Vorliegender Band ist Teil des in sechs Bänden konzipierten Forschungsprojekts Auseinandersetzungen mit dem Nationalsozialismus im deutsch- und französischsprachigen Europa (1919–1945)1, das in religions-, kirchen- und politikhistorischer Herangehensweise die Wahrnehmungen des Nationalsozialismus und des »Dritten Reichs« in Deutschland und Frankreich sowie in Belgien, Österreich und der Schweiz in einem zeitlich breit gesteckten Rahmen von den frühen 1920er-Jahren bis hin zur unmittelbaren Nachkriegszeit untersucht. Methodisch steht dabei die Analyse repräsentativer Zeitschriften, Bücher und Zeitungen sowie der dahinterstehenden Akteure aus einem breiten konfessionellen sowie politischen Spektrum im Fokus.

Die aktuelle Forschung diskutiert die These eines religious revival der NS-Zeit in Absetzung von einem älteren Narrativ, das beeinflusst durch den Nachkriegsdiskurs primär den religionslosen bzw. feindlichen Charakter des NS-Regimes betonte.2 Während dieser Aspekt die partielle Symbiose kirchlichen Agierens und nationalsozialistischer Denkformen zumindest im deutschsprachigen Europa mitunter zu plausibilisieren imstande ist – darauf verweist Teilband 5.13 –, erweitert der hier vorliegende Band die Perspektive sowohl in geografischer als auch in religionssoziologischer Hinsicht, indem er in 15 teils eng zugeschnittenen Beiträgen spezifisch nach Perzeption und Interpretation der Ideologie, Etablierung und Herrschaft des Nationalsozialismus durch frankophone Katholiken und Protestanten sowie deutsche und französische Juden fragt. Hieraus ergibt sich auch die zweigliedrige Struktur des Bandes (11/21).

Mit seinem thematisch-methodischen Zuschnitt bietet der Band auch deshalb eine wichtige Perspektive, da die französischsprachigen Christen im Gegensatz zur deutschen Situation mit ihren politisch wie gesellschaftlich unterschiedlichen Strukturen bis 1940 nicht unmittelbar mit dem Nationalsozialismus konfrontiert waren. Gemäß der Stellung des Katholizismus als dominanter Konfession in Belgien sowie in Frankreich liegt der Schwerpunkt des ersten, auf das Verhältnis von Christentum und Nationalsozialismus fokussierten Teils des Bandes im katholischen Bereich. Zurecht wird als hermeneutischer Rahmen betont, dass – wie auch für Deutschland noch stärker herauszuarbeiten ist – die oftmals als monolithischer Block wahrgenommenen Katholiken auch in den französischsprachigen Ländern unterschiedlichen politischen Lagern angehörten, wobei für die frankophonen Regionen die jeweils variierende Stellung und Rolle des Katholizismus in der Gesellschaft berücksichtigt werden muss (12/22). Es zeigt sich, dass der Vielfalt unterschiedlicher innerkatholischer Strömungen – von sozialkatholischen über gemäßigt konservative bis hin zu reaktionär-ständestaatlichen Orientierungen – eine stark divergierende Sicht auf den Nationalsozialismus entsprach.

So zeigt Michel Grunewald am Beispiel des Institut catholique de Paris (ICP), damals unter dem Rektorat Alfred Baudrillarts, wie im Gefolge der Enzyklika Mit brennender Sorge sowie der umstrittenen Weihnachtsbotschaft Papst Pius’ XI. 1937 verschiedene katholische Universitäten und Fakultäten in Reaktion auf den bekannten Syllabus contre le racisme (42) der Studienkongregation, der allerdings auf entsprechende, hier nicht berücksichtigte Vorarbeiten des Hl. Offiziums zurückging4, den Versuch unternahmen, die der nationalsozialistischen Weltanschauung zugrundeliegenden »Irrlehren« zu widerlegen. In den am ICP abgehaltenen öffentlichen Vorträgen sowie im 1939 publizierten Sammelband Racisme et Christianisme zeigt sich eine auch anderweitig wahrzunehmende Dichotomisierung in der katholischen Begegnung mit dem Nationalsozialismus: Während die politische Ebene zurückgestellt wurde, fokussierten die Professoren des ICP ihre Kritik auf die Ebene der Weltanschauung (Nationalismus, Rassenlehre, Totalitarismus).

Catherine Lanneau untersucht sechs katholische Intellektuellenzeitschriften Belgiens aus unterschiedlichen Milieus/politischen Spektren vom christlich-sozialen Progressismus über den Konservatismus bis hin zum monarchistischen Rechtskatholizismus Maurrasscher Prägung. Dabei zeigt sich, dass der Nationalsozialismus im frankophonen Katholizismus nicht zuletzt als preußisch-militaristisches Phänomen interpretiert wurde (66). Über die politischen Demarkationslinien hinweg stellten die Zeitschriften als zentralen Aspekt der Inkompatibilität von Christentum und Nationalsozialismus die Rassenmystik und den nordischen Superioritätsgedanken heraus und kritisierten die massive Verfolgung der deutschen Katholiken (69–70) – eher partiell diejenige der Juden (71). Letztlich zeigt Lanneau überzeugend, dass der Nationalsozialismus im belgischen Katholizismus frühzeitig als »système totalitaire« erkannt wurde, das im Gegensatz zur christlich-abendländischen Kultur stand und als »produit d’exportation« unbedingt verhindert werden sollte (75).

Als Exponenten einer katholisch-konservativen Auseinandersetzung mit dem NS zeigt Charlotte Balluais den ICP-Professor und Germanisten Robert d’Harcourt, der sich in mehreren Büchern und über 300 Artikeln mit dem nationalsozialistischen Deutschland sowie insbesondere dessen Kirchenpolitik (»thème principal«, 78) beschäftigte. Dabei habe er den NS als Diktatur mit revolutionärer Ausrichtung – brisanterweise parallel zum Sowjetkommunismus (87) – dargestellt, in der gemäß der Theorie der »deux Allemagnes« das preußische über das katholische Deutschland gesiegt habe (85).

Ähnliche Argumentationen einer christlich motivierten Opposition zum NS fanden sich auch im Umfeld der Jesuiten von Lyon-Fourvière, als deren Vertreter Jeanne-Marie Martin den Jesuitentheologen Gaston Fessard herausstellt. Unterstützer einer »résistance spirituelle contre la dictature hitlérienne«5, gehörte Fessard zu einer Strömung innerhalb des katholischen Intellektualismus, die sich in Opposition zum NS als doktrinärer Weltanschauung begab (90). Als zentraler Punkt erscheint für Fessard dabei die Gegenüberstellung der beiden »fausses mystiques« des NS und des Kommunismus einerseits und des christlichen Ideals des Universalismus andererseits, als dessen Leitfigur Fessard nicht zuletzt Papst Pius XI. zeichnete (105).

Eng mit dieser Thematik ist der Beitrag Ina Scheidts verwoben, der die christliche Untergrundzeitschrift Témoignage Chrétien untersucht, die 1941 bis 1944 erschien und eine tragende Rolle in der christlichen Résistance spielte (108). Dabei zeigt Scheidt das Vorgehen des TC als »doppelten Ungehorsam« (109): Als Sprachrohr einer katholischen Kritik am Vichy-Regime war eine Beteiligung daran nur in Gegenposition sowohl zur katholischen Hierarchie als auch zur Vichy-Regierung möglich. So wird die These plausibilisiert, der TC habe ersatzweise die eigentlich der Amtskirche zufallende Rolle übernommen, die Inkompatibilität von NS und Christentum anzumahnen (118).

Den Protagonisten eines gegenläufigen Ansatzes stellt Michel Grunewald vor: den Schriftsteller und Historiker Louis Bertrand. Dieser setzte sich als Vertreter eines katholischen Konservatismus auf der Grundlage antibolschewistischer Allüren ab 1933 bis 1939 für den Dialog mit Hitler sowie dessen »politique de paix« (134‑135) ein und galt im Gefolge dessen in Frankreich als einer der »›ambassadeurs‹ du Troisième Reich« (140). Mit seiner Forderung einer kopernikanischen Wende der französischen Außenpolitik (Bündnis Rom – Paris – Berlin) und seiner De-facto-Legitimation der deutschen Judenverfolgung stellte er allerdings, so wird betont, unter den französischen katholischen Schriftstellern eine Ausnahme, ja sogar einen Gegensatz dar (148).

Den einzigen Beitrag zu den Schweizer Verhältnissen liefert Stéphanie Roulin mit einer Rekonstruktion der Positionierung der 1924 in Genf gegründeten Internationalen Antikommunistischen Entente (EIA) gegenüber dem NS. Da die Entente primär im konservativ-antikommunistischen Milieu verortet und mit ihrer Kommission Pro Deo prinzipiell interkonfessionell ausgerichtet war (156), scheint die Platzierung des Beitrags im Gliederungspunkt »Catholiques francophones« eher der pragmatischen Zweigliederung des Bandes als einer tatsächlichen katholischen Präponderanz der Entente entsprungen zu sein. Der Beitrag weist die EIA als führende transnationale pressure group des Antikommunismus aus und erhellt insbesondere, wie über das Narrativ einer Verteidigung der Grundwerte der christlichen Gesellschaft NS-Gedankengut im konservativen Milieu verbreitet werden konnte.

Wie sich der französische Protestantismus zum NS positionierte, wird in zwei weiteren Beiträgen untersucht. Die Studie Fadiey Lovskys (1914–2015), bei der es sich um einen Wiederabdruck handelt6, fragt systematisch nach dem moralischen sowie politischen Diskurs in Reaktion auf den nationalsozialistischen Antisemitismus und Rassismus, während Patrick Cabanel die beiden renommierten Kulturzeitschriften Revue du Christianisme social (RCS) und Foi et Vie (F&V) im Hinblick auf ihre Positionierung zwischen 1932 und 1940 untersucht. Beide Zeitschriften stellen freilich auch die wesentliche Quellengrundlage für Lovsky dar, durch die unterschiedliche thematisch-methodische Schwerpunktsetzung ergeben sich jedoch nur geringfügige Überschneidungen (Bewertung von Barmen, Reaktion auf den Antisemitismus). Übereinstimmend zeigen die Beiträge, dass sich die protestantischen Intellektuellen, Pfarrer und Theologen in Frankreich sowohl auf theologischer wie auf politischer Ebene dezidiert der Ideologie sowie der politischen Praxis des NS widersetzten, was durch die Verbindungen zur Internationalen Ökumenischen Bewegung unterstützt wurde (181). Dass die protestantischen Intellektuellen, ihresteils mehrheitlich Reformierte und Barthianer, mitunter lutherische Einflüsse als Ursache für den im deutschen Protestantismus weit verbreiteten Antisemitismus ausmachten (176), verweist eindrücklich darauf, dass der französische Protestantismus – ebenso wenig wie der katholische Bereich – keineswegs ein homogenes politisches Milieu repräsentierte.

Der zweite, sechs Beiträge umfassende Teil des Bandes untersucht jüdische Reaktionen auf den NS. David Jünger kommt zu dem Ergebnis, dass in den repräsentativen jüdischen Organisationen unabhängig von ihrer politischen Ausrichtung sowohl die analytische Erfassung des ideologischen Phänomens des NS, der oftmals gegenüber der umfassenden Gefahr des gesellschaftlich weitverbreiteten Antisemitismus völkischer Bewegungen in den Hintergrund trat, als auch eine Einigung über Reaktionsstrategien schwerfiel. Während der liberale Centralverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens (C.V.) für eine Forcierung der jüdischen Integration in die deutsche Gesellschaft plädierte, setzte sich die Zionistische Vereinigung für Deutschland für eine jüdische Emanzipation ein.

Diese diskursive wie auch strategische Pluriformität weist auch Christian Dietrich am Beispiel der Reaktionen des C.V. auf die Reichspräsidentenwahl 1932 nach. Neben der Kontaktaufnahme zu politischen Parteien wie der Sozialdemokratie, dem Zentrum, aber auch Teilen des Nationalkonservatismus erlaubte die Unterstützung der Kandidatur Hindenburgs eine Betonung der nationalen Zugehörigkeit und zugleich das Einstehen für die republikanische Ordnung (237).

Die Perspektive exilierter jüdischer Verfolgter untersucht Sonja Knopp anhand der zahlreichen Artikel, die Hannah Arendt zwischen 1941 und 1945 in der New Yorker deutsch-jüdischen Exilzeitung Aufbau publizierte. Trotz des auffälligen Ausbleibens einer direkten publizistischen Auseinandersetzung mit dem NS-System selbst zeigt sich hier, dass sich Arendts Begriff von Totalitarismus sukzessive ausformte und in einer Metareflexion zum deutschen Faschismus im Hintergrund ihrer Artikel greifbar wird (261).

Inwiefern die Hinterfragung der Selbstidentifikation der französischen Juden ein konstitutives Element ihrer Auseinandersetzung mit dem NS war, untersucht Jérémy Guedj. Trotz einer massiven Heterogenität der jüdischen Milieus in Frankreich und der lange durchgehaltenen Illusion einer Begrenzung des antisemitischen NS-Programms auf Deutschland (287) wird ersichtlich, dass die französischen Juden keineswegs nur »observateurs«, sondern aufgrund der im Gegensatz zur christlichen Mehrheitsgesellschaft fundamental differierenden Situation auch durchweg »acteurs« waren, die allerdings erst allmählich eine Warnfunktion in der öffentlichen Kommunikation wahrzunehmen versuchten.

Philippe Boukara greift in seinem Beitrag die Forschungsfrage nach dem Ausmaß an Passivität bzw. Kampfgeist in unterschiedlichen jüdischen Milieus auf und widerspricht dem vielfach vertretenen Narrativ, das französische jüdische Bürgertum sei dem NS wesentlich passiver gegenübergestanden als die jüdischen Immigranten, die insbesondere im linken politischen Spektrum eine »combativité énergique« (295) entwickelt hätten.

Den Abschluss des Bandes bildet die individualbiografische Studie Catherine Nicaults zu Großrabbiner Jacob Kaplan, der als jüdischer Gemeindevertreter eine Linie der strikten politischen Enthaltung verfolgte, dabei jedoch auf eine »union sacrée« zwischen Synagoge und Kirche zur Verteidigung der jüdisch-christlichen Zivilisation hinarbeitete (320).

Der Einleitungsteil des Bandes stellt zwar zu Beginn bereits wichtige Erkenntnisse zusammen, dennoch hätte ein systematisches, vergleichendes Fazit, das die mannigfaltigen Einzelerkenntnisse bündelt und miteinander verknüpft, dem Band gutgetan. Nichtsdestotrotz haben die Herausgeber eine ertragreiche Studie vorgelegt, die facettenreich aufzeigt, dass sich zwar gewisse gruppenspezifische Interpretationsschemata hinsichtlich der Beurteilung des NS finden, doch eine darüber hinausgehende Pluralität der individuellen und kollektiven Perspektiven jenseits der Zugehörigkeit zu politischen Lagern und konfessionellen Milieus festzustellen ist. Somit leistet der Band einen wichtigen Beitrag dafür, die unterschiedlichen Handlungslogiken französischer Christen sowie Juden nach dem massiven Einschnitt von 1939/1940 historisch einzuordnen und das Auseinanderdriften gegensätzlicher Reaktionsformen zwischen Anpassung, Kollaboration im Zeichen eines Antibolschewismus sowie Widerstand aus religiösen Prinzipien zu erklären.

1 Vgl. auch die Besprechung der Teilbände 1 bis 3 durch Dominik Rigoll in Francia Recensio 2020/4: DOI 10.11588/frrec.2020.4.77265.
2 Vgl. zuletzt Manfred Gailus, Nationalsozialismus und Religion. Überlegungen zu einer Gesamtschau, in: Olaf Blaschke, Thomas Grossbölting (Hg.), Was glaubten die Deutschen zwischen 1933 und 1945? Religion und Politik im Nationalsozialismus, Frankfurt a. M. 2020, 443–467.
3 Vgl. Michael Hüttenhoff, Einleitung, in: Ders., Lucia Scherzberg (Hg.), Confrontations au national-socialisme en Europe francophone et germanophone (1919–1949)/Auseinandersetzungen mit dem Nationalsozialismus im deutsch- und französischsprachigen Europa (1919–1949), Band 5.1: Protestanten und Katholiken aus dem deutschsprachigen Europa, Bruxelles 2021, 19–20. Vgl. auch Klaus Scholder, Die Kirchen und das Dritte Reich, Bd. 1: Vorgeschichte und Zeit der Illusionen 1918–1934, Berlin 1986, 166.
4 Vgl. Hubert Wolf, Pius XI. und die »Zeitirrtümer«. Die Initiativen der römischen Inquisition gegen Rassismus und Nationalismus, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 53/1 (2005), 1–42 (PDF), hier S. 40.
5 Notre Combat, in: Cahier du Témoignage chrétien, II–III, 1941/42, 1.
6 Vgl. Les protestants français pendant la seconde guerre mondiale. Actes du colloque de Paris, réunis par André Encrevé et Jacques Poujol, Paris 1994, 105–123.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Joachim Bürkle, Rezension von/compte rendu de: Michel Grunewald, Olivier Dard, Uwe Puschner (dir.), Confrontations au national-socialisme en Europe francophone et germanophone (1919–1949)/Auseinandersetzungen mit dem Nationalsozialismus im deutsch- und französischsprachigen Europa (1919–1949). Volume 5.2: Catholiques et protestants francophones – juifs allemands et français/Band 5.2: Französischsprachige Christen, deutsche und französische Juden und der Nationalsozialismus, Bern, Berlin, Bruxelles et al. (Peter Lang) 2022, 344 p. (Convergences, 107), ISBN 978-287-57-4664-1, EUR 64,95., in: Francia-Recensio 2024/2, 19.–21. Jahrhundert – Histoire contemporaine, DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2024.2.105399