Räumliche und politische Dimensionen von dictionnaires- und encyclopédies-Übersetzungen, Kulturtransfers, Übersetzungspraktiken sowie das sich verändernde enzyklopädische Schreiben im Aufklärungszeitalter sind Themen des vorliegenden Sammelbands. Seine Autoren stellen in einem englisch- und elf französischsprachigen Beiträgen fast ausschließlich Fallstudien vor. Dabei geht es unter anderem um unterschiedliche Wissenschaftsgebiete, etwa Chemie oder Musik, oder um verschiedene Kulturräume, von Südeuropa bis nach Indien. Herausgegeben wird das Buch von Susanne Greilich und Hans-Jürgen Lüsebrink, die darin die Ergebnisse einer im November 2021 an der Universität Regensburg organisierten und online durchgeführten Tagung präsentieren.

Der erste Teil des Sammelbands ist der internationalen Dimension der enzyklopädischen Texte gewidmet. Im Gegensatz zu den anderen Beiträgen ist der Aufsatz von Greilich und Lüsebrink konzeptueller Natur. Ausgehend von dem von ihnen geleiteten DFG-Projekt Übersetzungsdimensionen des französischen Enzyklopädismus im Aufklärungszeitalter zeigen sie, dass die Übersetzungen enzyklopädischer Texte oft einen Anlass für Adaptionen der Ausgangstexte boten. Zudem erinnern sie an die globale Dimension dieser Austauschprozesse und an den Einfluss der im 18. Jahrhundert an Bedeutung gewinnenden nationalen Fragestellungen auf die Konzeption von Enzyklopädien. Clorinda Donato hingegen untersucht die Übersetzungen des Dictionnaire de Grammaire et Littérature, einem Teil der Encyclopédie méthodique, ins Italienische und Spanische. Da die Übersetzer sich der Bedeutung von soft power bewusst waren, lehnten sie die im Ausgangstext präsente Überhöhung des Französischen ab und lobten beispielsweise die abundancia und die abbondanza ihrer Muttersprachen. Ihre Übersetzungen sind daher weitreichende Überarbeitungen des französischen Originals. Anschließend beschreibt Anguelina Vatcheva die Rezeption der Encyclopédie von d’Alembert und Diderot im Russland Katharinas II. Dabei erklärt Vatcheva, dass die Encyclopédie im Aufklärungszeitalter nicht vollständig ins Russische übertragen wurde. Vielmehr hing dieses Projekt vom politischen Kontext ab. Beispielsweise erschienen zwei Bände über die Türkei während dem russisch-osmanischen Krieg von 1768–1774, um das Wissen über den damaligen Feind zu verbessern. Im einzigen englischsprachigen Beitrag beschäftigt sich Hanco Jürgens mit der Darstellung Indiens. So liefert noch Johann Heinrich Zedlers Universal-Lexicon kein einheitliches Bild des Subkontinents. Einen Wendepunkt stellt dann die Encyclopédie dar, die ein homogeneres Bild zeichnet. Um 1800 verändern sich die europäischen Diskurse erneut: Nun wurde Indiens glorreiche Vergangenheit bewundert und sein damals aktueller Zustand als desolat beschrieben.

Im zweiten Teil des Buches rücken verschiedene Wissenschaftsgebiete in den Vordergrund. Zunächst befasst sich Mélanie Éphrème mit der Geschichte der Übersetzung von Traktaten über Chemie. Dabei erinnert sie an den Bedeutungsgewinn dieser Wissenschaft im 17. und 18. Jahrhundert, die in allen wichtigen Enzyklopädien präsent ist. Allerdings werden dort nur wenige Titel vollständig genannt, was das Auffinden und Zuordnen der Werke trotz moderner Hilfsmittel zu einer langwierigen und zeitaufwendigen Aufgabe macht. Danach widmet sich Malou Haine der Geschichte von Musikinstrumenten und ihrer Darstellung in Wörterbüchern und Enzyklopädien. Hier zeigt sie, auf welche Schwierigkeiten die Autoren enzyklopädischer Texte stießen und wie sie sich bei ihren Vorgängern bedienten. So weist Haine beispielsweise nach, dass der Eintrag »trompette« in der Encyclopédie mindestens bis auf einen Text von Marin Mersenne aus dem Jahr 1636 zurückgeführt werden kann.

Der dritte Teil des Sammelbands beschäftigt sich mit Kulturtransfers. Hier stellt Pauline Pujo zunächst eine Verbindung zwischen enzyklopädischen Texten und Schulbüchern her. Die Reform des Joachimsthalschen Gymnasiums in Berlin 1767 wurde etwa von der Entstehung neuer Lehrbücher begleitet, die im Sinn einer enzyklopädischen Pädagogik konzipiert wurden. Als Beispiel für die damit einhergehenden Adaptionen der Ausgangstexte präsentiert Pujo die Übersetzung des Dictionnaire historique d’éducation ins Deutsche durch Friedrich Leopold Brunn. Anschließend kommt es mit Sylvie Le Moëls Beitrag zu einem Perspektivwechsel, da sie sich mit der Übertragung von Johann Joachim Eschenburgs Handbuch der klassischen Literatur ins Französische befasst. Dazu verordnet sie diesen zwischen humanistischen und enzyklopädischen Traditionen und stellt seinen Übersetzer, Carl Friedrich Cramer, vor, der dieses Handbuch (fast) ohne Änderungen übertrug und so einen Beitrag zum interkulturellen Dialog leistete. Dieser Abschnitt des Sammelbands schließt mit einem Aufsatz zur transnationalen Begriffsgeschichte von Carla Dalbeck. Sie untersucht dazu die semantischen Veränderungen des Begriffs »Nation« und hat einen Korpus aus deutsch- sowie französischsprachigen enzyklopädischen Texten aus der Zeit 1750–1850 gebildet. Bei der Bearbeitung dieser Quellen stellt sie etwa fest, dass antike Konzepte in den Definitionen beider Kulturräume mobilisiert wurden.

Das letzte Kapitel des Buches beginnt mit einem Aufsatz von Martine Groult, die nach dem Verhältnis von Form und Inhalt in der Encyclopédie und der Encyclopédie méthodique fragt. Während Diderot und d’Alembert mit Verweisen arbeiteten, war Panckoucke überzeugt, dass das Verhältnis zwischen den Wissenschaften zu komplex sei, um durch einzelne Begriffe ausgedrückt zu werden. Daher wurden die Einträge in der Encyclopédie méthodique im Lauf der Zeit immer längere Abhandlungen, innerhalb derer die Beziehungen zwischen den Inhalten dargestellt wurden. Danach untersucht Luigi Delia, ob und wie die enzyklopädischen Texte von Louis de Jaucourt Eingang in den von Fortuné-Barthélémy De Felice herausgegebenen Code de l’humanité gefunden haben. Einerseits führt Delia damit – insbesondere mit Jaucourt noch nicht vertraute Leser – in dessen Werk ein, andererseits beleuchtet er die Arbeitsweise De Felices. Dieser übernahm zahlreiche, aber nicht alle Texte Jaucourts aus der Encyclopédie, aktualisierte einige und gab sich gelegentlich gar als deren Autor aus. Mit Jaucourt und De Felice hat sich auch Alain Cernuschi befasst. Er untersucht, wie der Enzyklopädismus auf die immer deutlicher werdende Ausbildung nationaler Kulturräume in Europa in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts reagierte. Unter anderem legt er dar, dass Jaucourt und De Felice in ihren enzyklopädischen Texten oft die Quellen der von ihnen verwendeten Übersetzungen nicht nannten. So verschleierten sie interkulturelle Transferprozesse und unterstrichen die Universalität des Wissens angesichts der zunehmenden Zersplitterung der europäischen Gelehrtenrepublik.

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass der vorliegende Sammelband im Sinn eines Kaleidoskops in die Forschung zum Enzyklopädismus, zu dessen Übersetzungen und zu den damit verbundenen Wissenstransfers einführt. Er vereint verschiedenste Ansätze, informiert über den Forschungsstand und regt Leser an, eigene Fragestellungen zu entwickeln. Beispielsweise zur Begriffsgeschichte oder zum Verhältnis von Periodika zu enzyklopädischen Texten. Zudem wird – insbesondere in den Beiträgen der Herausgeber, Éphrèmes, Delias und Cernuschis – auf die Bedeutung empirischer Ansätze hingewiesen, die weitere, spannende Ergebnisse versprechen.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

David D. Reitsam, Rezension von/compte rendu de: Susanne Greilich, Hans-Jürgen Lüsebrink (dir.), Traduire l’encyclopédisme. Appropriations transnationales et pratiques de traduction de dictionnaires encyclopédiques au Siècle des Lumières (1680–1800), Würzburg (Königshausen & Neumann) 2024, 269 p., 2 fig. en n/b (Saarbrücker Beiträge zur vergleichenden Literatur- und Kulturwissenschaft, 95), ISBN 978-3-8260-7915-3, EUR 38,00., in: Francia-Recensio 2024/3, Frühe Neuzeit – Revolution – Empire (1500–1815), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2024.3.106517