Die einfache Bildsuche im Internet unter dem Stichwort »Herrscherporträt« ergibt eine Parade heroisch-maskuliner Posen und ikonischer Mimik: Ludwig XIV., Napoleon Bonaparte, Friedrich II. von Preußen sind Monarchen mit hohem Wiedererkennungswert, auch dank weiter medialer Verbreitung ihres Bildnisses schon zu Lebzeiten. Bis zum ersten Porträt einer Herrscherin (Kaiserin Maria Theresia) unter den Suchergebnissen muss man recht lange den Blick schweifen lassen. Titia Hensel ist dafür zu danken, dass sie das Bild der Herrscherin in den Mittelpunkt einer sehr interessanten und relevanten Untersuchung gestellt hat.
Basierend auf einer Dissertation am Kunstgeschichtlichen Seminar der Universität Hamburg, spürt die Arbeit dem Bild europäischer Herrscherinnen des 19. Jahrhunderts in einem doppelten Sinne nach. Ausgangspunkt ist das Werk Franz Xaver Winterhalters (1805–1873), des immens breitenwirksamen und über Jahrzehnte produktiven Hofmalers. Winterhalter wurde bekannt als Maler von Monarchinnen und weiblichen Mitgliedern regierender Dynastien an diversen europäischen Höfen, und Hensel betritt Neuland, indem sie Winterhalters Bilder von Herrscherinnen und deren Herstellungsprozess vergleichend und über einen langen Zeitraum hinweg betrachtet. Die Untersuchung geht indes über die materielle Bildebene hinaus und interessiert sich für das Image von Herrscherinnen, somit für Vorstellungen von höfischen Personen in diversen Öffentlichkeiten und wie diese mit Hilfe von Porträts gestiftet und aufrechterhalten wurden. Der Künstler stand in dieser Lesart im Zentrum strategisch geplanter Kommunikationsprozesse, an denen die sich abbilden lassenden Herrscherinnen aktiv teilnahmen.
Die Autorin nutzt gewinnbringend interdisziplinäre Methoden, unter anderem der Hof- und Bürgertumsforschung, der politischen Kulturgeschichte, Geschlechter- und Modegeschichte und der Ritual- und Zeremoniellforschung, um die kunstgeschichtliche Analyse der Porträts um wichtige Fragestellungen der modernen Monarchieforschung zu erweitern: Wie wurde Anerkennung von Herrschaft im 19. Jahrhundert mit visuellen Medien gestiftet und gestärkt? Hensel arbeitet heraus, inwieweit Monarchien die Legitimation ihrer Machtposition nicht als Zustand, sondern als andauernden Prozess auffassten und dementsprechend Botschaften vermittelten, die die Glaubwürdigkeit und Akzeptanz der Monarchie als Institution immer wieder erneuern sollten. Sie stellt Bildtraditionen vor, auf denen die Strategien aufbauten, und ist besonders interessiert an der Frage, inwieweit politische Repräsentation durch Bildmedien vom Geschlecht der dargestellten Person abhängig ist. Das Image von Herrscherinnen war immer auch an weibliche Körperbilder gebunden.
Die Arbeit verdient Anerkennung für ihre breite europäische Perspektive. Hensel untersucht Winterhalter-Porträts britischer, französischer, österreichischer und russischer Herrscherinnen der 1830er- bis 1860er-Jahre. Wir begegnen Queen Victoria ebenso wie Königin Marie-Amélie, Kaiserin Eugénie, Kaiserin Elisabeth und Zarin Maria Alexandrovna, dazu vergleichend weiteren Fürstinnen und Prinzessinnen.
Eine weitere Stärke ist, dass die Autorin neue Gattungstermini einführt und für künftige Hof- und Porträtforschung anbietet: Das Buch unterscheidet zwischen Tugendporträts, Regalienporträts und Modeporträts. Bei der Untersuchung der Tugendporträts gilt Hensels Interesse gerade auch den bürgerlichen Zielgruppen höfischer Bildproduktion, in diesem Teil des Buches setzt sie sich unter anderem kritisch mit der Verbürgerlichungsthese auseinander. Im Zusammenhang mit den Regalienporträts spricht sie die repräsentative Herausforderung an, die konstitutionelle Herrscher im 19. Jahrhundert zu navigieren hatten: während Monarchen sich einerseits in den Dienst der Gesellschaft stellten, mussten sie andererseits Vorstellungen charismatischer Herrschaft gerecht werden. Wie wurde dieses Spannungsverhältnis von Dynastinnen im Bildprogramm angesprochen, die oft von politischer Teilhabe ausgeschlossen waren? Ein sehr spannender und innovativer Blick wird dann auf den Einfluss der Modewelt auf das Herrscherinnenporträt gelenkt. Hensel spürt dem Gegensatz nach zwischen der in Tradition verankerten Institution Monarchie und dem steten Wandel ausgesetzten Phänomen Mode, dabei nimmt sie auch die weibliche Zielgruppe monarchischer Repräsentation verstärkt in den Blick.
Obgleich die Arbeit die Botschaft in den Mittelpunkt stellt, die Herrscherinnen mit Winterhalters Bildprogramm aussendeten, erfährt der Leser auch viel über die zeitgenössische Rezeption der Werke und somit über die Adressaten. Berichte von Ausstellungen, Informationen zu Verleih und Kopien von Winterhalters Werk, Modemagazine, Karikaturen, Briefwechsel und Auftragsnotizen ergänzen die Quellengrundlage der Arbeit auf kreative Weise. Im Zentrum stehen indes die Herrscherinnenporträts, die auf hochwertigen Farbtafeln präsentiert werden, und zahlreiche ergänzende und vergleichende Bilddarstellungen im Text.
Titia Hensels Buch bereichert nicht nur die kunstgeschichtliche Forschung um einen spannenden und relevanten Beitrag, es verortet Winterhalters Werk auch in einem breiteren monarchie- und sozialgeschichtlichen Kontext und erlaubt somit einen Blick hinter die Posen und die ikonische Mimik.
Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:
Heidi Mehrkens, Rezension von/compte rendu de: Titia Hensel, Das Bild der Herrscherin. Franz Xaver Winterhalter und die Gattungspolitik des Porträts im 19. Jahrhundert, Berlin, Boston, MA (De Gruyter) 2023, 412 S., 86 Abb. (Ars et Scientia, 26), ISBN 978-3-11-108487-9, DOI 10.1515/9783111085074 , EUR 79,00., in: Francia-Recensio 2024/2, 19.–21. Jahrhundert – Histoire contemporaine, DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2024.2.105401