Der umfangreiche Band geht zurück auf eine Leipziger Tagung aus dem Jahr 2019, die anlässlich des 500. Jubiläums der Königswahl Karls V. stattfand. Die Zusammensetzung sowohl der Herausgeberschaft als auch der Autorinnen und Autoren verspricht einen multiperspektivischen Blick auf diesen römisch-deutschen Kaiser, der unter anderem König von Spanien war, und seine Herrschaft im Heiligen Römischen Reich. Tatsächlich versammeln sich im Band 24 Beiträge in deutscher, spanischer, englischer und italienischer Sprache aus unterschiedlichen Disziplinen wie der Rechts-, Wirtschafts-, Verfassungs-, Landes- und Kirchengeschichte, der Kartografie sowie der Archivwissenschaft, darunter etliche Aufsätze ausgewiesener Experten zu Karl V.

Im Mittelpunkt mehrerer Beiträge, die in drei Sektionen angeordnet sind (»Recht und Herrschaft«, »Wirtschaft und Gesellschaft«, »Kultur und Religion«), steht die Frage nach Erfolg und Misserfolg der Herrschaft Karls. So kommt Alfred Kohler in seinem verschriftlichten Eröffnungsvortrag zu dem Ergebnis, dass der Kaiser »die unglaublichen Chancen seiner Herrschaftssteigerung nicht voll genützt« habe (26). Eines der Hauptprobleme sieht Kohler in dem Umstand, dass es Karl nicht gelang, seine Herrschaftsgebiete mit ihren disparaten Rechts- und Regierungsformen zu vereinheitlichen. Als die »drei bedeutende[n] Störfaktoren für die Entwicklung der ›Monarchia universalis‹ Karls V.« (32) betitelt er die Reichsstände (Verfassungs- und Lutherfrage), die französische Krone und das Osmanische Reich.

Während erfreulich viele der folgenden Beiträge auf den ersten von Kohler skizzierten Themenkomplex, Karls Verhältnis zu den Reichsständen, Bezug nehmen, spielen die zwei weiteren Aspekte in dem Buch erstaunlicherweise fast keine Rolle. Stattdessen scharen sich in dem Sammelband zu Kaiser Karl V. und dem Heiligen Römischen Reich zahlreiche Beiträge, die sich mit explizit und exklusiv spanischen bzw. kastilischen Themen befassen: kastilische Städte (Polo Martín), kastilischer Adel (Carrasco Martínez), kastilisches Recht (López Nevot), kastilische Inquisition (Pérez Juan, Sánchez Aranda) und kastilische Wirtschaft (Casado Alonso). Man tut sich schwer, darin einen Zusammenhang zum Titelthema zu erkennen, da, mit Ausnahme der vergleichend angelegten Beiträge der Herausgeber, auch das komparative Potential der behandelten Aspekte, das einen Vergleich der Zustände auf der Iberischen Halbinsel mit denen im Reich ermöglicht hätte, weitgehend ausgespart bleibt.

Diejenigen Beiträge indes, die sich des Titelthemas angenommen haben, sind äußerst ertragreich, gerade was die Beziehungen Karls V. zu einzelnen Reichsterritorien anbelangt. Für das Oberhaupt des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation war die Interaktion mit den Landesherren und vor allem mit seinen Wählern, den Kurfürsten, »wesentliches Moment der Herrschaftsausübung« (243), wie Christian Winter in seiner konzisen und gehaltvollen Darstellung und Bewertung herausstellt. Er betrachtet die acht regierenden wettinischen Fürsten ernestinischer wie albertinischer Linie, die Karl in seinen 37 Regierungsjahren gegenüberstanden, und ihr Verhältnis zum Reichsoberhaupt. Die Gebiete des Kurfürstentums und des Herzogtums Sachsen zählten um 1500 politisch wie wirtschaftlich zu den prominentesten Territorien des Reiches (und übrigens auch zu den wichtigsten Geldgebern der Habsburger), sodass zeitweise sogar eine Kandidatur des sächsischen Kurfürsten bei der Königswahl 1519 im Raum stand. Unter Kurfürst Johann sollte Kursachsen schließlich »prominenter Teil der reichsständischen Opposition gegen das politische System Karls V.« (254) werden. Die detailliert aufgeschlüsselten Beziehungen sind somit sowohl für die Reichs- als auch für die europäische Geschichte von Bedeutung. Winter kommt dennoch zu dem nüchternen Ergebnis, dass die Fürsten für Karl nicht »politischer Partner, sondern untergebene Lehnsträger« (281) waren. Der Beitrag beleuchtet mit dem sich verändernden Verhältnis der wettinischen Linien untereinander sowie den keinesfalls stets einhelligen Beziehungen zwischen Karl und seinem Bruder Ferdinand sozusagen als »Nebenprodukte« zwei nicht minder wichtige Aspekte. Manfred Rudersdorf widmet sich im Anschluss mit dem Verhältnis Karls zu Landgraf Philipp von Hessen einem weiteren prominenten Akteur und Gegenspieler Karls. Die mangelnde Präsenz des Kaisers im Reich sowie die Krise der Alten Kirche begünstigten die wachsende Fürstenmacht. Philipp galt seinen Zeit- und Standesgenossen als »konsequenter Verfechter fürstlicher Libertät im Reich« (285).

Während Karl in seinem spanischen Königreich in finanzieller Hinsicht vor allem auf die Steuereinnahmen der kastilischen Städte bauen konnte und nicht etwa auf die sagenumwobenen Reichtümer seiner neuen Überseegebiete (vgl. Beitrag von Hilario Casado Alonso), waren es im Reich in erster Linie die Fugger, die dem Kaiser beständig unter die Arme griffen. Anja Amend-Traut konstatiert eine »Knebelung Karls« durch derlei Handelshäuser und die dadurch entstehenden Abhängigkeiten (385). Ein weiteres zentrales Verhältnis spricht Alexander Koller mit den Beziehungen Karls V. zu den Päpsten an, die Koller in politischer, konfessioneller und rechtlicher Hinsicht untersucht. Die Beziehungen zu Rom waren vor allem von fortschreitender Entfremdung geprägt, kulminierend in der Frage um Karls Abdankung und Sukzession.

Auch Armin Kohnle greift die (Miss-)Erfolgsfrage auf, und zwar dezidiert in Bezug auf die unter Karl einsetzende Reformation im Reich. Diese bezeichnet er für den Herrscher als »ein politisches Problem, bei dem das Verhältnis zum Papsttum, den deutschen Fürsten, zu Frankreich und zu den Osmanen tangiert war« (531). Der pointierte und differenzierende Beitrag unterscheidet strikt zwischen den persönlichen religiösen Überzeugungen des Kaisers einerseits und seiner strategischen Religionspolitik andererseits, die Kohnle in Bezug auf das Reich und seine Protestanten in vier Phasen, von Vernichtungsabsichten bis zur Verweigerungshaltung, einteilt. Vereinfachende Charakterisierungsversuche der komplexen religiösen Haltung Karls weist Kohnle zurück und demontiert damit die Ergebnisse des vorherigen, psychologisierenden und theoretisierenden Beitrages. Mit seiner Frage nach Karls handlungsleitenden Motiven weckt Angelo Zotti darin große Erwartungen, reduziert Karl als »paladino della tradizione« (515) aber letztlich auf seine am Herkommen orientierten Entscheidungen. Während Kohnle Karls Lehrer und Berater in seine Überlegungen zu den Entscheidungsfindungsprozessen des Kaisers ebenso einbezieht wie dessen zeitweise sehr einflussreiche Beichtväter, spart Zotti – bis auf eine knappe Erwähnung von Karls Großkanzler Gattinara – diese Faktoren fast gänzlich aus, was in einem Beitrag zu den handlungsleitenden Beweggründen des Kaisers einigermaßen verwundert.

Fehl am Platz erscheint ein Beitrag, der sich, v. a. auf der Basis von Briefkorrespondenzen und Testamenten, mit kastilischen Frauennetzwerken um 1500 befasst (schwerpunktmäßig der 1470er‑Jahre). Zentrale Frauen im Leben und Umfeld Karls V. wie seine Gattin, Geliebte, Schwestern, Töchter und Schwiegertöchter, die man hier vermuten könnte und die immerhin einen thematischen Bezug zum Bandthema geboten hätten, spielen in dem Aufsatz keine Rolle. Stattdessen geht es vielmehr um die (adelige) spanische Frau an sich, wobei ein teilweise verzerrtes Bild vom Verhältnis zwischen Frauen und Männern gezeichnet wird. Dass eine Frau 1473 ihre Kleidung an ihre Tochter und Enkelin statt an ihre Söhne vererbte, wertet die Autorin als einen Beleg für die größere emotionale Nähe der Mutter zu ihren Nachkomminnen (»una mayor proximidad con las mujeres«; 413). Man stellt unweigerlich Überlegungen an, was die vermeintlich weniger geliebten Söhne mit den Kleidern ihrer Mutter hätten anfangen sollen, nur um sich, nach einem Moment der Ablenkung durch die Absurdität der Argumentation, wieder auf die nicht minder schwerwiegende Frage zu besinnen, was diese abenteuerlichen Thesen mit Karl V. und dem Heiligen Römischen Reich zu tun haben.

Die meisten Beiträge sind mit einem Abstract ausgestattet, das zugrundeliegende Konzept gestaltet sich allerdings undurchsichtig: Deutsche Aufsätze werden durch ein spanisches, spanische für gewöhnlich (aber nicht immer) durch ein deutsches Abstract ergänzt, englische durch ein spanisches, italienische durch ein deutsches. Gerade die deutschen Zusammenfassungen der spanischen Beiträge fallen durch ihre oft holprigen Übersetzungen auf. So ist die Rede von Karls Großvater als »Ferdinand dem Katholiken« (728), es kommt zu so unglücklichen Neologismen wie »Großadelige« (155) oder Fehlübersetzungen wie einer vermeintlich »karolingischen Reichspolitik«, wohlgemerkt im 16. Jahrhundert (490). Streckenweise werden englische Wörter (in englischen Texten!) auf spanische Weise akzentuiert (191–194), an anderer Stelle wird der Leser von einer Horde spanisch gesetzter Akzente in einem italienischen Beitrag verwirrt (522). Obwohl häufig Bildbeschreibungen gemacht werden, z. B. zu Tizians für Karl geschaffenen Werken, gibt es dazu kaum Abbildungen im Band. Die Lesbar- und Verständlichkeit der Texte wird durch diese Umstände erschwert.

Auf inhaltlicher Ebene erfüllt der Band die Erwartungen, die sein Titel bei der Leserschaft weckt, nur teilweise. Zugutezuhalten ist ihm indes, dass er aktuelle Erkenntnisse zu Karl V. aus verschiedenen Ländern einem größeren und internationalen Publikum erschließt, und zwar in Form von Aufsätzen, die als die Quintessenz der Forschungsergebnisse ihrer jeweiligen Entstehungsländer und Forschungssprachen der letzten Jahre gelten dürfen, deren Fachliteratur zu ihren Spezialthemen sie breit rezipieren. Spezialaspekte wie der politische Einfluss von Karls in der Forschung kaum präsenter Ehefrau auf die Situation in Granada (Beitrag von Yolanda Quesada Morillas) oder sizilianische Formen des Protestantismus (Daniela Novarese) stellen zweifelsohne überaus spannende Forschungsdesiderate dar, wirken aber eher fehl am Platz im vorliegenden Band, dessen definierendes Titelthema in der Zusammenschau erstaunlich großzügig interpretiert wird: In vielen Beiträgen geht es kaum um Karl V. und das Heilige Römische Reich, sondern vielmehr einerseits um Aspekte der spanischen und italienischen Teile seines Herrschaftsgebietes und andererseits um generelle Phänomene seiner Zeit. Durch eine stärker komparatistisch angelegte Perspektive könnten gerade die erstgenannten für das Bandthema fruchtbar gemacht werden; dieser Schritt ist aber erst noch zu leisten.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Andreas Flurschütz da Cruz, Rezension von/compte rendu de: Ignacio Czeguhn, Heiner Lück (Hg.), Kaiser Karl V. und das Heilige Römische Reich. Normativität und Strukturwandel eines imperialen Herrschaftssystems am Beginn der Neuzeit, Stuttgart (S. Hirzel Verlag) 2022, 768 S., 101 Abb. (Sächsische Akademie der Wissenschaften zu Leipzig, 14), ISBN 978-3-7776-3298-8, EUR 124,00., in: Francia-Recensio 2024/3, Frühe Neuzeit – Revolution – Empire (1500–1815), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2024.3.106513