Die von Camille Pollet vorgelegte Monografie präsentiert Ergebnisse einer an der Universität Nantes, am Centre de recherche en histoire internationale et atlantique erarbeiteten, an der École des hautes études en sciences sociales eingereichten Dissertation. Im Mittelpunkt steht die Frage nach der Adelsdefinition in Frankreich, England und Spanien bzw. dessen Regionen, darunter Kastilien und Aragón. Aufgrund seiner ursprünglichen Strukturierung in Form mehrerer Königreiche gab es in Spanien und auf der Iberischen Halbinsel sehr unterschiedliche Auffassungen über die Definition und Gestalt des jeweiligen Adels. Die zeitgenössischen frühneuzeitlichen Vorstellungen dazu wurden in allen drei vom Autor ausgewählten Ländern in Form überaus zahlreicher Traktate, den im Titel genannten traités nobiliaires, formuliert. Camille Pollet untersucht ein Corpus von 530 Texten aus einem »langen« 17. Jh. (von 1590–1715). Darunter befinden sich 158 Erstpublikationen und 372 unveränderte oder – manchmal auch mehr oder weniger stark überarbeitete oder ergänzte – Neuauflagen oder weitere Publikationen bereits veröffentlichter Werke sowie Fälschungen (28). Ebenfalls einbezogen werden Wiederveröffentlichungen von bereits vor dem Jahr 1590 erschienenen Traktaten wie dem Libro del Cortegiano (1528) von Baldassare Castiglione, das in zahlreiche Sprachen, u. a. auch ins Französische, Englische und Kastilische, übersetzt wurde und viele Neuauflagen und Neudrucke erlebte. Innerhalb des gewählten geografischen Raumes bestand eine enge Verbindung der Entwicklung des Adels mit der Chronologie der Regierungszeiten der jeweiligen Monarchen. In Spanien regierten damals die letzten Habsburger: Philipp II. (1556–1598) und Karl I. (1665–1700). Dort wurde das 17. Jh. als eine Zeit des Niedergangs wahrgenommen. Am Ende dieser Periode standen der Spanische Erbfolgekrieg und der Vertrag von Utrecht (1713) und zwischen 1707–1716 durch die Dekrete von Nueva Planta die Einführung einer verstärkten Zentralisierung zuungunsten der politischen Autonomierechte der einzelnen Territorien der Krone von Kastilien und Aragón. Zur Krone von Aragón gehörten auch außerhalb der Iberischen Halbinsel gelegene Gebiete wie das Königreich Neapel. Portugal war seit 1580 mit Spanien verbunden, beanspruchte aber seit 1640 und, durch den Vertrag von Lissabon (1668) bestätigt, seine Unabhängigkeit. In Frankreich umfasst der Untersuchungszeitraum die Regierungszeiten der Könige Heinrich IV., Ludwig XIII. und Ludwig XIV., das sog. Grand Siècle, das nach dem Ende der Religionskriege durch die Ausbildung des monarchischen Absolutismus und der französischen Großmachtstellung in Europa gekennzeichnet war. In England fielen in diese Zeit Konflikte zwischen König und Parlament, Bürgerkriegsereignisse und die Hinrichtung Karls I. 1649. Die Glorious Revolution von 1689 führte zur Einführung einer parlamentarischen Monarchie. Adelige Eliten erlangten Einfluss in beiden Kammern des Parlaments. Für England umfasst die Studie die Regierungszeiten der Stuarts seit Jakob I. (1603–1625) und die Herrschaft der Königin Anne (1702–1714) (Siehe Charakterisierung des Untersuchungszeitraums S. 11). Innerhalb der von Pollet behandelten Epoche gelang es dem Adel, einen bedeutenden Einfluss auf die Entwicklung der jeweiligen Königreiche zu nehmen. Die Monarchen spielten in umgekehrter Richtung jedoch ebenfalls eine entscheidende Rolle für seine Definition und Zusammensetzung und politische und soziale Betätigungsfelder. In diesem Zusammenhang waren Adelserhebungen und die Gewährung oder der Entzug standesspezifischer Privilegien wichtige Instrumente königlicher Politik.

Durch Einleitung und Zusammenfassung umrahmt gliedert sich die Studie in fünf Kapitel. Die Einleitung stellt zunächst den zeitlichen und räumlichen Rahmen und methodische Ausgangsvoraussetzungen vor. Am Anfang steht die Feststellung einer großen Heterogenität von Adelsdefinitionen und -formen, die sich auch in einer erheblichen terminologischen Vielfalt und starken Unterschieden innerhalb des Adelsanteils an der Gesamtbevölkerung der jeweiligen Gebiete niederschlug, z. B. noblesse d’épée und noblesse de robe in Frankreich, nobility und gentry in England, Grandes, caballeros, hidalgos in Kastilien, ciudadanos honrados, ciutadans honrats in aragonischen und katalanischen Städten usw. Während im Baskenland die Gesamtbevölkerung den Anspruch erhob, adelig zu sein (hidalguía universal), betrug der Bevölkerungsanteil des Adels in Frankreich während des Untersuchungszeitraums nur ca. 2 %. Seit den 1660er-Jahren wurden dort unter Colbert enquêtes durchgeführt, die, nicht zuletzt aus fiskalischen Gründen, Beweise für die beanspruchte Adelsqualität verlangten, um Usurpatoren von diesem Stand gewährten Privilegien auszuschließen.

Das erste Kapitel behandelt den Entstehungsprozess der Traktate und geht dabei der Frage nach dem Einfluss und der Bedeutung der Mitwirkung von Druckern/Verlegern und Buchhändlern und anderen an der Ausführung der Druckprojekte beteiligten Berufsgruppen wie Graveuren und Illustratoren nach. Dazu gehören auch die Geografie der Publikationsorte, die Chronologie der Veröffentlichungen, juristische Vorgaben, die Auswahl des Formates und der materiellen Erscheinungsform, Vorworte, Widmungsgedichte durch Dritte, Eingriffe der Drucker in den Text, die Erstellung von Präsentationstexten und die Vermarktung. In Form von Fallstudien werden exemplarisch einzelne Akteure vorgestellt, v. a. das Ehepaar Abel L’Angelier und Françoise de Louvain, die ihre Produkte in der Grande galerie des Palais de justice von Paris vertrieben, und Luis Sánchez. Letzterer folgte dem königlichen Hof, der 1600 von Philipp III. von Madrid nach Valladolid verlegt wurde, behielt jedoch seinen ursprünglichen Betrieb in Madrid zusätzlich bei. Bei der Rückkehr des Hofes in diese Stadt ließ er sich selbst ebenfalls erneut dort nieder. In England griff Richard Blome zur Veröffentlichung seiner Druckwerke auf ein Subskriptionsmodell zurück.

Das zweite Kapitel widmet sich dem sozialen Profil der Autoren, ihren Mäzenen, Widmungsempfängern, den Übersetzern und der Sprachwahl, den Lesern und der Rezeption und Verbreitung der Werke. Das dritte Kapitel wendet sich der im Titel angekündigten Frage der Adelsdefinition und -abgrenzung zu: Wie stellte man sich die ursprüngliche Entstehung des Adels vor (z. B. durch Gott; durch Krieg und Eroberungen, wie die fränkische Eroberung des späteren Frankreichs; durch den Kampf gegen die Mauren auf der Iberischen Halbinsel, usw.)? Welche Rolle spielten Definitionsmacht und Adelserhebung durch Monarchen? Wie wurde Adel erworben und vererbt – und welche Rolle spielten nach den damaligen Vorstellungen dabei Blut, Samen, die Vererbung biologischer Eigenschaften bzw. die Weitergabe des Adels durch Frauen und eigenes Stillen durch adelige Damen? Welche Bedeutung kam einer angemessenen Ausbildung und vor allem dem Tugendadel zu?

Das vierte Kapitel beschäftigt sich mit Klassifizierungen, Kategorisierungen und Modellen zur theoretischen Beschreibung des Adels, die zahlreiche Kontroversen auslösten, sowie mit in Traktaten entworfenen Idealvorstellungen z. B. zum Verhalten adeliger Damen, der Möglichkeit bestimmte Berufe auszuüben, Verboten, sich am Handel und an der Ausübung von Handwerkstätigkeiten zu beteiligen und der Gefahr des Verlustes des Adels und den damit verbundenen Folgen. Der fünfte und letzte Abschnitt präsentiert eine Sammlung von Fallstudien: die Werke des hochgebildeten, politisch sehr aktiven englischen Juristen und Abgeordneten des House of Commons, John Selden (1584–1654), der dem spanischen Hochadel angehörenden Luísa María de Padilla, Gräfin von Aranda (1590‑1646), und der beiden einander gegenübergestellten, sehr unterschiedliche Ansichten vertretenden französischen Autoren Claude François Ménestrier und Graf Henri de Boulainvilliers, die zur Regierungszeit Ludwigs XIV. schrieben. Das Beispiel der Gräfin von Aranda, die als verheiratete Frau gemeinsam mit ihrem Gatten religiöse Einrichtungen gründete und förderte und mit sechs Traktaten zur moralischen Besserung und Reform des Adels einen erheblichen Beitrag zur aragonischen Adelsliteratur ihrer Zeit leistete und des auch Beispiele aus dem außereuropäischen Bereich wie dem Orient einbeziehenden, stark rechtshistorisch interessierten John Selden vermitteln sehr interessante Einblicke in die Vorstellungswelt der frühneuzeitlichen Traktatautoren/-autorinnen. Insgesamt gesehen handelt es sich um eine sehr interessante und anregende Lektüre. Durch die Einbeziehung der Rolle der an der Werkentstehung beteiligten Vertreter des zeitgenössischen Buchgewerbes und der Produktions- und Vermarktungsbedingungen eröffnet sich ein sehr weiter Blickwinkel, der eine Brücke zwischen Adels-, Medien- und Buchgeschichte schlägt.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Gisela Naegle, Rezension von/compte rendu de: Camille Pollet, Définir la noblesse. Écriture et publication des traités nobiliaires au XVIIe siècle. Angleterre – France – Espagne, Rennes (Presses universitaires de Rennes) 2023, 390 p. (Histoire), ISBN 978-2-7535-9274-2, EUR 25,00., in: Francia-Recensio 2024/3, Frühe Neuzeit – Revolution – Empire (1500–1815), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2024.3.106531