Eine der Schlüsselszenen in François Truffauts erstem Langfilm Les 400 Coups spielt sich in einem Beobachtungszentrum für junge Delinquenten bei Paris ab. Der von seiner Familie an das Kinder- und Jugendgericht übergebene Protagonist Antoine Doinel sitzt mit zwei anderen Kindern auf einem Mauervorsprung und wartet auf sein Gespräch mit der Gerichtspsychologin. Als das erste Kind hineingerufen wird, rückt der verbleibende Junge an Antoine heran und beginnt zu flüstern: »Wenn sie ihren Bleistift fallen lässt, dann heb ihn auf, aber schau ihr nicht auf die Beine, sonst wird es in deinem Dossier vermerkt«. Der überraschte Antoine fragt verblüfft zurück: »ein Dossier?«; »welches Dossier?« Antoine, den wir den längsten Teil des Films auf seinen Wegen durch Paris begleitet haben, begegnet in diesem Moment zum ersten Mal einer Realität, in der alles, was er sagt oder nicht sagt, tut oder nicht tut, potenziell aufgezeichnet wird und bedeutsam werden kann. »Ein Dossier«, flüstert sein Gegenüber weiter, »ist das, was man von Dir weiß, was der Arzt denkt, was der Richter denkt, und selbst das, was die Nachbarn Deiner Eltern denken. Meins kenne ich auswendig.« Auf Antoines Einwand, er könne ihnen einfach »Schwachsinn erzählen«, entgegnet sein Kamerad trocken, dass er in dem Fall bereit für die Psychiatrie sei.

In der Beobachtungsanstalt und ihrer opaken Aktenwirklichkeit wird das »Erkenne dich selbst« zum »Kenne dein Dossier«. Die Quintessenz dieser kurzen, von einer Kamerafahrt wie im Vorbeigehen eingefangenen Unterredung, ist eine doppelte: Erstens, in der Beobachtungsanstalt angekommen, gibt es kein Entrinnen vor der Wirklichkeit des Dossiers. Zweitens, die Kinder, die hier reden, sind nicht bloß Objekte der staatlichen Wohlfahrtspolitik. Sie wissen, dass es darum geht, ihr Erscheinen im Griff zu haben, also den Eindruck, den sie im Dossier hinterlassen, selbst herzustellen.

Es ist dieses Spannungsfeld von objektivierender Beobachtung und dem kreativen Spielraum ihrer Subjekte, um das herum sich Lola Zappis Geschichte der Entstehung des Berufsfeldes der Sozialarbeiterin (assistante sociale) im Frankreich der Zwischenkriegszeit aufbaut. Die Monografie trägt den programmatischen Titel Die Gesichter des Sozialstaats. Sozialarbeiterinnen und populäre Familien in der Zwischenkriegszeit. Sie ist in vier Teile und 9 thematische Kapitel gegliedert, die nacheinander die Entstehung der Sozialen Arbeit, ihre Spezialisierung durch die Verbindung mit der Praxis der Jugendgerichte, die Begegnung und konkrete Arbeit im Feld und die Rolle dieser Sozialexperten bei der Herausbildung eines neuen Verständnisses des Wohlfahrtsstaats nachzeichnen. Für den Zweck der Besprechung lassen sich insbesondere drei thematischen Blöcke hervorheben.

Im ersten Block baut Zappi die Kulissen ihres Narrativs. Hier greift sie auf die etablierten Erzählungen von der Modernisierung und der Rationalisierung des Sozialen zurück, in deren Zuge sich die Soziale Arbeit von der Praxis der karitativen Wohlfahrtsorganisationen abzugrenzen strebt. Hinsichtlich der Frage nach dem Verhältnis von öffentlicher und privater Wohlfahrt nutzt sie die Forschungsperspektive der mixed economy of welfare. In diesem Ansatz wird die Idee des »Wohlfahrtsstaats« und die Vorstellung einer klaren Trennung privater und öffentlicher Wohlfahrt in Frage gestellt und durch historische »Wohlfahrtsregime« ersetzt, um auf die grundlegende gegenseitige Abhängigkeit staatlicher Sozialpolitik von privaten Trägern und Initiativen hinzuweisen (274). Zappi geht in diesem Teil zudem auf die Curricula des Sozialberufs in den verschiedenen Ausbildungsanstalten ein und seine besonderen geschlechtlichen Dimensionen. Um das Profil und die »Kultur des Sozialberufs« zu rekonstruieren, nutzt Zappi die Archive der in der Zwischenkriegszeit maßgeblichen Institutionen der Sozialarbeiterinnenausbildung im Pariser Raum, insbesondere der École des surintendants d’usine et des services sociaux und der École supérieure de travail social. Neben den Seminarprogrammen und Prüfungsdokumenten werden von beiden Schulen hundert Absolventinnenakten ausgewählt (24–25). Sie enthalten unter anderem Praktikumsberichte, die Einblicke in die Praxis des Sozialberufs erlauben.

Zappi hebt in diesem Zusammenhang auch die besondere geschlechterspezifische Rolle der Sozialarbeit hervor. Die Liberalisierung des Zugangs zu den Universitäten für Frauen in Frankreich in den 1920er-Jahren war mit einem Diskurs über die »verkopften« und »nicht heiratsfähigen« Frauen (les cervelines) verbunden, die den Männern auf dem Arbeitsmarkt den Kampf ansagen würden (65). Vor diesem Hintergrund bot die Ausbildung des Sozialberufs in den 1920ern und 1930ern eine intermediäre Form der Bildung und Akademisierung, die weiterhin mit einem traditionellen Frauenbild vereinbart werden konnte.

Der zweite und mit Abstand umfangreichste Block der Monografie widmet sich dem eigentlichen Kernstück der Arbeit: der Rekonstruktion der frühen Geschichte der Sozialen Arbeit in Frankreich am Beispiel der gerichtlichen Sozialarbeit, die sich im Zuge der 1912 eingerichteten Jugendgerichte (tribunaux pour enfants) entwickelte und in der Zwischenkriegszeit im Rahmen des »Service social de l«enfance en danger’ (SSE) institutionalisiert wurde. Für den Untersuchungszeitraum verfügt das Archiv des SSE über ca. 8000 Familiendossiers, von denen Zappi per Stichprobenverfahren 300 Dossiers für ihre Studien ausgewählt hat. Dieses Korpus ermöglicht es ihr, die konkreten Untersuchungen der Sozialarbeiterinnen und die Arbeit mit den Klienten (über Jahrzehnte hinweg) nachzuvollziehen (20). Sie enthalten zudem Schreiben, die neben der Haltung der Sozialarbeiterinnen auch einen Zugang zur Stimme der Leistungsempfänger eröffnen.

Dieser Bestand bildet das Herz ihrer Untersuchung, die sowohl mit detaillierten Beschreibungen einzelner Episoden als auch mit statistischen Analysen arbeitet. Die Entscheidung, die SSE als exemplarischen Gegenstand ins Zentrum zu stellen, begründet Zappi sowohl institutionell als auch epistemologisch. Zum einen sei die Gründung der SSE 1923 eine »Singularität« in Frankreich gewesen, da hier erstmals eine konkrete Zusammenarbeit zwischen Sozialarbeiterinnen und Verwaltern der Jugendgerichte stattgefunden habe und trotz der verschiedenen institutionellen Kulturen eine gemeinsame Sprache und vergleichbare Ziele entwickelt wurden (95). Zum anderen sei die SSE ein Laboratorium für eine neuartige Form der Sozialarbeit gewesen, die sich sowohl auf ein besonderes Wissen und eine spezifische Untersuchungsmethode, die »Enquête« (141), gründete, als auch auf eine spezifische Praxis, das suivi, das in einer gerichtlich angeordneten und bis zu drei Jahre umfassenden Betreuung und häuslichen Überwachung des Kindes und der Familien bestand (100).

Zappi unterstreicht zudem die besondere epistemologische Bedeutung der gerichtlichen Sozialpraxis der SSE, da in ihrem Rahmen neue Methoden der fallbasierten Sozialarbeit, des case work, in den 1920er-Jahren aus den USA rezipiert und im französischen Kontext angeeignet wurden. Die Besonderheit dieser neuen Form der sozialen Beobachtung bestand im Wechsel von einem normativen Familienbild hin zur »Evaluation der Persönlichkeit jedes Familienmitglieds«, der Untersuchung der »Interaktionen in der Familie« durch erweiterte Hausbesuche (136–137) und einer besonderen Bedeutung des psychologischen Wissens, insbesondere in der Tradition der école psychopédagogique von Alfred Binet und Theodore Simon (112–114). Mit dieser auf den Einzelfall, die persönliche Interaktion und die Nähe zu den Klienten ausgelegten Methode ko-konstruierten die Sozialarbeiterinnen der Zwischenkriegszeit, so eine der großen Thesen von Zappis Buch, das neue Bild eines »nahen Sozialstaats« (»État social de proximité«), dessen »Gesichter« sie zugleich verkörperten (328).

Neben den Sozialarbeiterinnen räumt Zappi den »populären Familien« und ihrer Rezeption der sozialen Praxis einen zentralen Platz ein. Die Geschichte der Verberuflichung der Sozialen Arbeit möchte sie nicht als eine foucaultsche »Historiografie der sozialen Kontrolle« missverstanden wissen (13). Im Anschluss an eine »postfoucaultsche Historiografie« sollen Agency und Handlungsfähigkeit der Akteure in ihrem Narrativ einen eigenen Platz haben. Dabei geht es weniger um Akte des Widerstands gegen die Institution, als um die Nutzung der Institution durch die Klienten, um deren eigenständige »Aneignung von Ressourcen« und die affektive Dimension der Beziehungen zwischen Klienten und Sozialarbeiterinnen.

Ihr Ziel ist eine alternative Historiografie der Sozialen Arbeit, die neben der Realität von Disziplinierung, Kontrolle und Repression, die historische Wirklichkeit der Sozialen Arbeit als »soziales Verhältnis« rekonstruiert. Diese »konstitutive Ambiguität« des sozialen Verhältnisses der Sozialarbeit, lässt sich für Zappi am Begriff Care greifen, der ihr als Horizont einer Historiografie der Sozialen Arbeit dient, die nicht gleichbedeutend mit einer Geschichte der sozialen Disziplinierung ist (333).

Für ihre Quellenarbeit vor allem zum Abschluss des zweiten Blocks mobilisiert die Autorin zudem Alf Lüdtkes Konzept des »Eigensinns«, um die »große Grauzone« (253) auszuloten, in der sich Familien, Eltern, Kinder, Jugendliche und Sozialarbeiterinnen ihren Handlungsspielraum innerhalb der asymmetrischen Hilfssituationen zu erkämpfen bzw. zu bewahren versuchten. Um diese Bestimmung der Hilfsbeziehung »als ein[…] Feld kontinuierlicher Verhandlungen« (249) um Ressourcen zu untermauern, nutzt Zappi immer wieder Fallgeschichten aus ihrem Korpus, die vom kategorischen Widerstand gegen den Eingriff in die Privatsphäre und der Unterbindung der Hilfeleistung durch anwaltliche Intervention bis zu engen emotionalen Bindungen zwischen Sozialarbeiterin und Schützling reichen. So berichtet sie von Episoden, in denen die Vormundschaft der SSE von Kindern genutzt wurde, um der Autorität ihrer Eltern zu entgehen, oder von Müttern eingesetzt wurde, die den Entzug des Sorgerechts missbrauchender oder übergriffiger Ehepartner erreichen wollten (243).

Zudem zeichnet sie in ihren Quellen auch die Lernprozesse der Klienten nach, die ihrerseits die Sozialarbeiterinnen studierten und – ähnlich den Kindern Truffauts – zu Spezialisten des Umgangs mit der Vielzahl von Sozialinstitutionen wurden (256), die sich in den 1920er- und 1930er-Jahren herausbildeten. Zappis Versuch einer bottom-up arbeitenden Care-Historiografie bringt zudem einen wesentlichen Umstand der Wohlfahrtsverhältnisse der Zwischenkriegszeit zum Vorschein: die Tatsache, dass viele Klienten in mehreren Bevormundungsverhältnissen gleichzeitig standen und der Kampf um Zugang, Nähe und Vertrauen der Klienten immer auch in Konkurrenz mit anderen Hilfeinstitutionen stattfand, die ggf. auch gegeneinander ausgespielt werden konnten (269).

Die Frage nach dem Verhältnisse und der Konkurrenz der unterschiedlichen Wohlfahrtsinstitutionen bildet den Übergang in den letzten Block der Monografie, der die Arbeit der SSE innerhalb der Debatte um den Ausbau der »sozialen Republik« in den 1930er-Jahren verortet (286). Sozialarbeit und soziale Dienste wurden zu einem zentralen Kampfplatz auf dem unterschiedliche Vorstellungen des Verhältnisses von Individuum, Familie und Staat ausgehandelt wurden. Das brachte auch einen Wandel des Status der Sozialarbeiterin mit sich, die sich in den Worten Madeleine Delbrêls nun in der Position der »Vermittlerin zwischen den Gesetzen (des Staates) und den populären Klassen« wiederfand (277). Der Aufstieg der SSE wird auf diese Weise im größeren sozialhistorischen Kontext verortet.

Einen wesentlichen Ausdruck der Handlungsfähigkeit der Sozialarbeiterinnen sieht Zappi in der staatlichen Anerkennung des Sozialberufs im Jahr 1932 (291). Entscheidend ist an dieser Stelle für Zappi allerdings, dass die öffentliche Akkreditierung der Ausbildung und des Sozialberufs in der Folge zu einem entscheidenden Instrument staatlicher Regulation wurde. Sie erlaubte es im Zuge der Vereinheitlichung der Sozial- und Familienbeihilfen und der Einführung einer Sozialausbildung nach dem Modell der Krankenschwester durch die linke Regierung des Front Populaire 1938, der edukativen und fallbasierten Sozialarbeit ihren eigenständigen Berufsstatus wieder abzusprechen (297). Die Ironie dieser Geschichte, die Zappi aber nur andeutet, besteht darin, dass erst im Faschismus des Vichy-Regimes die »Institutionalisierung« einer familienorientierten und einzelfallbasierten edukativen Sozialarbeit in Frankreich vervollständigt wurde (296).

Zum Abschluss des dritten thematischen Blocks stellt sich Zappi die Frage, wie die Ausweitung und Verberuflichung der Sozialarbeit durch die populären Klassen erfahren wurden. Das Spezifische des französischen Diskurses der Sozialarbeit besteht für Zappi darin, dass hier anders als in den USA die ökonomischen Probleme der 1930er-Jahre keinen Wandel der sozialen Praxis mit sich brachten (301). So erscheint die Krise weniger als Problem, denn als Chance, mit ihrer moralischen und hygienischen Praxis in weite Teile der populären Klassen vorzudringen (305). Diesen Anspruch auf Kontrolle und Disziplinierung überprüft Zappi mit der Topografie der Sozialen Dienste in den 1920er- und 1930er-Jahren und dem Grad ihrer Koordination. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass angesichts der Verteilung der sozialen Dienste und ihrer mangelhaften Kooperation von einer effektiven Polizierung der populären und proletarischen Familien nicht die Rede sein konnte. Gerade in den mehrheitlich populären Vierteln von Paris und der Banlieue war die Dichte der sozialen Dienste am niedrigsten (315). Zudem wurde vor allem die »edukative Sozialarbeit« zu einem ideologischen Kampfplatz, auf dem private, kirchliche und öffentliche soziale Dienste um den Zugang zu den populären Klassen rangen, was die Koordination zwischen den verschiedenen Wohlfahrtsinstitutionen erheblich erschwerte (317).

Zappis Monografie stellt ohne Zweifel einen wichtigen Beitrag zur Geschichte der Sozialen Arbeit jenseits von Disziplinen- oder Disziplinargeschichten dar. Die Vielschichtigkeit der Analyse, die eine detaillierte Rekonstruktion des Sozialberufs nicht nur vor dem Hintergrund der Interaktionen von Sozialarbeiterinnen und Klienten im Feld vornimmt, sondern diese Arbeit auch sozialhistorisch in die politischen und epistemischen Konflikte der 1920er- und 1930er-Jahre einordnet und bewertet, hat Modellcharakter und ist soweit ich sehe, in der deutschsprachigen Historiografie der Sozialarbeit ohne Äquivalent. Insbesondere der Übergang von einer Historiografie der Disziplinierung zur Historiografie der Care-Beziehung öffnet neue Perspektiven für die Geschichte der Sozialen Arbeit. Auch die Verbindung detaillierter und gefühlvoller Beschreibungen von Episoden und Fällen mit der statistischen Bearbeitung der Korpora zeigt, was aus Archiven der sozialen Praxis herausgeholt werden kann.

Zwei Fragen drängen sich am Ende dieser mustergültigen Analyse auf: Zunächst die Frage nach dem Verhältnis der französischen Geschichte des Sozialberufs mit den parallel stattfindenden internationalen Entwicklungen. Stellt die Geschichte der SSE eine Besonderheit dar oder ist sie Teil einer größeren europäischen bzw. euroamerikanischen Tendenz? Obwohl Zappi zu Beginn kurz die internationalen Kongresse zur Sozialarbeit der 1920er- und 1930er-Jahren erwähnt, wird die Rolle der internationalen Netzwerke für den Aufbau der Sozialen Arbeit in dieser Zeit nicht weiter reflektiert; welchen Einfluss hatte z. B. die 1929 von Alice Salomon mitbegründete International Association of Schools of Social Work (IASSW) auf die Ausbildung des Sozialberufs in Frankreich?

Die zweite Frage betrifft das Narrativ und das Konzept einer Care-Historiografie, wie sie uns Zappi nahelegt. Reicht es aus, gegen die alte Historiografie der Kontrolle auf den Eigensinn und die Ambiguität der Geschichte der Sorgebeziehungen zu verweisen? Kann die Care-Historiografie ein Angebot für alternative Erzählungen der Sozialstaatlichkeit und der organisierten Fürsorge anbieten, die über den Nachweis einer komplexen Sorgebeziehung hinausgehen? Auch bei der Frage nach dem Narrativ, also der Verknüpfung der Fallgeschichte der SSE mit ihrem wissens- und sozialhistorischen Kontext bleibt Zappis Buch unentschieden. Das beginnt mit der historischen Einbettung der Geschichte der Sozialen Arbeit in ein konventionelles Modernisierungs- und Verwissenschaftlichungsnarrativ, das die eigenständige Epistemologie der Sozialen Arbeit nicht als solche thematisiert und endet mit der zeitlichen Fokussierung auf die Zwischenkriegszeit, wobei die Autorin nur ganz am Ende des Buches en passant auf die entscheidende Bedeutung Vichy-Frankreichs und des Faschismus für die Verwirklichung edukativer sozialer Praxis eingeht. Auch die Rolle der Eugenik und des eugenischen Diskurses für die Entwicklung der Sozialen Arbeit findet im Buch keine Erwähnung. Die Erweiterung des Untersuchungszeitraums auf die Entwicklungen der Sozialen Arbeit im État français hätte die Frage nach der »Bedeutung« dieser größeren Transformation des Sozialstaats drängender gemacht.

Als Anhaltspunkt bleiben am Ende, wie in Truffauts letzter Einstellung, Gesichter. Doch während das Gesicht Antoine Doinels die Utopie einer romantischen Flucht verkörpert, die an der Vorstellung von Kindheit jenseits des Dossiers festhält, so scheinen die Gesichter des Sozialstaats in Zappis Care-Historiografie und ihre Eigensinnigkeiten innerhalb des verwalteten Elends für eine Utopie des Dossiers einzustehen, deren grundlegende Differenz von einer »Historiografie der Kontrolle« sich erst noch erweisen müsste.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Martin Herrnstadt, Rezension von/compte rendu de: Lola Zappi, Les visages de l’État social. Assistantes sociales et familles populaires durant l'entre-deux-guerres, Paris (Presses de Sciences Po) 2022, 378 p. (Académique), ISBN 978-2-7246-39452, EUR 27,00., in: Francia-Recensio 2024/2, 19.–21. Jahrhundert – Histoire contemporaine, DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2024.2.105459