Nach dem Waffenstillstand im November 1918 besetzten alliierte Truppen die linksrheinischen Gebiete Deutschlands und vier rechtsrheinische Brückenköpfe. Die Besatzungsherrschaft dauerte insgesamt bis zu elfeinhalb Jahre und wurde von der Forschung überwiegend als verlängerter Kriegszustand interpretiert. Diese Perspektive versucht Benedikt Neuwöhner in seiner Studie über die bis dato noch kaum untersuchte britische Besatzungszone zu erweitern, welche von Zeitgenossen mit Blick auf das französische Gebiet oftmals als »Insel der Seeligen« (1) bezeichnet wurde. Neuwöhner versteht »Besatzung« dabei »als wechselseitige, nicht abgeschlossene Konstellation«, »die ständigen Aushandlungsprozessen zwischen Besatzern und Besetzten unterworfen ist« (20). Er rückt »die Organisation, Praxis und Auswirkungen der britischen Besatzungsherrschaft« (3) in den Mittelpunkt seines Erkenntnisinteresses und will mithilfe eines praxeologischen Ansatzes dem »alltägliche[n] Agieren und Funktionieren der lokalen Besatzungsbehörden« (24) nachspüren. Den zeitlichen Rahmen der Untersuchung bildet die Okkupation des Kölner Großraumes vom Dezember 1918 bis zum Abzug der britischen Truppen im Januar 1926 nach Wiesbaden. Die Phase bis 1930 – die Briten blieben in Wiesbaden noch bis 1930 stationiert – findet hingegen keine Beachtung. Da die Bestände der British Army of the Rhine im Zweiten Weltkrieg verloren gegangen sind, zieht Neuwöhner die Überlieferung des War Office in den National Archives, mehrere Nachlässe und Egodokumente des Führungspersonals der Besatzer sowie auf deutscher Seite das Schriftgut der kommunalen Behörden in der Umgebung Kölns als Quellenbasis heran. Seine Hauptthese ist, dass die Briten durch ihre meist kompromissorientierte und kooperative Besatzungspraxis eine gewisse Stabilität und Ordnung in ihrer Zone erreichten – obwohl die Bevölkerung die Okkupation als nicht legitim ansah (3).

Großbritannien befand sich am Ende des Ersten Weltkriegs in einer schwierigen Position: Hoch verschuldet, ging es London – die britische Außenpolitik wird in der Studie nur am Rande beleuchtet – in erster Linie um die Durchsetzung umfangreicher Reparationen, zeitgleich jedoch auch um die Verhinderung einer territorialen Ausdehnung und Hegemonialstellung Frankreichs, die eine dauerhafte Schwächung des Reiches nach sich gezogen hätte. Bewusst wurde die britische Besatzungszone deshalb klein gehalten: Hoch industrialisiert, umfasste sie mit dem Großraum Köln einen wichtigen Wirtschaftsstandort und zentralen Verkehrsknotenpunkt Westdeutschlands. Sie erstreckte sich bis hinein ins Bergische Land und war mit rund 1,1 Millionen Einwohnern dicht besiedelt sowie stark urbanisiert. Darauf kam eine, verglichen mit dem französischen Gebiet, geringe Truppenpräsenz von ca. 20 000 Soldaten und ein kleiner Besatzungsapparat (Kap. 1).

Dessen administrativen Strukturen und zentralen Akteuren widmet Neuwöhner das zweite der insgesamt vier großen Kapitel. Angesichts der beschränkten britischen Ressourcen und ihrer zahlenmäßigen Unterlegenheit waren die Besatzer auf die Zusammenarbeit mit den regionalen Protagonisten angewiesen. Umso relevanter erschien deshalb die Praxis der in zahlreichen Kolonien angewandten »indirect rule«. Die »bereits bestehenden, einheimischen Machtstrukturen« sollten »zum Zweck der Beherrschung« genutzt und »auf umwälzende Veränderungen in der [lokalen] Verwaltung, dem Rechtssystem und den Gesellschaftsstrukturen« verzichtet werden (90). Mithilfe einer kollektivbiografischen Analyse der militärischen Führungsspitze – die Anzahl der berücksichtigten Personen erscheint etwas gering und die Auswahlkriterien nicht ganz eindeutig – versucht Neuwöhner aufzuzeigen, dass diese durch ihre imperialen Erfahrungen zur »indirect rule« befähigt waren. Im Rheinland trafen die größtenteils aus der bürgerlichen Mittelschicht stammenden Offiziere auf Kommunal- und Staatsbeamte, die über ähnliche soziale Hintergründe, Verhaltenscodes und akademische Ausbildungen verfügten. Dadurch konnten sich beide Seiten trotz jahrelanger Feindschaft annähern, was laut Neuwöhner zum Aufbau eines stabilen Besatzungsregimes in einem politisch unbeständigen Feld beitrug.

Im dritten Kapitel stellt der Autor die praktische Anwendung der »indirect rule« dar, bei der die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit die oberste Priorität einnahm. Die Basis dafür bildeten Überwachungsmaßnahmen und eine rigide Informationskontrolle, die in den Händen eines sukzessive aufgebauten Behördenapparates lag. Daneben arbeiteten die Briten auf verschiedenste Weise mit den deutschen Verwaltungseinheiten zusammen, um ihre Sichtbarkeit zu verringern und Legitimation bei der Bevölkerung zu steigern. Ebenso marginalisierten die Besatzer sämtliche politischen Gruppierungen, »die eine englandfeindliche Haltung einnahmen oder sich durch dezidierte Gewaltbereitschaft auszeichneten«. Hierbei richtete sich ein besonderer Fokus auf den rheinischen Separatismus, das rechtsnationalistische Spektrum und Teile der radikalen Arbeiterbewegung (204).

Im Falle von Streiks, Subsistenzprotesten oder Tarifkonflikten, die häufig aus der wirtschaftlich schwierigen Lage in der Zone resultierten, griff die Besatzungsmacht direkt ein: Sie verstärkte die lokale Polizei mit britischen Truppen, verhängte ein Streikverbot und richtete ein Streikgericht ein. Sogar der Aufbau eines polizeilichen Sonderkommandos wurde gegen den Widerstand Frankreichs durchgesetzt. Damit wichen die Besatzer zwar von der »indirect rule« ab, stießen aber auf einen breiten Konsens bei den einheimischen Führungsspitzen, da sie darauf abzielten, die öffentliche Ordnung wiederherzustellen. Solcherlei Handlungs- und Konfliktfelder der Besatzungspraxis schildert Neuwöhner im letzten Kapitel. Dazu gehörte nicht zuletzt auch, dass die Briten ihren Machtanspruch und ihre Autorität durch zahlreiche symbolische Handlungen demonstrierten, zum Beispiel durch öffentliche Inszenierungen auf dem Kölner Domplatz, von denen die Bevölkerung gleichwohl ausgeschlossen war. Ansatzweise Möglichkeiten zur Überwindung des asymmetrischen Machtgefüges zwischen Besatzern und Besetzten boten sich dagegen bei gemeinsamen Sportveranstaltungen und dem Gedenken an die Gefallenen des Ersten Weltkriegs.

Die Studie bietet eine größtenteils gelungene Übersicht über die britische Besatzung im Rheinland von 1918 bis 1926 und schafft Möglichkeiten für Anschlussuntersuchungen und Vergleiche zwischen den einzelnen Besatzungszonen. Innerhalb der systematisch angelegten Kapitel wäre indes eine detailliertere Chronologie wünschenswert gewesen. So wird auch das Krisenjahr 1923 insgesamt zu wenig thematisiert. Für den Anspruch des Autors, ein differenzierteres Bild von den besetzten rheinischen Gebieten zu zeichnen (3), wäre ein Besuch der Pariser Archive interessant gewesen, um eine Kontrastperspektive auf die britische Okkupation zu erhalten. Nicht berücksichtigt ist ferner die Überlieferung des Reichsministeriums für die besetzten Gebiete im Bundesarchiv Berlin, die sicherlich mit Blick auf die Besatzungspraxis und -konflikte weiteres Erkenntnispotenzial ermöglicht hätte.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Laura Fuchs, Rezension von/compte rendu de: Benedikt Neuwöhner, Britannia rules the Rhine. Die britische Rheinlandbesatzung 1918–1926, Paderborn, München, Wien, Zürich (Ferdinand Schöningh) 2023, 380 S. (Krieg in der Geschichte, 119), ISBN 978-3-506-79035-4, EUR 99,00., in: Francia-Recensio 2024/2, 19.–21. Jahrhundert – Histoire contemporaine, DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2024.2.105419