Martyrium, den Tod für Gott erleiden oder im Namen Gottes Töten, ist ein Thema, das in den vergangenen Jahren mehrfach im Fokus stand. Und dennoch unterscheidet sich der hier vorzustellende Band, der auf eine Tagung im Februar 2019 im Römischen Institut der Görresgesellschaft zurückgeht, von vielen dieser Publikationen. Der Band sucht systematisch nach theologisch-frühchristlichen Definitionen oder Eingrenzungen und bezieht auch dezidiert nicht nur die westlich-lateinische Welt in die Überlegungen ein. Dies führt zu einer erhellenden Lektüre, gerade für Personen, denen diese Welt oftmals auch sprachlich ferner steht.
Es ist kaum möglich, den Reichtum des Bandes in einer kurzen Rezension auszuschöpfen, aber einige Akzente seien gesetzt. Es beginnt mit einem Dreiklang: untersucht werden zunächst christliche Deutungen der makkabäischen Märtyrer als Vorbilder im frühen Mittelalter (Notker Baumann, S. 1–18), es folgt dann ein breit angelegter Durchgang zur Verehrung der »Unschuldigen Kinder«, ein Sondergut des Matthäusevangeliums, das zu der grundsätzlichen Frage führt, ob bei der Ermordung der Unschuldigen Kinder von einer »freien Selbsthingabe in der Nachfolge Christi« (56) gesprochen werden könne. Dies schärft den Blick für eine Definition des Martyriums. Peter Bruns (61–92) würdigt schließlich souverän am Beispiel des syrischen Märtyrer Simeon (BHO 1117) diesen in der Tradition der Makkabäer sowie in der gängigen Vorstellung als ein »alter Christus«, ordnet dies in den Zusammenhang des Sassanidenreiches ein und bietet eine deutsche Übersetzung dieser Quelle.
Es folgen zahlreiche Einzelstudien, aber auch systematische Überlegungen, die diesen Auftakt weiter vertiefen. Zunächst stellt Peter Bruns (93–116) den dogmengeschichtlichen einschlägigen Traktat des Mar Isais zu den Märtyrern vor, erstmals in Deutsch vorgelegt. Winfried Büttner (117–136) behandelt die Passio S. Pantaleonis in ihrer literarischen Entwicklung. Felix Grollmann (137‑176) präsentiert den weiterentwickelten Märtyrerbegriff, den er an hochkarolingischen Zeugnissen (Admonito Generalis, Frankfurter Konzil 794) untersucht, und der insgesamt zu einem relativ unpräzisen Märtyrerbegriff bis in die Zeit des Barocks geführt hat. Roman Hankeln (177–192) bringt musikwissenschaftliche Aspekte zum Mauritiusoffizium in Sitten (9.–13. Jahrhundert) ein und erschließt das Verhältnis von Text und Musik. Inwieweit Recht und Askese eine Rolle beim Märtyrerbegriff und Dschihad spielen interessiert Hureyre Kam und Serdar Kurnaz (193–208), die dies erst in nachkoranischen Schriften entdecken und einräumen, dass die islamische Askese weniger einen Eigenwert besitze, sondern eher unter dem Aspekt der Wehrertüchtigung eine Rolle spielte. Dies blieb aber nicht ohne Auswirkungen auf die Martyriumsidee in Byzanz, wie Thomas Kremer (209–236) hervorhebt.
Frühchristliche, kunsthistorische Zeugnisse unterstreichen laut Francesca Paola Massara (237–258), wie die Theologie der Frühzeit auch im Bild vor allem Gewaltlosigkeit thematisiert. Katharina Reihl-Weigl (259–284) stellt an drei Beispielen (besonders dem der hl. Thekla) fest, wie sich ein Deutungswandel vom blutigen zum unblutigen Martyrium (Askese) vollzog. Felix Rohr (285–302) interessiert die Maryriumsklausel bei Prudentius (Psych. 769–787), und Georg Röwekamp (303–320) rückt die militia Christi und die Konzeption des Märtyrers als Athlet und Kämpfer am Beispiel des hl. Georg in den Vordergrund; diese Ansätze entwickelten sich bis in die Kreuzzugszeit bei Bernhard von Clairvaux und dem Templerorden weiter.
Griffen die Überlegungen Röwekamps bis weit ins hohe Mittelalter aus, so sind die letzten fünf Beiträge früher angesiedelt. Ingo Schaaf (321–338) schaut nach Exempeln in Antike und Christentum zu Opfertod und Todessuche, Hans Reinhard Seeliger (339–350) untersucht die spätantiken römischen Märtyrerlegenden und beginnt mit einem Zitat der Sebastiansakten, das die Position der Kirchenväter verdeutlicht, dass nicht die »tortura«, sondern die »causa« ein Martyrium ausmache. Mira Sievers (351–358) verdeutlicht mit Überlegungen zu koranischen und islamischen Deutungen des Märtyrertums, dass einem Martyrium keine besondere eschatologische Stellung zukommt. Andreas Weckwerth (359–376) kann zeigen, wie sich auch in den liturgischen Texten des Sakramentars aus Verona theologische Martyriumskonzeptionen erkennen lassen. Und auch Wenzel Widenka (377–391) folgert für das Judentum, dass hier die Heiligung des (Gottes-)Namens anders als in der hellenistischen Makkabäertradition wenig Platz für Martyriumsvorstellungen lasse.
Man legt den Band reich belehrt aus der Hand, weil er nicht nur die spezifisch christlichen Entwicklungen im Vergleich zu Islam und Judentum deutlich herausarbeitet, sondern zugleich den einseitigen Blick auf die lateinisch-westliche Welt vielfach und mit neuem Material bereichert. Bei dieser breiten Zugriffsweise wäre es eine Herkulesaufgabe gewesen, den Reichtum der Artikel auch noch durch ein Register zu erschließen. So wird man nur auf die kurzen einleitenden Einordnungen zu Beginn des Bandes verwiesen. Nicht zuletzt wegen der breiten Zugriffsweise ist dem Band eine gute Verbreitung und rege Nutzung zu wünschen.
Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:
Klaus Herbers, Rezension von/compte rendu de: Peter Bruns, Thomas Kremer, Andreas Weckwerth (Hg.), Sterben & Töten für Gott? Das Martyrium in Spätantike und frühem Mittelalter. Internationale Tagung in Rom vom 20. bis 23. Februar 2019, Münster (Aschendorff) 2022, XI–391 S. (Koinonia-Oriens, 57), ISBN 978-3-402-22524-0, EUR 49,00., in: Francia-Recensio 2024/3, Mittelalter – Moyen Âge (500–1500), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2024.3.106311