Die Republik Österreich als einer der »Nachfolgestaaten« der Habsburgermonarchie und territorialer Kern des späteren Vielvölkerreichs verwahrt zwar auch heute noch in den Wiener Archiven und Sammlungen das zentrale Quellenmaterial, ein Monopol auf die Geschichtsschreibung zur Donaumonarchie kann die österreichische Geschichtswissenschaft aber schon lange nicht mehr beanspruchen. Zu gewaltig sind das Erbe und seine Herausforderungen für die sich vor allem in die eigene Zeitgeschichte verbeißende Historikerzunft eines Kleinstaats.

Umso willkommener und wichtiger ist »Entwicklungshilfe« von außen. Mit der Diaspora des Geistes nach 1938 fassten in den USA und Großbritannien die Habsburg oder Austrian Studies Fuß. Mittlerweile beherrschen anglo-amerikanische Historiker den Diskurs über die Habsburgermonarchie in hohem Ausmaß. Auch in Frankreich etablierte sich mit Victor-Lucien Tapié (1900–1974), Jean Bérenger und Jean-Paul Bled eine Forschungstradition, die einen sehr anerkennenswerten Beitrag zur Erforschung der Habsburgermonarchie geleistet hat und von einer Schülergeneration (Olivier Chaline, Christine Lebeau, Catherine Horel) fortgeführt wird. Nach 1989 konnten sich endlich auch wieder Kollegen und Kolleginnen aus den östlichen »Nachfolgestaaten« vollumfänglich und ohne die in kommunistischer Zeit verordneten Scheuklappen in die Forschung einschalten. In der Bilanz spielen österreichische Historiker und Historikerinnen heute also oft nur mehr eine Nebenrolle bei der Aufarbeitung der Geschichte der Donaumonarchie und vollends, was deren Popularisierung für ein breiteres Lesepublikum betrifft, für die deutschsprachige Fachhistoriker und -historikerinnen anders als ihre britischen und französischen Fachgenossen bekanntlich meist recht wenig Talent besitzen.

An Schreibhemmungen leidet auch Jean-Paul Bled, Herausgeber der Revue d’Allemagne und der Études Danubiennes, bis 2010 Professor an der Université Paris-Sorbonne, gewiss nicht. Aus seiner Feder stammt unter anderem eine lange Reihe populärer Biografien zu habsburgischen Herrscherpersönlichkeiten (Franz Joseph 1987, Kronprinz Rudolf 1989, Maria Theresia 2001, Franz Ferdinand 2012), der sich mittlerweile eine fast noch mächtigere Serie von Arbeiten über Protagonisten der preußisch-deutschen Geschichte zugesellt hat (Friedrich II. 2004, Bismarck 2005, Königin Louise 2008, Hindenburg 2020). Sogar zu Marlene Dietrich hat Bled publiziert (2019). Er verlässt aber durchaus auch das biografische Genre. So legte Jean-Paul Bled 2014, pünktlich zur 100. Wiederkehr des Ausbruchs des Ersten Weltkriegs, eine umfangreiche Arbeit über die letzten Jahre der Habsburgermonarchie (1914–1920) vor.

Nun hat er bei Perrin eine populäre Darstellung zu bedeutenden Ministern der Habsburgermonarchie herausgebracht: Prinz Eugen von Savoyen (1663–1736), Hofkriegsratspräsident und Vorsitzender der Geheimen Konferenz, Wenzel Anton Graf, dann Fürst von Kaunitz-Rietberg (1711–1794), Staatskanzler, Klemens Lothar Graf, dann Fürst Metternich (1773–1859), Außenminister bzw. Staatskanzler, Prinz Felix zu Schwarzenberg (1800–1852), Ministerpräsident, Alexander Freiherr von Bach (1813–1893), Innenminister, Friedrich Ferdinand Graf Beust (1809–1886), Außenminister und Reichskanzler, Eduard Graf Taaffe (1833–1895), österreichischer (k. k.) Ministerpräsident, Max Wladimir Freiherr von Beck (1854–1943), österreichischer Ministerpräsident, István Graf Tisza (1861–1918), ungarischer Ministerpräsident.

Leider erfährt man nur wenig über die ausgewählten Persönlichkeiten selbst; die Männer bleiben flach und umrisshaft. Wirklich ansprechende biografische Miniaturen bietet der Autor nicht, denn im Wesentlichen handelt es sich bei Les grand ministres des Habsbourg lediglich um eine kurzgefasste politische Geschichte der Habsburgermonarchie im Prisma der Ministerlaufbahnen. Lebensdaten fehlen bisweilen, Familienleben, Vermögensverhältnisse, Klientelsysteme, Charakter etc. werden wenig oder gar nicht beleuchtet. Insofern ist es vielsagend, dass die beigegebenen Porträtdarstellungen der neun behandelten Minister auf die Umschlaginnenseiten verbannt wurden und erst durch Aufbiegen der Flappen sichtbar werden. Die knappen bibliografischen Notizen im Anhang entsprechen nicht immer dem Forschungsstand (bei Metternich etwa fehlt die monumentale Arbeit von Wolfram Siemann), die wenigen eingestreuten Fußnoten weisen wörtliche Quellenzitate nach. In einem Lesebuch für Nicht-Fachleute wirken sie wie Leuchttürme des schlechten Gewissens.

Man muss nicht die Kopfschwere deutschsprachiger Problematisierungslust haben, um sich statt einer allgemeinhistorischen Einführung auch im vorliegenden Fall eine kurze strukturgeschichtliche Annäherung an das Thema zu wünschen. Welche Funktion begründete eine »Premierministerschaft«, ehe es das Amt tatsächlich gab, und warum? Vielleicht hätten z. B. Michael Kaiser und Andreas Pečar mit ihrem Band Der zweite Mann im Staat (2003) Anregungen geben können. Mit welchen konkurrierenden Kräften hatten die von Bled behandelten Minister etwa in Gestalt von Hofwürdenträgern, anderen Mitgliedern der kaiserlichen Familie, Beichtvätern usw. zu kämpfen? Auch das Fehlen politisch einflussreicher Mätressen hätte einen französischen Historiker zu interessanten Vergleichen mit dem Hof von Versailles verführen sollen. Ob die Komplexitäten der Habsburgermonarchie, vor allem nach der Schaffung eines österreichisch-ungarischen Doppelstaates 1867 (warum gab es gleichzeitig einen österreichischen und einen ungarischen Ministerpräsidenten?), von dem grand public, an den sich Bleds Buch wendet, im gefälligen Erzählstil wirklich erfolgreich enträtselt werden können, erscheint dem Rezensenten fraglich. Karten und Diagramme vermisst man schmerzlich.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Michael Hochedlinger, Rezension von/compte rendu de: Jean-Paul Bled, Les grands ministres des Habsbourg. Du XVIIe siècle à la chute de l’empire, Paris (Perrin) 2023, 368 p., ISBN 978-2-262-09727-1, EUR 24,00., in: Francia-Recensio 2024/2, Frühe Neuzeit – Revolution – Empire (1500–1815), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2024.2.105392