert: mehrere Angaben (Anm. 20, 28, 29, 38, 43, 45, 46) fehlen in der Bibliografie oder sind unvollständig; die Links auf genealogische Portale in Anm. 17 und 23 funktionieren nicht; für das Zitat auf S. 121 wird als Quelle lediglich auf ein Internetportal verwiesen, auf dem man ebenfalls vergeblich nach einem Originalbeleg sucht. Unverständlich ist auch, weshalb für das im Anhang im niederländischen Original abgedruckte Erbinventar nirgendwo ein Quellennachweis angegeben wird.
Die Rezensentin bleibt daher etwas ratlos nach der Lektüre zurück. Für die Forschung bietet das Buch aus den genannten Gründen wahrscheinlich nur wenige neue Anhaltspunkte. Wer allerdings weniger misstrauisch nach Beglaubigungskriterien sucht und die Geschichte im Sinne der Autorin als »historische Erzählung« liest, wird in dieser kurzweiligen Darstellung des Lebens in der frühen Kapkolonie sicher viel Neues erfahren. Zweifellos kommt Angela Taeger mit diesem Buch das Verdienst zu, ein bisher im deutschen Sprachraum wenig beachtetes Kapitel der frühneuzeitlichen Kolonialgeschichte sowie das Leben einer außergewöhnlichen Frau des 17. Jahrhunderts in den Fokus gerückt zu haben.
Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:
Eva Seemann, Rezension von/compte rendu de: Angela Taeger, Emanzipation im 17. Jahrhundert. Catharinas Weg ans Kap der Guten Hoffnung, Stuttgart (Kohlhammer) 2022, 162 S., ISBN 978-3-17-040958-3, EUR 25,00., in: Francia-Recensio 2024/2, Frühe Neuzeit – Revolution – Empire (1500–1815), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2024.2.105208