Der vorliegende Band publiziert die Beiträge einer im Juli 2016 in Paris abgehaltenen Tagung der British Archaeological Association. Da der Titel dezidiert einen politischen Fokus wählt, wenn er nach den Mächten fragt, die das mittelalterliche Paris formten, sei eingangs darauf verwiesen, dass der gesamte Band einen klaren architektur- und kunsthistorischen Schwerpunkt aufweist. Viele der zehn Beiträgerinnen und Beiträger beteiligen sich international seit langem an der Erforschung gotischer Architektur und Kunst in Frankreich und Paris. Chronologisch beginnt der Band mit einem Beitrag des Pariser Kunsthistorikers Dany Sandron, der sich der Pariser Kathedrale vor ihrem berühmten gotischen Neubau der Jahre nach 1160 zuwendet. Es handelt sich dabei um eine knappe Zusammenfassung vor allem archäologischer Erkenntnisse des 19. und 20. Jahrhunderts, ergänzt um einen kurzen Exkurs zum portail Saint-Anne, dessen Skulptur für den romanischen Vorgängerbau von Notre-Dame gefertigt und in den gotischen Neubau übernommen wurde. Ebenfalls im 12. Jahrhundert bewegt sich Lindy Grant, die das bauliche Geschehen in Paris zur Zeit Abt Sugers untersucht. In einem zweiten Teil des Beitrags stehen die bekannten Umbauten der Abtei Saint-Denis im langen Abbatiat Sugers zur Diskussion, verbunden mit den politischen Ambitionen dieses Abtes, die Herrschaft der Kapetinger und ihre enge Verknüpfung mit Saint-Denis zu stärken. Der erste Teil fügt dem eine weiterführende Perspektive hinzu, indem die parallele Förderung und Errichtung öffentlicher Bauten, vor allem von Kirchen, in Paris beleuchtet wird. Beispiele, wie das Frauenkloster Saint-Pierre de Montmartre, das durch Königin Adèle de Savoye zu Beginn des 12. Jahrhunderts als Grablege gegründet und ausgebaut wurde, oder die Kapelle Saint-Aignan des langjährigen Archidiakons des Pariser Kathedralkapitels und Beraters Ludwigs VI., Étienne de Garlande, dokumentieren, wie sich die Machtstrukturen der Kapetinger zunehmend auch architektonisch in den Stadtraum von Paris einschrieben.

Einen ausführlichen Blick auf Saint-Denis im 12. und 13. Jahrhundert wirft Alexandra Gajewski, die sich für die Reliquienverehrung am Dionysius-Grab, die Inszenierung der Königsgräber und ihre architektonische Repräsentation im Chorneubau Sugers interessiert. Dieses zentrale Thema der gotischen Architektur- und französischen Königsgeschichte wird hier anschaulich auf der Grundlage der reichen Forschung zusammengefasst. Im Kontext des Generalthemas des Sammelbandes fragt sich gleichwohl, wie sich die architekturhistorische Spezialdiskussion um die Gestaltung des Ostchors in die Herrschaftsgeschichte der benachbarten Stadt Paris einordnen lässt. Einen innovativen Akzent setzt der Princetoner Mediävist William Chester Jordan, der die gut erforschte Umgestaltung von Paris zur neuen Hauptstadt unter König Philipp II. zum Ausgangspunkt für eine Beobachtung der Sinneswahrnehmungen in der werdenden Metropole um 1200 macht. Die Überlegungen zur Geräusch- und Geruchskulisse genauso wie zum öffentlichen Zugang oder zur Wahrnehmung von Leitbauten wie der Kathedrale Notre-Dame oder dem Louvre sind zugleich für alltags- und herrschaftsgeschichtliche Fragestellungen hoch relevant. Eine vergleichende Perspektive wählt Meredith Cohen, deren Studien zur Sainte-Chapelle zu den einschlägigen Standardwerken zählen. Ihr Blick richtet sich, ausgehend von der Sainte-Chapelle, auf den Bau vorwiegend freistehender Kapellen im Paris des 13. Jahrhunderts. Eine Ausnahme bilden die Seitenkapellen im Chor der Kathedrale von Notre-Dame, mit deren Einbau 1228 begonnen wurde und die Cohen als Ausdruck einer »metropolitan architecture« versteht. Die älteste stilbildende Kapelle befand sich neben der Kathedrale als Teil des Bischofspalastes. Die Bischofskapelle wurde bereits in den Plänen von 1160 berücksichtigt und um 1179 erstmals genutzt. Als gotischer Neubau des bekannten Pariser Baumeisters Pierre de Montreuil wird zudem die Marienkapelle im Klosterkomplex von Saint-Germain-des-Prés präsentiert, die parallel zur Sainte-Chapelle errichtet wurde. Weitere Kapellen finden sich in den Kollegien der Universität auf dem linken Seine-Ufer, deren Bau sich nach der These Cohens an einem der Leitbauten der Bischofs-, Palast- oder Marienkapelle von Saint-Germain orientierte.

Eine neuerliche Untersuchung der Glasfenster der Sainte-Chapelle trägt Emily Davenport Guerry bei. Die äußerst detaillierte Rekonstruktion gibt anschaulich den Forschungsstand von 2016 wieder. Leider wurde darauf verzichtet, in dem langjährigen Erscheinungszeitraum bis 2023 einschlägige Studien nachzutragen, von denen es zu diesem Themenkomplex mehrere gibt (z. B. die Monografien von Gaposchkin, Vexilla Regis Glorie, 2022; Pysiak, The King and the Crown of Thorns, 2021; Maurey, Liturgy and Sequences, 2021). Der Pariser Buchmalerei des 14. Jahrhunderts und den Beziehungen zwischen den unterschiedlichen Werkstätten wendet sich Anna Russakoff zu. Die reich bebilderte Studie trägt mit ihren Beobachtungen zu den Aufträgen aus der Königsfamilie, zu denen die Verfasserin weitere grundlegende Forschungen vorgelegt hat, wichtige Erkenntnisse zum Gesamtthema des Bandes bei. Eine innovative baugeschichtliche Studie legt Jana Gajdošová zu den Pariser Brücken vor, die nicht nur aus wirtschafts- und herrschaftsgeschichtlicher Perspektive, sondern auch für die Geschichte der Universität zentral waren. Mit den Tor- und Turmbauten waren in vielen Fällen große Inschriften oder Banner verbunden, die im Spätmittelalter als Flächen für herrschaftliche Propaganda genutzt wurden. Die Anziehungskraft der Metropole schlug sich im Falle der zisterziensischen Präsenz in Paris in einer Vielzahl von Niederlassungen nieder: Mehr als ein Dutzend großer Zisterzienserabteien gründete Stadthäuser in Paris; die kapetingischen Gründungen Royaumont und Maubuisson besaßen sogar mehrere Häuser. Großen Einfluss auf das soziale, religiöse und intellektuelle Leben hatten auch der im 13. Jahrhundert gegründete Nonnenkonvent von Saint-Antoine-des-Champs auf dem rechten und das Studienhaus der Zisterzienser, das spätere Collège Saint-Bernard, auf dem linken Seine-Ufer.

Der Band wird beschlossen durch einen neuen Beitrag von Raphaële Skupien, der noch nicht auf der Tagung von 2016 präsentiert wurde und – entsprechend dem Forschungsschwerpunkt der Verfasserin – das Bild der Stadt Paris in der spätmittelalterlichen Buchmalerei thematisiert. In der statistischen Auswertung zeigt sich, dass Notre-Dame de Paris und der Königspalast der Pariser Cité als primäre Repräsentationen der Stadt und Chiffren ihrer beherrschenden Kräfte, der Kirche und des Königtums, betrachtet werden können. Insgesamt trägt der bau-, kunst- und kulturhistorisch konzipierte Band durchaus neue Aspekte zur vielfach diskutierten Herrschaftsgeschichte der französischen Hauptstadt im Mittelalter bei, auch wenn nicht bei allen Beiträgen ein klarer Bezug zur Leitfrage nach den »Mächten, die die Stadt Paris formten« erkennbar wird. Ein weiterer Kritikpunkt richtet sich auf den späten Zeitpunkt der Publikation, die auf dem Forschungsstand von 2016 beruht und damit notgedrungen die vielfältigen einschlägigen Bemühungen der Forschung um Paris und insbesondere seine Kathedrale Notre-Dame seit dem Brand von 2019 ignoriert.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Jörg Oberste, Rezension von/compte rendu de: Alexandra Gajewski, John McNeill (ed.), Paris. The Powers that Shaped the Medieval City, London, New York (Routledge) 2023, XIV–246 p. (The British Archaeological Association Conference Transactions, 44), ISBN 978-1-032-52087-2, DOI 10.4324/9781003405153, EUR 151,38., in: Francia-Recensio 2024/3, Mittelalter – Moyen Âge (500–1500), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2024.3.106289