Ob Buchdruck, Zeitung, Fernsehen oder Internet – Phasen des Medienwandels werden in der Neuzeit typischerweise von intensiven reflexiven Auseinandersetzungen begleitet. Dabei werden interessanterweise die jeweils neuen Medien immer wieder ganz ähnlichen Vorwürfen ausgesetzt. Dann allerdings steigen sie scheinbar mühelos in die Ränge der Etablierten auf, während sich die Medienkritik auf den nächsten Neuankömmling stürzt.1 Diese Beobachtung an sich ist unter Medienhistorikerinnen und -historikern unumstritten, oft wird sie allerdings wie eine Kuriosität lediglich konstatiert. Der hier zu besprechende medien- und literaturhistorische Sammelband dagegen unternimmt einen neuen Versuch, die Untersuchung medienkritischer Diskurse für weiterführende Fragen anschlussfähig zu machen.

Der originelle, in der Einleitung von Susanne Düwell und Nicolas Pethes konzise formulierte Ausgangspunkt von Medienkritik und Wirkungsästhetik liegt in der Beobachtung, dass genau denjenigen neuen kommunikativen Phänomenen und Artefakten, die medienkritisch besonders stark angegriffen wurden, auch besondere ästhetische Wirkungen zugeschrieben wurden – und zwar nicht trotz, sondern gerade wegen ihrer medialen Beschaffenheit. Von dieser Beobachtung ausgehend untersucht der Band ambivalente Diskurse über mediale Reize zwischen dem 18. Jahrhundert und der Gegenwart.

Die Anlage des Arguments schöpft dabei stark aus einer Auseinandersetzung mit der Zeit um 1800, die bereits unter dem Stichwort der »Lesesucht« beforscht wurde.2 Gegenüber dieser Forschung rücken die Beiträge aber das Affektive der Medien in seiner ganz grundsätzlichen Ambivalenz ins Zentrum. Angenommene schädliche und angenommene ästhetische Wirkungen von Medien lagen oft erstaunlich nahe beieinander. Thomas Hahn etwa weist darauf hin, dass der Diskurs über die Gefahr der Ansteckung durch Literatur dem Motiv der stimulierenden Ideenzirkulation recht nahe kommen konnte; von Johannes F. Lehmann lernen wir, wie in Theaterdebatten der Wunsch nach moralischer Erziehung kaum zu trennen war von den Leidenschaften, die das Theater im Kern auszumachen schienen; Susanne Düwell unterstreicht unter anderem, dass auch in der Lesedebatte affektive Intensität zugleich schädlich und pädagogisch wertvoll sein konnte; Nicolas Pethes arbeitet heraus, dass Bibliomanie nur sehr oberflächlich eine pathologische Diagnose war; und zu ähnlichen Befunden kommen auch die weiteren Beiträge zu Theater, Schrift, und Roman …

Wenn es vor allem in der zweiten Hälfte des Bandes um Diskurse über Medienrezeption im 20. und 21. Jahrhundert geht, dann oft in einer Optik der Wiederkehr der Zeit um 1800. Eine Reihe von Beiträgen thematisieren sogar beide chronologischen Ebenen – Aufklärungszeit und Zeitgeschichte. Martin Andree macht in seinem Beitrag die Ähnlichkeit zwischen der Lesesuchtdebatte des 18. Jahrhunderts und gegenwärtigen Sorgen über digitale Medien besonders stark, etwa in der Präsenz von medizinischen Beschreibungen der jeweiligen schädlichen Auswirkungen auf den Körper. Unterschiede zwischen beiden Zeitebenen, das bleibt aus der Lektüre des zweiten Teils zurück, scheinen etwa in der stärkeren Verwissenschaftlichung von medienkritischen wie ästhetischen Debatten und der damit einhergehenden neuen Rolle von Expertinnen und Experten in der Zeitgeschichte zu liegen. Auch die Diskussion um die Ästhetik und das Gefährdungspotential von Gewaltdarstellungen erhielt eine nochmals stärkere Dringlichkeit – im Film, dem drei Beiträge gewidmet sind, in Comics, oder jüngst in Computerspielen.

Jenseits dieser groben Linien kann hier leider nicht vertiefend auf die Einsichten der einzelnen Beiträge eingegangen werden. Dem fachfremden Rezensenten aus der Geschichtswissenschaft stellen sich nach der Lektüre Fragen auf zwei Ebenen. Zunächst bleibt die Auseinandersetzung mit der »sozialen Frage« vergangener Mediendiskurse überraschend indirekt. Die Beiträge buchstabieren nicht immer aus, wer jeweils das gedachte Publikum neuer Medien war. Was ist letztlich von der These zu halten, nach der die gebildeten Eliten seit der Aufklärung für sich selbst die Mündigkeit zu einer ästhetischen Rezeption reklamierten, während sie gleichzeitig die Rezeptionskompetenzen der »noch nicht« Aufgeklärten medienkritisch abqualifizierten? Der Band gibt hier keine klare Antwort. Dabei hätten in der Einleitung angerissene Kategorien wie »Aufklärung« oder »Popularität« Potential gehabt, diesbezügliche Überlegungen an manchen Stellen noch klarer zu konturieren.

Auch die Objekte medienreflexiver Diskurse, die Medien selbst, bleiben erstaunlich vage. Tritt man einen Schritt zurück, so fällt auf, dass die in den Beiträgen behandelten medienkritischen und wirkungsästhetischen Diskurse ziemlich disparate Gegenstände zu haben scheinen. Zuweilen haben wir es wirklich mit neuen Medien oder zumindest Neufassungen älterer Formen zu tun. Vor allem die medienkritischen und wirkungsästhetischen Diskurse des 18. Jahrhunderts aber richteten sich eher auf ein breiteres Szenario der Dynamisierung von Medienökonomien und Konsumpraktiken, für das dann (womöglich) einzelne Medien auch symbolisch einstanden. Aus der Beobachtung, dass medienkritische und wirkungsästhetische Diskurse »neue Medien« nicht einfach vorfanden, könnte sich eine Frage ergeben. Nahmen normative Deutungen vielleicht selbst Anteil an medienhistorischen Wandlungsprozessen, statt lediglich auf sie zu reagieren? Welche Folgen haben Medienkritik und Wirkungsästhetik überhaupt und welchen Unterschied macht es, in welche Richtung das Pendel ausschlägt?

Trotz dieser Nachfragen des Historikers ist Medienkritik und Wirkungsästhetik eine anregende Lektüre, weil die Beiträge das ambivalente Affektive der Medien auf originelle Weise zum Thema machen. Die Herausgeberin und der Herausgeber unterstreichen nachdrücklich, dass die Forschung zu Medienkritik dann besonders anschlussfähig ist, wenn sie ihren Gegenstand in breiteren medienreflexiven Debatten verortet und ihn dadurch gleichsam aus seiner scheinbaren Randständigkeit erlöst.

1 Siehe etwa Leander Scholz, Hedwig Pompe, Albert Kümmel und Eckhard Schumacher, Rhetorik des Neuen: Mediendiskurse zwischen Buchdruck, Zeitung, Film, Radio, Hypertext und Internet, in: Jürgen Fohrmann und Erhard Schüttelpelz (Hg.), Die Kommunikation der Medien, Tübingen 2004, 177–274.
2 Klassisch etwa: Helmut Kreuzer, Gefährliche Lesesucht: Bemerkungen zu politischer Lektürekritik im ausgehenden 18. Jahrhundert, in: Rainer Gruenter (Hg.), Leser und Lesen im 18. Jahrhundert, Heidelberg 1977, 62–75.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Christoph Streb, Rezension von/compte rendu de: Susanne Düwell, Nicolas Pethes (Hg.), Medienkritik und Wirkungsästhetik. Diskurse über Rezeptionseffekte (1750 bis heute), Berlin (Kadmos) 2023, 312 S., 23 Abb. (Kaleidogramme, 200), ISBN 978-3-86599-525-4, EUR 29,80., in: Francia-Recensio 2024/2, 19.–21. Jahrhundert – Histoire contemporaine, DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2024.2.105395